Hingeschaut

«ECHT – Unsere Jugend»: Du trägst ganz viel Liebe in dir!

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Frontmann Kim Frank erzählt in drei Folgen von seiner Jugend, die er als Teenie-Schwarm der Band Echt erlebt hat. Herausgekommen sind drei Stunden echte Zeitgeschichte, die mit sehr viel Liebe und Bedacht garniert wurden.

Was ist eigentlich echt? Und damit ist nicht die Band gemeint, um die sich die dreiteilige Dokumentation von SWR, ARD Kultur, MDR, NDR, rbb, BR und Radio Bremen dreht, sondern um das Fernsehen im Allgemeinen. In diesen Tagen wird wahnsinnig viel Reality-TV, also Fernsehen, dessen Prämisse es ist, die Realität abzulichten, auf den Markt gespült. Doch die Wahrheit ist, dass bei solchen Formaten nur selten die wahre Chemie der Personen-Konstellationen ans Tageslicht kommen, sondern nur Ausschnitt an Ausschnitt zusammengefasst werden, um möglichst unterhaltend zu wirken.

Auch im Dokumentations-Genre ist das Bedürfnis nach Unterhaltung inzwischen angekommen. Bei True-Crime-Serien wird oft vergessen, dass es sich um echte Verbrechen mit realen Tätern und Opfern handelt. Die Menschen hinter den Geschichten werden schnell vergessen. Einen ganz anderen Ansatz wählte Kim Frank, Sänger der Band „Echt“, der für die ARD die dreiteilige Doku-Reihe «ECHT – Unsere Jugend» produzierte. Er machte von Anfang an keinen Hehl daraus, dass es keine klassische Dokumentation oder Reportage sei. Sein Ziel war es Coming-of-Age-Filme zu machen, die aus seiner Erinnerung erzählt sind, ohne dabei Sichtweisen von heute einfließen zu lassen.

Dafür nahm er sich zahlreiche Sendungsausschnitte von damals zur Hilfe, in der „Echt“ damals ihre ersten Gehversuche im Fernsehen machten. Es sind Ausschnitte von «Bravo TV» von RTLZWEI, Homestorys des ehemaligen Musiksenders VIVA oder Nachrichtenausschnitte von RTL oder Sat.1. Die Filme sind somit nicht nur eine Reise zurück in die Jugend der Bandmitglieder, sondern gleichzeitig auch in die Vergangenheit des Fernsehens, als das Medium deutlicher roher und unperfekter daherkam. VIVA gab den fünf Jungs, Kim, Kai, Puffi, Gunnar und Flo, sogar einfach selbst eine Kamera in die Hand, damit sie sich in ihrem Privatleben filmen durften.

Das eigentliche Herzstück der Doku-Serie sind aber die zahlreichen echten Privataufnahmen der Band, denn die Bandmitglieder filmten sich auch ohne Senderauftrag gerne im Studio, im Hotelzimmer, hinter der Bühne oder im Tourbus. Franks Geschichte beginnt im Jahr 1998, als die Bandmitglieder zwischen 15 und 17 Jahre waren. Das Publikum erhält tiefe Einblicke, wie das Zusammenleben der fünf Freunde aussah. In den Szenen geht es unter anderem um ungeliebte Playback-Auftritte oder einen Versuch, die ‚Bild‘-Zeitung reinzulegen, indem man nackt über die Reeperbahn lief. Das Unterfangen ging damals gehörig schief und das schmierige Boulevardblatt veröffentlichte nicht dafür vorgesehen Nacktfotos inklusive Geschlechtsteil auf der Titelseite.

Auch Kim Franks Auftritt bei Harald Schmidt war Thema, der letztlich beitrug, dass sich die Band auflösen sollte. Es war damals die erste Schmidt-Show nach den Anschlägen des 11. September 2001. Es sollte nie um Politik oder den Terror gehen. Der damalige Late-Night-Host und heutige Interview-Brandstifter hielt sich aber nicht an absprachen und kam unter anderem auf Wahlen und Drogen zu sprechen. Frank wischte Fragen mit ironischen Antworten beiseite, auch als Schmidt einwarf, dass die Taliban durch Heroin-Handel finanziell profitieren würde. „Ich weiß nicht mal, wo das ist“, antwortete Frank zwar mit ernster Miene aber eindeutig ironisch. Es folgte eine „Wie dumm darf ein Popstar sein?“-Schlagzeile der ‚Bild‘ und eine nicht abgesagte, weil nicht ausverkaufte Tour. Frank entschuldigte sich zwar an anderer Stelle für die im Angesicht der damaligen Zeit schlecht gewählten Worte, doch in der Band rumorte es ohnehin schon längst hinter den Kulissen.

Die fünf Teenager hatten andere Vorstellungen vom weiteren Weg der Band. Streit habe es keinen gegeben, das betonte man sowohl damals als auch heute mit Nachdruck. „Echt“ war eine Ansammlung von Freunden, die viel Verständnis füreinander hatten, tragischerweise aber zu selten miteinander teilten. Womöglich wäre „Echt“ nach nur vier Jahren von der Bühne verschwunden, sondern hätte, wie Kim Frank damals glaubte, für immer Bestand gehabt. In einer Weise hat er damit Recht, nur die Öffentlichkeit hat bis dato nichts davon erfahren. Die Schulfreunde treffen sich seit einigen Jahren wieder zum regelmäßigen Austausch. Dabei entstand im Februar 2022 auch die Idee, das erstaunliche Videomaterial für diese Doku zu nutzen.



„Ich frage mich schon“, so Kim Frank im Interview mit Quotenmeter vor einigen Wochen, „warum wir uns damals so viel gefilmt haben, insgesamt habe ich 240 Stunden Material von unserer Kamera“. Nach dem Anschauen kann man sich bei ihm nur bedanken für eine wirklich toll erzählte und sehr stimmige Doku-Serie. Die Musik von „Echt“ geht auch nach 20 Jahren noch ins Ohr und bleibt dort über Stunden hinweg hängen. Während die Doku-Reihe ausschließlich mit Archivmaterial erzählt wird, schlägt sie auch immer wieder hochaktuelle Töne an. Durch die Depression von Gitarrist Kai Fischer und die Panikattacken von Kim Frank ist mentale Gesundheit ein ständiger Begleiter der Doku. Frank fordert in seinem Off-Kommentar geradezu nach noch mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz für psychische Krankheiten, da er diesen um die Jahrtausendwende viel zu wenig Beachtung geschenkt hatte.

Obwohl „Echt“ immer wieder „Du trägst keine Liebe in dir“ sangen, trifft dieser Satz keineswegs auf die Bandmitglieder zu. Sie sorgen sich 20 Jahre nach der Trennung der Band noch immer sehr umeinander. Und Kim Frank hat mit seiner Doku-Serie, anderen Ende die inzwischen 40-jährigen Jungs zu Wort kommen, ein facettenreiches Werk geschaffen, das ganz viel Liebe in sich trägt.

«Echt – Unsere Jugend» ist seit November 2023 in der ARD Mediathek.

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