Filme des Grauens

«Fred: The Movie»

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Nickelodeon wollte einen YouTuber im Kino vermarkten, doch was als Triumph der Internetkultur begann, endete als filmisches Fiebersymptom.

Es war der Moment, in dem YouTube zum Albtraum wurde: Mit «Fred: The Movie» versuchte Nickelodeon 2010, den hyperaktiven Internetstar Fred Figglehorn auf Spielfilmlänge zu bringen – und scheiterte spektakulär. Kritiker sprachen von einem „filmischen Nervenzusammenbruch“, während Millionen Zuschauer trotzdem einschalteten. Heute gilt das Werk als warnendes Beispiel für die frühe Influencer-Verwertung.

Der Film basiert auf der Figur Fred Figglehorn, erschaffen und gespielt von YouTuber Lucas Cruikshank. Zwischen 2006 und 2009 hatte Cruikshank auf YouTube Millionen junger Fans gewonnen – mit Videos, in denen er mit piepsiger Stimme, überdrehten Grimassen und endlosem Geschrei den Alltag eines neurotischen Teenagers kommentierte. Was im Netz als kurze Slapstick-Eskapade funktionierte, sollte nun zum Familienfilm werden. Produzent Brian Robbins, selbst ehemaliger Nickelodeon-Manager, erkannte das Potenzial und finanzierte das Projekt außerhalb des Studiosystems, bevor Nickelodeon die Fernsehrechte übernahm.

Die Handlung von «Fred: The Movie» wirkt, als sei sie aus einem 5-Minuten-Sketch auf 80 Minuten gestreckt worden: Fred ist ein 15-jähriger Außenseiter mit unerschütterlichem Selbstvertrauen und nervtötender Energie. Er ist in seine Nachbarin Judy (gespielt von der britischen Sängerin Pixie Lott) verliebt, die allerdings mit seinem Rivalen Kevin anbändelt. Als Fred glaubt, Judy sei weggezogen, begibt er sich auf eine irrwitzige Odyssee durch die Vorstadt – vorbei an seltsamen Nebenfiguren, sprechenden Tieren und surrealen Fantasien. Schließlich landet er auf einer Party, blamiert sich komplett, wird im Internet verspottet – und dreht den Spieß um, indem er ein gefälschtes „Super-Party“-Video veröffentlicht, das ihn plötzlich zum Star macht.

Klingt wie Satire auf virale Berühmtheit, war aber genau das Gegenteil: «Fred: The Movie» wurde mit 0 Prozent auf Rotten Tomatoes abgestraft, also ohne eine einzige positive Kritik. Der „Guardian“ bezeichnete ihn als „eine Tortur“, der „New York Times“ schrieb: „Ein Film, der das Publikum um Gnade betteln lässt.“ Und der legendäre BBC-Kritiker Mark Kermode nannte ihn in einem berüchtigten Radio-Rant „einen Angriff auf die Sinne“, bei dem er so laut Freds kreischende Stimme imitierte, dass ihm sein Mikro abgedreht wurde.

Trotz dieser vernichtenden Urteile war der Film ein Erfolg – zumindest auf dem Papier. Die Premiere am 18. September 2010 auf Nickelodeon erreichte 7,6 Millionen Zuschauer, was ihn zum zweitmeistgesehenen Kabel-Fernsehfilm des Jahres machte. In Großbritannien kam er sogar ins Kino und startete auf Platz 8 der Charts. Mit einem Budget von nur vier Millionen Dollar war «Fred: The Movie» also profitabel – und Nickelodeon bestellte prompt zwei Fortsetzungen («Fred 2: Night of the Living Fred» und «Fred 3: Camp Fred»), die beide noch schlechter abschnitten.

Was als Aufstieg eines YouTube-Phänomens begann, markierte gleichzeitig den Beginn seines Abstiegs. Lucas Cruikshank war zwar erst 17 Jahre alt, doch nach dem Film blieb seine Karriere auf der Stelle stehen. Die Fortsetzungen floppten, und seine Rolle in der Nickelodeon-Serie «Marvin Marvin» (2012–2013) wurde nach einer Staffel eingestellt. Heute lebt Cruikshank von Social Media, wo er offen über seine queere Identität spricht und rückblickend selbstironisch auf seine Fred-Zeit reagiert. 2020 sagte er in einem Interview: „Ich war ein Kind, das schrie – und Erwachsene gaben mir Millionen, um weiterzuschreien.“

Auch Regisseur Clay Weiner verschwand nach dem Film weitgehend. In Kommentaren auf der DVD erwähnte er kreative Konflikte mit Drehbuchautor David A. Goodman, einem erfahrenen Comedy-Autor, der zuvor für «Family Guy» schrieb. Goodman habe, so Weiner, eine clevere Mediensatire geplant, während Nickelodeon auf kindgerechte Überdrehtheit bestand. Nach der Veröffentlichung distanzierten sich beide vom Endprodukt. Goodman kehrte ins TV zurück und wurde später Showrunner bei «The Orville» – und erhielt dort endlich die Anerkennung, die ihm bei «Fred» verwehrt blieb.

Produzent Brian Robbins hingegen blieb erfolgreich. Nach dem «Fred»-Desaster übernahm er die Leitung von Paramount Pictures und später Nickelodeon selbst – ironischerweise jenes Studio, das sein Film fast ruiniert hätte. Robbins war auch einer der ersten, der YouTube-Stars systematisch ins Fernsehen holte – ein Konzept, das er Jahre später mit Influencern wie JoJo Siwa wieder aufgriff. Von den Nebendarstellern blieb vor allem Jennette McCurdy (als Freds schräge Freundin Bertha) bekannt. Nach «iCarly» zog sie sich aus der Schauspielerei zurück und veröffentlichte 2022 ihr Bestseller-Memoir „I’m Glad My Mom Died“. Pixie Lott, die britische Popsängerin, blieb ihrer Musikkarriere treu und war in Shows wie «The Voice UK» zu sehen. John Cena, der in «Fred: The Movie» Freds imaginären Vater spielt, nutzte seine Nebenrolle als Sprungbrett für seine Hollywoodkarriere – wenige Jahre später stand er für «Trainwreck» und «The Suicide Squad» vor der Kamera.

Rückblickend ist «Fred: The Movie» vor allem eines: ein Produkt seiner Zeit. 2010 war YouTube noch jung, Influencer galten als exotische Internetphänomene – und niemand wusste, wie man sie vermarktet. Nickelodeon glaubte, die Online-Kultur für Kinder-TV übersetzen zu können, doch die hysterische Energie des Originals zerfiel im 80-Minuten-Format. Der Film wirkt heute wie ein Vorläufer jener gescheiterten Versuche, Internetfiguren auf die große Bühne zu heben – lange bevor TikTok-Stars, Twitch-Streamer oder YouTuber mit Netflix-Deals experimentierten.

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