Die Kritiker

«Spuren des Bösen – Schuld»

von

Der Verhörspezialist Richard Brock sitzt mit blutverschmierten Händen vor einem Container irgendwo an der Donau in Wien. Er zittert. Wirkt apathisch. Etwas Fürchterliches ist geschehen. Was genau? Das erzählt der neunte Fall des Psychologen, ein Film, der keine Gefangenen macht.

Stab

DARSTELLER: Heino Ferch, Jürgen Maurer, Sabrina Reiter, Katrin Bauerfeind, Gerhard Liebermann, Gerda Drabek, Ulli Maier, Daniel Keberle
REGIE: Andreas Prochaska
AUTOR: Martin Ambrosch
KAMERA: David Slama
MUSIK: Matthias Weber
SCHNITZ: Birgit Alava Ordoñez
Das Bild des verzweifelten Verhörspezialisten bildet den Prolog von «Schuld», das Verbrechen hat demnach bereits stattgefunden. Aber wer ist das Opfer? Und warum hält der Psychologe auch noch eine Waffe in seinen Händen? Schnitt – drei Tage vorher. Brock wirkt von den Blessuren der letzten Jahre, die ihn zeitweise an den Rollstuhl gefesselt haben, erholt. Mehr noch als das: Mit der Psychologin Brigitte Klein ist eine neue Liebe in sein Leben eingezogen. Brigitte, die ursprünglich von Brocks Tochter engagiert wurde, einen Blick auf ihren launischen Vater zu werfen, ist nicht nur in seine Wohnung eingezogen, sie hat auch gleich ihre Kinder mitgebracht. Brock, ein notorischer Einzelgänger, der seit dem Selbstmord seiner Ehefrau nicht mehr als behandelnder Psychologe arbeiten darf (da er aufgrund eines Behandlungsfehlers an ihrem Suizid eine Mitverantwortung trägt), scheint wie ausgewechselt, ja direkt freundlich. Sogar an der Uni, an der er als Dozent arbeitet, lässt er sich zu kleinen Humoresken im Rahmen seiner Vorlesungen hinreißen. Und dann ist da ja auch noch seine Tochter, die selbst als Polizistin arbeitet und ihn nun auch noch zum Großvater gemacht hat. Das Leben scheint sich mit diesem Mann versöhnt zu haben und nichts deutet darauf hin, dass die Vergangenheit noch eine gegenwärtige Rolle in seinem Leben spielen würde. Wäre all das, was er Brigitte, seiner Tochter, seinen Studenten vorlebt, nicht nur eine Fassade, hinter der er den alten Brock versteckt. Einen Brock, der den Taxifahrer Klaus Tauber unter anderem dafür bezahlt, den Polizisten Gerhard Mesek zu beschatten. Mesek hat vor Jahren einen korrupten Polizisten erschossen – nachdem dieser sich gestellt hatte. Mesek ist ein Mörder und offenbar Kopf eines ganzen Netzwerkes von Ermittlern, die ihre Position ausnutzen, um ihre eigenen Spielchen zu spielen. Um seine Ermittlungen gegen Mesek gegenüber Brigitte und seiner Tochter zu verheimlichen, hat Brock am Donauhafen einen Container gemietet und in diesem ein regelrechtes Ermittlungsbüro eingerichtet, in dem er Fotos und Akten sammelt. Indizien, die langsam zu Beweisen werden und dafür sorgen sollen, Mesek das Handwerk zu legen.
Dumm nur, dass Mesek Brocks private Ermittlungen nicht verborgen bleiben.

«Schuld» ist dunkel, düster, brutal. Kammerspielartig wirkt die Inszenierung, die ihren Fokus ganz und gar auf Brock und Mesek richtet. Dabei erlaubt die Inszenierung den Zuschauern gleich zweimal einen Wissensvorsprung. Zum einen ist da der Prolog, der Brock mit blutverschmierten Händen zeigt. Die Zuschauer wissen somit von Beginn der Erzählung an, dass in drei Tagen etwas Fürchterliches geschehen wird. Aber was? Den zweiten Wissensvorsprung gewährt Regisseur Andreas Prochaska seinem Publikum gegenüber ihrem Protagonisten Richard Brock. Brock ist natürlich der „Held“ - der, im Gegensatz zur Zuschauerschaft, keine Ahnung davon hat, dass Mesek ihm bereits auf die Schliche gekommen ist.

