Das Besondere an Yves Hensels «Loch Dorcha: See der Verdammten» war für mich die Mischung aus Gruselgeschichte und Reise ins Unterbewusste. Zoe, die Hauptfigur mit der wir uns durch die Geschichte bewegen, ist eine Frau, die bei der Erforschung ihrer Wurzeln auf ungekannte Kindheitstraumata trifft. Sie kommt in das abgelegene Dorf Loch Dorcha in die schottischen Highlands, um den mysteriösen Tod ihrer Mutter aufzuklären. Die Dorfgemeinschaft auf die sie trifft, ist undurchdringlich wie eine Wand, nichts aus der Vergangenheit scheint seinen Weg zu Zoe finden zu dürfen. Und dann häufen sich plötzlich weitere Todesfälle und Zoe gerät immer tiefer in einen Strudel aus Gewalt, Horror und Wahn. Schon beim Lesen des Manuskripts hatte ich mehrmals Gänsehaut vor Grusel. Und da ich die schottischen Highlands durch mein Regiedebüt «Falling Into Place», was wir zum großen Teil auf der Isle of Skye gedreht haben, sehr gut kenne, hatte ich große Lust auf dieses Projekt.
In Ihrer Interpretation verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Wahn – wie gelingt es Ihnen beim Einsprechen, solche feinen psychologischen Nuancen hörbar zu machen?
Die immer unklarer werdende Unterscheidung zwischen Realität und Wahn war natürlich schon in der Geschichte und in der Figur vorgegeben. Es war also meine Aufgabe, unter Anleitung unserer tollen Hörbuch-Regisseurin Jana Ronte, Zoe und die anderen Figuren in der Geschichte so authentisch wie möglich zu gestalten. Die Momente, wo Zoe, bewusst oder unbewusst, in eine andere Wahrnehmung abdriftet, waren da besonders spannend. Wann geht man drüber, als wäre nichts, wann lässt man es subtil durchblicken und wann kommt ihre Stimme wirklich komplett entstellt aus ihr heraus. Für mich war es ein großer Spaß da, unter Janas künstlerischer Leitung, herumexperimentieren zu dürfen.
Sie haben als Schauspielerin bereits in vielen Genres gearbeitet. Wie unterscheidet sich das Arbeiten an einem Hörbuch von Ihren Rollen vor der Kamera?
Es war für mich erstmal sehr ungewohnt mehrere Figuren und den Verlauf einer Geschichte nur mit den Mitteln der Stimme zu vermitteln. Ich fand es aber wirklich schön zu erleben, wie man, obwohl man ganz alleine auf einem Stuhl in einem dunklen Tonstudio sitzt und in ein Mikrofon spricht, trotzdem tief in die Erlebnis-, und Gefühlswelt der Charaktere eintauchen kann. Bis hin zu einem körperlichen Echo, wie zum Beispiel ein schnellerer Herzschlag in unheimlichen Szenen.
Loch Dorcha spielt – wie Ihr Kinofilm Falling Into Place – in Schottland. Was fasziniert Sie persönlich an dieser rauen Landschaft?
Die schottischen Highlands haben eine ganz besondere Atmosphäre. Da ist die dramatische Landschaft, Berge, Seen, Moore und das Meer, eingehüllt in immer wiederkehrende Nebelschwaden. Und gleichzeitig ist die Natur leuchtend in den verschiedensten Farben: intensives Gold, Orange und Rot im Herbst und sattes Grün mit leuchtend violetten und kupferfarbenen Blüten der Heide im Sommer. Mit schnellen Wechseln von intensiver Hitze zu plötzlichen Regen,- und Schneestürmen muss man täglich und zu jeder Jahreszeit rechnen. Für mich geht von den schottischen Highlands eine gewisse Melancholie aus und eine unerklärliche Mystik. Die Poesie die darin steckt, habe ich mir für «Falling Into Place» zu eigen gemacht, und die Einsamkeit und das Mystische kommt einer Gruselgeschichte wie «Loch Dorcha» sehr zu Gute.
Sie pendeln zwischen Berlin und London. Wo fühlen Sie sich zu Hause – und in welchem kulturellen Umfeld schöpfen Sie derzeit am meisten kreative Kraft?
Das Pendeln innerhalb Europas bringt meine Tätigkeit als Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin mit sich. Deutsche Produktionen werden momentan viel im Ausland gedreht und auch als Filmemacherin arbeite ich vermehrt im englischsprachigen Raum. Meine kreative Kraft schöpfe ich dabei vor allem aus meinem hohen Interesse an den Möglichkeiten des Mediums Film und aus der Dankbarkeit in einem künstlerischen Beruf tätig sein zu können, der mich nach wie vor inspiriert, herausfordert und durch den ich vieles lerne.
Sie haben mit «Falling Into Place» nicht nur gespielt, sondern auch Regie geführt und das Drehbuch geschrieben. Was hat Sie zu diesem Schritt motiviert – und wie verändert das Ihren Blick auf zukünftige Rollenangebote?
Es war nicht wirklich ein bestimmter Moment, wo ich entschieden hätte, zusätzlich zum Schauspiel auch Regie führen zu wollen oder Drehbücher zu schreiben. Mehr hatte es die Qualität eines ganz natürlichen Flusses, wo eins ins andere übergeht und man einfach seiner Intuition folgt. Zudem habe ich mich bereits im Teenager Alter, schon Jahre vor meinen ersten Schritten ins Schauspiel, mit dem Kreieren von Geschichten und Figuren beschäftigt, damals vor allem auf dem Level von Tanz und Tanztheater.
