Interview

‚Einfach machen!‘ – Christian Erdmann über Männlichkeitsbilder und verpasste Chancen

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In der ZDF-Komödie «Ein ganz großes Ding» spielt Erdmann einen Mann im Stillstand – und spricht über Rollenbilder, Timing und verpasste Chancen.

Herr Erdmann, wovon handelt «Ein ganz großes Ding»?
Die ehrgeizige Bürgermeisterin einer verschlafenen Kleinstadt wünscht sich vom eher weniger ehrgeizigen Gatten etwas mehr Engagement in Beruf und Ehe. Das führt zu einer Einladung indischer IT- Fachkräfte, zu grausamen Folterszenen in einer Gartenlaube, zu nackten Geständnissen, zu Dick und Doof in Brandenburg, zu großen Fragen in einer kleinen Stadt, zu einer Million Euro, einem Wintergarten in Bau und zu der Frage, was eigentlich wichtig ist im Leben.

Lennart ist der entspannte Gegenpol zur ehrgeizigen Bürgermeisterin Kristina. Was hat Sie an dieser Rolle besonders gereizt?
Mich hat interessiert, warum jemand wie Lennart nicht erwachsen werden möchte und offenbar mit dem zufrieden ist, was er schon erreicht hat in Ehe und Beruf. Kann man irgendwann auch mal ankommen im Leben und sich im Bleiben einrichten oder muss man immer weiter, immer höher kommen wollen? Muss man immerzu ehrgeizig sein oder reicht Aufmerksamkeit und Wachsein? Warum gibt man seine Träume auf, wann lohnt es sich, für sie zu kämpfen? Muss man für die Liebe einen Drachen töten oder eine Wand verputzen? Und wann ist ein Mann ein Mann? Viele große Fragen, die hier mit komödiantischer Leichtigkeit gestellt werden.

Der Film zeigt eine Kleinstadt zwischen digitalem Chaos und persönlichen Krisen. Wie haben Sie die Stimmung am Set erlebt – eher Comedy oder eher Krimi?
In der Geschichte selbst ist immer Drama und Krimi, die Figuren sind sich ja ihrer Komik in ihren Kämpfen nicht bewusst. Das ist ein großer Verdienst des Autoren Ralf Husmann und vor allem der Regisseurin Frances Meletzky - wirklich komisch wird es nur dann, wenn man die Menschen in ihrer Not ernst nimmt. Also gab es am Set immer beide Seiten - eine große Ernsthaftigkeit, um der Geschichte und ihrer Dringlichkeit gerecht zu werden und eine große Heiterkeit, wenn wir uns der Absurdität dieser Dringlichkeit bewusst wurden.

Lennart wirkt oft wie ein Mann, der sich lieber treiben lässt als Verantwortung zu übernehmen. Haben Sie beim Spielen eher Mitgefühl oder Kopfschütteln empfunden?
Prinzipiell fühle ich beim Spielen mit meinen Figuren mit und habe größtes Verständnis für Ihr Handeln. Alles andere wäre eine Beurteilung und im spielerischen Sinne ein Verrat an Lennart gewesen.
Auch wenn ich privat etwas aufregender und verantwortungsvoller lebe, kann ich Lennarts Sehnsucht nach Stillstand und Ruhe gut nachvollziehen. Toll ist ja aber, dass auch er am Ende der Geschichte über viele Dinge neu nachdenken wird.

Zwischen Wintergarten, Krypto und Hackerverschwörung: Wie haben Sie sich auf diese Mischung aus Alltagswelt und digitaler Überforderung vorbereitet?
Im Mittelpunkt meiner Vorbereitung stand tatsächlich die Frage, wie man heute ein Held werden kann. Wie wird oder bleibt man in einer Zeit und einer Gesellschaft, in der der Begriff der Männlichkeit neu definiert wird, ein gefürchteter Drachentöter, ein abgebrühter Zocker, ein kreativer Hausbauer, ein leidenschaftlicher Liebhaber, ein sensibler und starker Vater und ein achtsamer Ehemann?
Wie überfordernd und ermüdend kann dieser Kampf mit sich selbst sein? Und ist es wirklich notwendig, dass man ihn überhaupt führt? Antworten auf diese Fragen muss der Zuschauende selbst finden.