Martin Ambrosch hat ein in sich schlüssiges, von seinen Charakteren getriebenes Drehbuch geschrieben, David Slama, einst Stamm-Kamera des Ruhrgebiets-Chronisten Adolf Winkelmann, sorgt für dunkle Bilder, die Wien wie eine einzige Leichenkammer wirken lassen; unheilvoll liegt die Musik Matthias Webers über dem Geschehen. Heino Ferch bietet in der Hauptrolle gediegenes Schauspiel, Jürgen Maurer überzeugt als Drecksack-Polizist, der, wenn es sein muss, über Leichen geht und keinen Zweifel daran aufkommen lässt, dass er genau weiß, was er macht. Dieser Gerhard Mesek ist kein Mann, der irgendwann einmal schwach geworden und dann in die Illegalität abgerutscht ist. Mesek ist vielmehr eine selten gewordene Figur im Kriminalspiel mit all seinen gebrochenen Charakteren: Dieser Mesek ist ganz einfach abgrundtief böse. Er ist ein Mann, der genau weiß, was er macht, ein Polizist, der die Uniform des Schutzmannes alleine dafür verwendet, seine eigene Liederlichkeit vor der Welt zu verbergen, um aus dieser Uniform heraus (allein dem Eigennutz verpflichtet) seine schändlichen Taten zu verrichten – mit dem einzigen Ziel der persönlichen Bereicherung.

Demnach gibt es an diesem Kriminalfilm nichts auszusetzen?

An dem Film als solchen nicht. Sehr wohl aber an der Produktions- und Ausstrahlungspolitik von ORF und ZDF, die diesem Film nicht wirklich bekommt. Ein erster Spielfilm der Reihe «Spuren des Bösen» wurde im Januar 2012 in Deutschland und Österreich ausgestrahlt. Ein zweiter Spielfilm folgte im Spätherbst des Jahres, es folgten weitere Produktion in etwa in einem Jahresrhythmus. Das ist nicht zu bemängeln, jeder der Spielfilme erzählte eine in sich geschlossene Geschichte. Zwar gab es immer auch episodenübergreifende Entwicklungen bezüglich der Hauptcharaktere, die aber fielen vergleichsweise sanft aus und stellten Neueinsteiger in diese Spielfilmreihe nicht wirklich vor Verständnisprobleme.

Für «Schuld» lässt sich das so leider nicht sagen, denn «Schuld» ist de facto der Abschluss einer Trilogie im Rahmen der Spielfilmreihe – deren Ausstrahlungsrhythmus in diesem Fall ein echtes Problem darstellt.

Das erste Zusammentreffen zwischen Brock und Mesek fand im Rahmen des Spielfilmes «Wut» am 29. Januar 2018 im ZDF statt. Im ORF jedoch folgte die Ausstrahlung erst am 7. April 2019, über ein Jahr später. Der zweite Spielfilm der (de facto-)Trilogie folgte am 25. August 2019 (ORF, beziehungsweise 2. September 2019 im ZDF) – und am 31. Januar diesen Jahres feierte «Schuld» seine Premiere in der Alpenrepublik. Selbst wenn man einmal die Vermutung aufstellt, dass Corona an dieser späten Ausstrahlung des dritten Teils nicht ganz unschuldig sein dürfte, wird in «Schuld» eine Geschichte als präsent vorausgesetzt, deren Teile eins und zwei vor zwei beziehungsweise drei Jahren ausgestrahlt worden sind. Und das ist ein Problem: «Spuren des Bösen» ist kein popkulturelles Großereignis, dessen neuestes „Abenteuer“ von einer riesigen Fangemeinde Jahr für Jahr sehnsüchtigst erwartet wird - einer Fangemeinde, die vor der Veröffentlichung eines neuen Teils noch schnell den letzten Film aus dem DVD-Regal holt, um ihren Wissensstand kurz etwas aufzufrischen. «Spuren des Bösen» ist Gebrauchsfernsehen. Was nicht negativ zu verstehen ist. Die Serie erfüllt ihren Zweck der abendlichen Unterhaltung, und das auf einem durchaus gehobenen Niveau. Da gibt es nichts zu bemängeln. Nur einen Spielfilm aufs Publikum loszulassen, der im Grunde verlangt, dass man sich als Zuschauer an Ereignisse erinnert, die Jahre zurückliegen – das ist, vorsichtig ausgedrückt, mutig. Zwar bietet der Film eine Art Rückblick ab Minute 22, in dem Brock anhand von Fotos auf der „Bürowand“ in seinem Container einer Figur dieses Filmes – stellvertretend für die Zuschauerschaft – die wichtigsten Charaktere der Story und ihre Geschichten kurz vorstellt. Diese Szene aber kann nur einen sehr rudimentären Rückblick bieten. Wer keinen der beiden Vorgängerfilme «Wut» und/oder «Sehnsucht» gesehen hat, kommt in diesem Film immer wieder an die Grenzen des Verständnisses, denn «Schuld» schließt die Trilogie im Rahmen der Reihe ab und setzt letztlich ein Wissen um deren Geschehnisse voraus, das vielen Zuschauerinnen und Zuschauern schlicht fehlt. Sei es, weil sie die Filme nicht kennen – oder sie sich einfach nicht erinnern, weil sie nun einmal Jahre zurückliegen.

Es wäre ein löblicher Plan für die Zukunft, die Abstände zwischen Filmen dieser Art ein ganz, ganz klein bisschen zu verkürzen.

«Spuren des Bösen – Schuld» ist am Montag im ZDF zu sehen.

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