Interview

Franz Dinda: 'Wir spielen Menschen, die das Set nie verlassen konnten'

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In «Nürnberg 45 – Im Angesicht des Bösen» schlüpft Franz Dinda in die Rolle von Willy Brandt – und liefert eine eindringliche Performance in einem Film, der historische Präzision mit emotionaler Wucht verbindet.

Im Gespräch erzählt der Schauspieler, warum er seine Figur eher als empathischen Beobachter denn als politische Ikone versteht, was ihn an der Arbeit in Budapest besonders beeindruckt hat und weshalb «Nürnberg 45» für ihn kein Geschichtsdrama, sondern ein dringender Appell an die Gegenwart ist.

Herr Dinda, Sie spielen in «Nürnberg 45 – Im Angesicht des Bösen» Willy Brandt. Wie kam es zu dieser Besetzung – und was hat Sie an der Rolle gereizt?
Da zuvor zwei andere Kollegen mit dem Namen Franz aus zeitlichen Gründen absagen mussten, war es womöglich mein Vorname, der den Caster Marc Schötteldreier auf mich aufmerksam gemacht hat. Eine Ähnlichkeit mit Willy Brandt kann es jedenfalls nicht gewesen sein (lacht). Ich habe mich so oder so sehr darüber gefreut, da ich ja bekanntlich gerne Filme drehe, die nicht nur berieseln wollen.

Willy Brandt ist eine historische Figur mit immensem politischem Gewicht. Wie nähert man sich einer Persönlichkeit, die so präsent im kollektiven Gedächtnis verankert ist?
Gar nicht, da dies in diesem Rahmen gar nicht möglich gewesen wäre. Ich spiele hier also nicht den historischen Willy Brandt, sondern eine beliebige empathische Person aus der Zeit, die interessiert zuhört und gelegentlich Fragen stellt. Die Figur trägt deswegen diesen so bedeutenden Namen, da vielen gar nicht klar ist, dass Brandt die Nürnberger Prozesse als Journalist verfolgt hat. Dennoch sollte der Fokus vollständig auf Ernst Michel und Seweryna Szmaglewska liegen.

Der Film verbindet dokumentarische Genauigkeit mit emotionaler Tiefe. Wie haben Sie die Balance zwischen historischer Verantwortung und künstlerischer Freiheit erlebt?
Die Dreharbeiten waren auch aus künstlerischer Sicht eine absolute Wohltat. Mittlerweile ist es in der deutschen Filmindustrie eher die Regel geworden, auf Proben zu verzichten und dann während der Aufnahmen mit zu wenig Drehtagen von Take zu Take zu hetzen. Filme werden in diesem Zusammenhang häufig „Produkt“ genannt. Bei «Nürnberg 45» ist es Carsten Gutschmidt faszinierenderweise dennoch gelungen, uns den Raum zu geben, die Darstellung dieser historischen Herausforderungen gemeinsam auszuloten.

«Nürnberg 45» erzählt die Geschichte der Prozesse aus Sicht zweier junger Überlebender. Wie haben Sie als Schauspieler diesen emotionalen Zugang zur Geschichte empfunden?
Als die beste Entscheidung. Beide Figuren sind jung und wenden sich auch immer wieder direkt an das Publikum. So gelingt es, eine Verbindung herzustellen und die Zuschauer zum Teil der Geschichte werden zu lassen. Durchweg hat uns beim Spiel die belastende Gewissheit begleitet, dass wir Schicksale von Menschen nachzeichnen, die nicht irgendwann einfach das Set verlassen konnten.

Dreharbeiten fanden unter anderem in Nürnberg und Budapest statt – teils an Originalschauplätzen. Welche Atmosphäre herrschte dort am Set?
In Ungarn oder Tschechien zu drehen ist ein Geschenk. Produktionsfreundlichere Arbeitsauflagen treffen dort auf Filmschaffende, die Film als Kunstform scheinbar mit der Muttermilch aufgesogen haben. Zudem ist die Stadt weniger durchrenoviert, so dass sich weiterhin viele historisch wirkende Motive finden lassen. Wenn Sie einmal dort gedreht haben, muss sich alles andere daran messen lassen.