Ich stelle sie mir in Abwandlungen eigentlich bei jedem Projekt. Und natürlich auch privat.

Der Film lebt auch von Timing und Situationskomik. Wie wichtig war für Sie das Zusammenspiel mit Kolleginnen wie Silke Bodenbender oder Sebastian Schwarz?

Das Timing und das Zusammenspiel ist bei so einer Art von Film essenziell wichtig - hier waren so unfassbar tolle und erfahrene KollegInnen dabei, dass es eine Freude war, ihnen am Set und in den Szenen zu begegnen. Diese Spiellust muss aber auch in den Szenen gebaut, abrufbar und wiederholbar gemacht werden - Husmann, Meletzky und das ganze Team haben da eine großartige Arbeit geleistet. Und gäbe es ein Outtakes-Filmchen, weil es vor Lachen nicht weiterging, er wäre sehr unterhaltsam.
Der richtige Film ist es aber natürlich auch!

Die Geschichte dreht sich auch um Sehnsucht, verpasste Chancen und Neustarts. Welche dieser Themen war für Sie beim Dreh emotional am stärksten?
Alle diese Themen spielten eine große Rolle - am stärksten vielleicht aber doch die Frage nach verpassten Möglichkeiten. Wann hört man warum auf, von einem anderen Leben zu träumen? Und warum leugnet man so oft und so schnell die eigene Verantwortung? Man hat eigentlich immer eine Wahl
- warum nutzt man sie nicht? Jeder kennt sie, die kleinen und großen Entscheidungen. Und jeder kennt sie, die kleinen und großen Momente des Jammerns und Bedauerns, weil an den Mut und die Zuversicht nicht hatte. Die Botschaft des Films könnte auch die sein: Einfach erstmal machen! Nicht reden, nicht planen, sondern anfangen!
Fehler machen, es besser machen, zusammen machen - Hauptsache machen!

«Ein ganz großes Ding» erinnert mit seinem Humor an die Coen-Brüder. Haben Sie diesen Ton bewusst gesucht oder entwickelt sich sowas organisch beim Spielen?
Das war schon eine inszenatorische, spielerische und ästhetische Setzung. Auf sowas muss man sich im Vorfeld einigen, sowas entsteht nicht zufällig beim Drehen. Für mich als Schauspieler entsteht im Weglassen des Schönen, auf der Suche nach dem puren Ton und der direktmöglichsten Begegnung mit dem Gegenüber ein sehr großes Vergnügen.

Lennart trickst, flüchtet, improvisiert – wie viel Impro steckt auch in Ihnen als Schauspieler?
Ich liebe die Improvisation. Am Theater halte ich sie für das wichtigste Instrument, um eine Probe und dann auch eine laufende Vorstellung am Leben zu erhalten - ich rede nicht davon, dass alles aus dem Ruder laufen und im Chaos versinken muss, sondern davon, sich selbst und die SpielpartnerInnen nicht in Ruhe zu lassen auf seiner Suche, sich gegenseitig mit einer Wachheit und Achtsamkeit zu überraschen. Das ist in der Grundverabredung auch beim Film möglich.

Was glauben Sie: Wird das deutsche Publikum eher über die Geschichte lachen – oder auch Parallelen zur Realität erkennen?
Im besten Falle beides. Man wird laut lachen, weil wirklich absurde Dinge passieren. Und man wird etwas weniger laut lachen, weil man sich wiedererkennt.

Wenn Sie persönlich ein „ganz großes Ding“ planen dürften – ganz unabhängig von Film und Fernsehen – was wäre das?

Mein persönliches ganz große Ding wäre eine ganz große und lange Reise.
Nirgendwo habe ich mehr gelernt über Mitmenschlichkeit, über das Leben, über Angst und Zuversicht als auf meinen Reisen. Wenn die Kinder aus dem Haus sind, werde ich mich dieser Herausforderung ganz bestimmt auch wieder stellen.

Danke für Ihre Zeit!

«Ein ganz großes Ding» ist am Donnerstag, den 31. Juli, im ZDF zu sehen. Der Film ist bereits in der ZDFmediathek.

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