Interview

Peter Dörfler: ‚Manu wollte einfach nur gesehen werden‘

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Mit «Herbertstraße – Geschichte einer Domina» blickt Regisseur Peter Dörfler tief hinter die Kulissen eines Lebens, das von Schmerz, Stärke und Selbstbehauptung geprägt ist. Zwischen dokumentarischer Ehrlichkeit und filmischer Inszenierung erzählt er von der Suche nach Nähe, Würde und Freiheit einer Frau, die sich in einem rauen Umfeld behauptet.

Herr Dörfler, was war für Sie der entscheidende Moment, an dem Sie wussten: «Herbertstraße – Geschichte einer Domina» will ich unbedingt erzählen?
Mich hat von Anfang an Manus bewegte Geschichte viel mehr interessiert, als der Arbeitsalltag einer Domina. Manus Kindheit ist der Schlüssel zu allem. Ihre Suche nach Geborgenheit zieht sich durch ihr ganzes Leben. Das fand ich spannend.

Manuela Freitags Geschichte ist voller Brüche, Schmerz, aber auch Selbstbehauptung. Wie haben Sie als Regisseur die richtige Balance zwischen Härte und Würde gefunden?
Manus Stolz ist einer ihrer hervorstechendsten Eigenschaften. Sie hat sich selbst und ihre Würde nie aufgegeben. Dem bin ich gefolgt. Die Regieanweisung in den fiktionalen teilen war schon bei der kleinen Manu: Sei trotzig und traurig. Diese beiden Emotionen kippen oft hin und her.

Sie sprechen von einer Coming-of-Age-Geschichte. Inwiefern ist «Herbertstraße» für Sie mehr als ein True-Crime- oder Milieuporträt?
Für mich ist «Herbertstraße» viel mehr „Coming-of-Age, als Crime. Für eine klassische True-Crime Story fehlt ja zunächst mal das Wichtigste, nämlich eine kriminelle Person. Das ist Manu keineswegs, auch wenn sie viel mit Illegalität und mit den unterschiedlichsten Ausprägungen des Milieus in Berührung gekommen ist - zum Beispiel, als sie für längere Zeit in einem Hamburger Apartment eingesperrt - und zur Prostitution gezwungen war. Das Milieu mit seinen vielen Facetten erleichtert es sozusagen, eine Art „Sozialstudie“ über den Werdegang einer Prostituierten spannend und unterhaltsam zu erzählen.

In der Serie wechseln Spielszenen und dokumentarische Ebenen. Welche filmische Handschrift wollten Sie damit erreichen?
Mir ist es wichtig, die Fiction-Szenen zugleich vollkommen authentisch und dennoch filmisch hochwertig zu gestalten. Sie dürfen auf keinen Fall aufgesetzt, stylish oder steif und theatralisch wirken. Es gibt immer Armut der Mittel bei solchen Projekten, aber das darf man dem Endprodukt nicht an sehn. Dabei hilft sehr der D.o.P. meines Herzens, Mathias Schöningh.

Ich wollte in «Herbertstraße» klar über reines reenactment hinaus gehen und zeigen, dass auch eine Mischung von Doku und Fiction möglich ist, die nicht angestaubt wirkt und in der sich beide Ebenen möglichst gut ergänzen.

Prostitution ist ein gesellschaftlich stark polarisiertes Thema. Wie sind Sie mit der Verantwortung umgegangen, weder zu verklären noch zu verurteilen?
Vor einer Verklärung des Milieus, ins besondere in den „wilden, kultigen“ 80er Jahren, wie man ihr in den letzten Jahren des Öfteren begegnet ist, schützte uns zunächst der weibliche Blick auf das Milieu. Bisher wurden ja immer nur die Geschichten der Zuhälter und der Polizei erzählt.

Ich habe aber versucht, beide Seiten zu Wort kommen zu lassen. Auch Ralle (der Zuhälter) erzählt seine Geschichte in der Serie und wir verstehen, dass es ganz viele Parallelen zu Manus Biografie gibt. Ich wollte - und war mir hierin mit Produzenten und Redaktion einig - einen differenzierten Blick ohne S/W-Denken und ohne Urteil.

Drei Schauspielerinnen verkörpern Manuela in unterschiedlichen Lebensphasen. Wie haben Sie diese Besetzung aufeinander abgestimmt, damit ein glaubwürdiges Gesamtbild entsteht?
Darauf haben wir sehr viel Mühe verwendet. Ich hatte eine Tabelle, wo ich Darstellerfotos der drei Rollen kombiniert habe. Wir hatten auch ein bisschen Glück, dass letztlich unsere Favoritinnen alle gut zusammen gepasst haben. Da ich Lilja Van der Zwaag schon im Videocasting sehr überzeugend fand und sie das im Casting bestätigt hat und da in ihrer Altersgruppe der Großteil spielt, sind wir von ihr aus gegangen und haben die anderen Rollen passend dazu gesucht.

Welche Bedeutung hatte es für Sie, dass Manuela Freitag selbst so offen und vertrauensvoll mitgewirkt hat?
Manus Offenheit trägt die Serie, denn sie ermöglicht es uns, tief in den Charakter einzutauchen und ihr von klein auf durch ihr Leben zu folgen. Das ist essenziell für das emotionale Erleben der Serie. Es hat mich letztlich überrascht, wie sehr sie sich uns mit der Zeit geöffnet hat. Sie hat sich ja im Laufe ihres Lebens ein paar resolute Schutzmechanismen zugelegt.

Der Film zeigt auch deutsche Zeitgeschichte von den 60ern bis in die 90er Jahre. Wie wichtig war Ihnen, diesen größeren Kontext sichtbar zu machen?
Es ist immer ein Geschenk - nicht nur wegen des tollen Archivmaterials, sondern auch für die Spielszenen, sich auf eine so spannende Epoche beziehen zu können. Vieles, beispielsweise die Erziehung in den Kinderheimen, hat sich im Vergleich zu heute stark verändert. Ich finde es wichtig, dass wir uns ab und an den Spiegel vorhalten und schauen wo wir herkommen. Das schärft den Blick dafür. Wo wir hin wollen 😀

Was hat Sie persönlich an Manuela Freitag am meisten überrascht, als Sie sie kennengelernt haben?
Ihre Verlässlichkeit, ihre Verbindlichkeit und dass sie sich so geöffnet hat.

Nach intensiver Beschäftigung mit diesem Lebensthema – gibt es etwas, das Sie persönlich aus der Arbeit an «Herbertstraße» mitgenommen haben, vielleicht sogar für Ihr eigenes Leben?
Ich bin mir der Klassenunterschiede in unserer Gesellschaft und des unheimlich starken Einflusses der Familie noch einmal neu bewusst geworden. Im direkten Vergleich: Wie unsere Tochter (die ja die kleine Manu gespielt hat) aufwächst, welche Chancen sie bekommt, welche Geborgenheit sie erlebt - und wie sehr sie diese braucht - wie schmerzlich wiederum Manuela Freitag genau das vermisst hat - das hinterlässt einen gewissen Schmerz. Die Welt ist nicht gerecht. Wir können nur versuchen, sei ein wenig gerechter zu machen.

Vielen Dank für Ihre Arbeit!

«Herbertstraße – Geschichte einer Domina» ist ab 3. November in der ZDFmediathek. Die TV-Ausstrahlung erfolgt in der Nacht auf Montag, den 10. November 2025, um 00.30 Uhr im ZDF.

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