Interview

‚Ich war total überrascht, wie mutig diese Staffel geschrieben war‘

von

Agnes Pluch (Creatorin & federführende Autorin) und Daniel Geronimo Prochaska (Regisseur) sprechen über die zweite Staffel der Serie «Am Ende».

Hallo Frau Pluch, hallo Herr Prochaska. Im Mai startet die Serie «Am Ende – Die Macht der Kränkung» in der ZDFmediathek. Wie unterscheidet sich die neue Staffel von «Am Anschlag»?
Pluch:
Ich fange besser damit an, was die beiden Staffeln verbindet: das Thema "Kränkung". Ansonsten gibt es in "Am Ende" ein komplett neues Figurenpersonal, ein neues Setting und die Serie hat auch eine andere Tonalität und Erzählstruktur als die erste Staffel. Sie ist gewissermaßen intimer als "Am Anschlag", setzt mehr auf Drama als Dramatik und geht in der Erzählung weit zurück in die Vergangenheit.

Prochaska: Ich finde auch, dass die zweite Staffel mehr auf Drama als auf Dramatik setzt. In der ersten Staffel war ein großer Fokus auf „Whodunit“. In dieser Staffel geht es mehr darum, wie eine Familie mit einem großen Verlust umgeht, wie Freunde damit umgehen, nicht alles gesagt zu haben. Mich persönlich hat natürlich die Vater-Sohn-Geschichte sehr berührt.

Gab es bereits zu Beginn der Produktion der ersten Runde, die Überlegung, eine zweite Staffel nachzuschieben?
Pluch:
Nein, nicht direkt. "Am Anschlag" war ja eine in sich abgeschlossene Miniserie. Während der Arbeit an Staffel eins hatten aber doch alle Beteiligten das Gefühl, dass das Thema Potential für weitere Geschichten bietet.

Für Außenstehende wirkt es so, als hätte die Produktion von «Am Ende» zwei Jahre gedauert. Wie lief die Entwicklung im Einzelnen ab?
Pluch:
Meist wird seitens der Auftraggeber eine definitive Entscheidung, ob eine weitere Staffel produziert wird, erst getroffen, wenn die erste ausgestrahlt ist. Zum Glück ist "Am Anschlag" sehr gut angekommen. Natürlich haben wir vorher schon über ein mögliches neues Setting nachgedacht, und waren uns einig, dass sich diese Staffel grundsätzlich unterscheiden soll. Eine Variation des schon Erzählten hätte uns alle nicht so interessiert. Die Idee, ein Begräbnis als Ausgangspunkt zu wählen, kam dann von Gudula von Eysmondt (Tivoli Film), als ich ihr von einer Trauerfeier in meinem Familienkreis erzählt habe.

Die Serie wird mit der Trauerfeier von David eröffnet, bei der ein Brief verlesen wird, in der sich der früh Verstorbene an seine Hinterbliebenen wendet. Sind wir auf den Spuren eines «Tote Mädchen lügen nicht»-Stoffes?
Pluch:
Ich habe «Tote Mädchen lügen nicht» damals natürlich gesehen, muss aber gestehen, dass ich bei der Entwicklung von "Am Ende" keine Sekunde daran gedacht habe. Mir ging es eher darum, ein wenig mit Erzählkonventionen zu brechen. Oft werden in Film und TV Menschen im Angesicht des Todes als besonders gütig und versöhnlich gezeigt. Ich wollte von jemandem erzählen, der verzweifelt mit seinem Schicksal ringt und nicht zuletzt deshalb nach einem Grund, vielleicht auch nach einem Schuldigen, sucht. Meiner Meinung nach ist das sehr menschlich.