Neben Ihnen standen Jonathan Berlin, Katharina Stark, Francis Fulton Smith und Wotan Wilke Möhring vor der Kamera. Wie haben Sie das Zusammenspiel innerhalb dieses außergewöhnlichen Ensembles erlebt?
Nicht zu vergessen Max Schimmelpfennig, Rony Herman und Hendrik Heutmann. Das war wirklich außergewöhnlich, weil vollständig uneitel. Alle haben sich in den Dienst der Sache gestellt, wodurch eine magische Synergie entstanden ist, inklusive all der anderen Departments. Es ist doch so: Wenn alle einen guten Job machen, dann fühlt sich plötzlich alles sehr einfach an und sieht auch so aus.

Viele Zuschauerinnen und Zuschauer kennen Sie vor allem aus fiktionalen Rollen. Wie unterscheidet sich das Arbeiten in einem Dokudrama, das so stark auf historische Authentizität angewiesen ist?
Aus meiner Sicht unterscheidet es sich überhaupt nicht, da Sie als Schauspieler immer authentisch wirkende Figuren zu gestalten versuchen. Ausnahmen bilden hier höchstens Biopics von Personen, die wir so gut kennen, dass Sie als Schauspieler gezwungen sind, Körpersprache, Tonlage und Persönlichkeit als Mittel zu übernehmen. Als Darsteller von Michael Jackson könnten Sie sich nicht nur darauf konzentrieren, den Wesenskern des Menschen für die Verkörperung herauszuarbeiten.

Inwiefern hat die Auseinandersetzung mit den Nürnberger Prozessen auch Ihren persönlichen Blick auf Verantwortung, Schuld und Gerechtigkeit verändert?
Als Mensch, der in unseren Zeiten lebt, musste da nichts verändert werden. Wir befinden uns Tag für Tag in der Auseinandersetzung damit, wer wir sind und was wir sein wollen. Dennoch oder womöglich deswegen erstarken rechtes Gedankengut und nationalistische Überzeugungen gewinnen an Zuspruch. Vernunft und Besinnung scheinen immer weniger durchsetzungsfähig zu sein. Als ich zuletzt in Hamburg den Film gesehen habe, kam es mir vor, als wäre das Leben im Hier und Jetzt wie eine erschreckende Fortsetzung des eben Gesehenen. Als könnten wir in 50 Jahren potenziell wieder in einen Film gehen, in dem die Protagonisten zu Beginn «Nürnberg 45» im Kino anschauen und dann hinausgehen in eine Welt, in der sich vieles davon wiederholt.

Der Film wird flankiert von mehreren History-Podcasts in der ARD Audiothek. Wie wichtig finden Sie solche crossmedialen Ansätze, um historische Themen auch für ein jüngeres Publikum zugänglich zu machen?
Das wird sich zeigen. Ich persönlich bezweifle, dass die bloße Qualität eines so wichtigen und gelungenen Films junge Menschen in die Mediathek lockt. Ich würde mir wünschen, dass der Film zum Schulstoff wird, wo er dann seine volle Kraft entfalten könnte.

Die Produktion wurde von allen neun Landesrundfunkanstalten getragen – ein seltenes Gemeinschaftsprojekt. Spürte man am Set, dass dieses Thema für die ARD eine besondere Bedeutung hat?
Diese senderpolitischen Aspekte spielen am Set keine Rolle.

Zum Schluss: Wenn Sie auf dieses Projekt zurückblicken – was hat Sie an «Nürnberg 45» am nachhaltigsten bewegt?
Dass die Liebesgeschichte zweier Menschen, die sich im Lager verliebt und später über den Zeitungsartikel über die Nürnberger Prozesse wiedergefunden haben, tatsächlich so stattgefunden hat. Oder dass Ernst Michel trotz aller erlebter Dunkelheit in einem späteren Interview dennoch so strahlen konnte. Der Film bringt uns früher oder später zum Weinen. Aber er gibt uns dafür auch jene Menschen als Vorbilder mit, die trotz der damaligen Umstände Menschen geblieben sind.

Danke für Ihre Zeit!

«Nürnberg 45 - Im Angesicht des Bösen» ist am Sonntag, den 9. November, um 21.45 Uhr im Ersten zu sehen.

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