Sie haben frühzeitig die Schauspielschule verlassen, um Ihren eigenen Weg zu gehen. Was hat Sie damals zu diesem mutigen Schritt bewegt – und würden Sie es heute wieder tun?
Die Schauspielschulzeit war für mich relativ kurz aber sehr lehrreich, insofern, dass ich entdecken durfte, dass es für mich keinen Weg an meiner Intuition vorbei gibt. Bereut habe ich diese Entscheidung nie. Unabhängig davon, dass ich sowieso glaube, dass Lebenswege nicht „machbar“ sind, und alles einfach genauso geschieht, wie es sein soll. Das was für einen bestimmt ist, kommt, das andere geht. Zu meinem Weg gehörte es die Schauspielschule abzubrechen und mich dadurch von dem Traum zu verabschieden, Schauspielerin zu werden. Hätte ich damals gedacht, dass ich trotzdem da landen werde, wo ich grade bin? Auf keinen Fall. Aber ist doch schön oder? Dass man nie weiß, was passieren wird.
Als «Tatort»-Kommissarin wurden Sie einem breiten Publikum bekannt. Gibt es rückblickend etwas, das Sie aus dieser Zeit besonders geprägt oder verändert hat?
Es war einfach eine sehr besondere Zeit. Ich fand es schön, in einem so etablierten und beliebten Format dabei gewesen zu sein. Und ich hatte einfach großes Glück: meine Kolleginnen Rick Okon, Anna Schudt, Jörg Hartmann und Stefan Konarske sind extrem gute SchauspielerInnen und liebe KollegInnen, mit Frank Tönsmann hatten wir einen wunderbaren Redakteur beim WDR und unser Dortmunder Team wurde gern gesehen, vielleicht grade weil wir unseren Charakteren Ecken und Kanten gegeben haben und nicht vor düsteren Tönen zurückgeschreckt sind. Und der Tatort hat mir insofern sicherlich viele Türen geöffnet, weil ich plötzlich, wie Sie ganz richtig sagen, einem breiten Publikum bekannt war und mir auch nach meinem Ausstieg durchgängig interessante und immer wieder unterschiedliche Rollen zugetraut wurden.
Sie arbeiten mittlerweile auch international. Wie unterscheidet sich Ihrer Meinung nach die Arbeit an deutschen Produktionen von der in Großbritannien oder anderswo?
Ich habe gerade die internationale Serie «Apollo has fallen» abgedreht, eine UK Produktion, die ein Spin-off der «Has Fallen» Filmreihe ist und die wir in England, Wales und auf Malta gedreht haben. Es hat mir großen Spaß gemacht, mit wunderbaren SchauspielerInnen, wir Ritu Arya und Richard Dormer zu spielen. Ich glaube dadurch, dass internationale Serien wie «Apollo has fallen» über führende Streamer einen Weltmarkt bedienen, ist der Qualitätsanspruch sehr hoch, einfach weil die Konkurrenz so stark ist.
Bei deutschen Produktionen ist der Schritt raus aus der Comfort-Zone, dem Altbekannten, vielleicht nicht ganz so dringlich, weil die Wettbewerbssituation eine andere ist und sich primär am deutschen Markt orientiert wird. Wobei der Wunsch nach einem jungen Publikum ja immer wieder formuliert wird, und das jüngere Publikum wiederum mit dem weltweit produzierten Angebot der Streamer aufgewachsen ist und dadurch automatisch eine gewisse Qualität gewöhnt ist und einen hohen Anspruch hat. Natürlich gibt es auch bei uns Produktionen und RedakteurInnen, die auf diesen schon längst fahrenden Zug aufspringen, sehr viel mutiger sind und Freude haben, Neues auszuprobieren und sich am internationalen Angebot zu orientieren. Davon darf es gern noch mehr geben. Ein weiteres Thema, neben dem Unterschied von „Spirit“ ist sicherlich auch das einer unterschiedlichen Herangehensweisen was Finanzierungswege und Fördertöpfe angeht, um ein höheres Tempo in die Umsetzung guter Projekte zu bringen. Das ist ein weites Feld, und derzeit wird hier viel darüber nachgedacht, wie man bei uns in Deutschland ein paar dieser Handbremsen aus dem Weg räumen kann. Meine Daumen sind gedrückt, denn ich wünsche mir auch weiterhin meine Projekte aus Deutschland heraus entwickeln zu können, so wie es mir bei «Falling Into Place» möglich war. Deutsch produzierte Filme zu machen, die eine internationale Strahlkraft haben.
Was dürfen wir als Nächstes von Ihnen erwarten – mehr Schauspiel, Regie, Hörbücher oder vielleicht etwas ganz Neues?
Bisher sieht es so aus, als würde es breitgefächert weitergehen, also drücken wir auch hier einfach mal weiter die Daumen!
Vielen Dank für Ihre Zeit!
«Loch Dorcha: See der Verdammten» ist seit 16. Oktober bei Audible verfügbar. Das Erste zeigt «Falling Into Place» am Sonntag, den 2. November 2025, um 23.35 Uhr.
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