David wirft seinen Freunden und Bekannten einiges vor. Wie entwickelt sich die Serie?
Pluch:
Davids Brief setzt bei allen Anwesenden etwas in Gang. Einerseits pflanzen sich Schuldzuweisungen und Kränkungen fast wie in einem Schneeballeffekt fort und kulminieren schlussendlich - beinahe - in einer Katastrophe. Andererseits haben wir die Gelegenheit, mit einzelnen Figuren zurück in die Vergangenheit zu schauen. Was mich an Kränkungen sehr interessiert, ist, wie subjektiv sie empfunden werden. Das heißt, oft ist jemand gar nicht bewusst, dass er einen anderen kränkt. Und natürlich wird in der Rückschau in die Vergangenheit auch ein Rätsel gelöst.

Wir bekommen vermutlich auch zahlreiche Szenen aus der Jugendzeit zu sehen?
Pluch:
Ja, manche Ereignisse im Hier und Jetzt haben Wurzeln weit in der Vergangenheit. Ich finde die Frage, wie ein Mensch zu dem wird, der er ist, immer extrem spannend. Wir gehen also in die 90er-Jahre zurück, was ganz nebenbei auch einigen Schauwert hat.

Prochaska: Mich persönlich als Regisseur hat die Erzählweise unserer Staffel sehr gereizt, dass wir ständig in den Zeiten springen. Es war sehr herausfordernd, hier die dramaturgische Erzählung immer im Hinterkopf zu haben und immer sehr nah an unseren Figuren zu sein. Ein großer Strang spielt in der Jugend unserer Protagonisten, also in den 90ern. Ich bin 1983 geboren, also kann ich mich noch sehr gut an diese Zeit erinnern. Es war sehr schön, diese Epoche zu drehen. Die Musik, die Kostüme und die Ausstattung waren einfach toll.

Einigt man sich mit der Produktionsfirma und dem ZDF eigentlich vorher oder nachher auf die Episodenzahl? Wie vermeiden Sie Längen?
Pluch
: Die Episodenzahl steht von Anfang an fest. Das ist ein fixes Format.

Jede Folge widmet sich einer bestimmten Person aus Davids Leben. Warum haben Sie sich für diese Erzählform entschieden?
Pluch:
Wie schon erwähnt, denke ich, dass immer subjektiv ist, was und weshalb etwas als kränkend empfunden wird. Deshalb erscheint es mir nur konsequent, verschiedene Blickwinkel einzunehmen.

Herr Prochaska, warum ging Ihnen die Serie so unter die Haut?
Prochaska:
Ich glaube jeder Mensch beschäftigt sich irgendwann mit dem Tod, vor allem wenn man älter wird. Ich war total überrascht, wie mutig diese Staffel geschrieben war. Denn es ist wirklich keine leichte Kost. Aber ich finde die Staffel schafft es wirklich, uns zum Nachdenken zu bringen. Sie zieht uns in ihren Bann und am Ende gibt es für die Zuschauer hoffentlich einen Moment, indem man über sein eigenes Leben nachdenkt und darüber, wie wir unsere Mitmenschen behandeln. Mich haben unsere Figuren und ihre Geschichte sehr berührt. Natürlich haben mich die Beziehungen zwischen Vater und Sohn und die Geschwisterbeziehung sehr mitgenommen. Ich bin ja selbst Vater, Sohn und Bruder.

Frau Pluch, wie verfasst man wirklich tiefschürfende emotionale Dialoge?
Pluch:
Wenn uns emotionale Dialoge gelungen sind, dann ist das vor allem auch Verdienst der Autorinnen, Marie Theres Thill und Rebekka Reuber, die den Großteil der Bücher ausgearbeitet haben. Ich persönlich kann für mich nur sagen, dass ich letztendlich immer von mir "als Rechercheobjekt" ausgehe. Ich denke, als Autorin muss man sich in alle Figuren hineinversetzen können. Das ist schön, kann aber manchmal auch ziemlich schmerzhaft sein.

Vielen Dank für Ihre Zeit! Ab 5. Mai können die Fernsehzuschauer alle Folgen in der ZDFmediathek anschauen! 17. und 24. Mai laufen ab 21.45 Uhr in ZDFneo je 3 Folgen.

Kurz-URL: qmde.de/141853
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