Die Kritiker

«The Morning After»

von

Eine zartfühlende Serie über eine junge schwarze britische Frau in Südafrika mit einem Alkoholproblem? Was zunächst überfrachtet klingt, entpuppt sich schnell als wahnsinnig stimmig.

Es gibt diesen einen Moment, an dem man unwillkürlich innehält: Eine junge Frau liegt nackt im Sand am Strand – verwirrt, ausgeraubt und mit einem Kater, der mehr ist als nur das Resultat einer durchzechten Nacht. Es ist der Auftakt zu «The Morning After», der neuen achtteiligen Dramedy-Serie, die derzeit in der ARD-Mediathek und bei One zu sehen ist. Was mit Slapstick beginnt, entwickelt sich bald zu einer sensiblen Charakterstudie, verpackt in ein schillerndes Partypanorama, das so leicht daherkommt, wie es in Wahrheit schwer wiegt.

Im Zentrum steht eine Frau namens Nina, gespielt von der bemerkenswert präsenten Amara Okereke, eine junge Sängerin aus Hull, die mit sich selbst und ihrer Sucht ringt. Nach einem katastrophalen Abend strandet sie im wortwörtlichen Sinne des Wortes in Kapstadt, fern der Familie und fern jeder Verantwortung. Doch das, was als Eskapismus beginnt, entpuppt sich als Konfrontation mit dem eigenen Abgrund.

Die Serie macht aus dieser Prämisse kein düsteres Sozialdrama – und genau darin liegt ihre Stärke. «The Morning After» gelingt das Kunststück, ein hochkomplexes Thema wie Alkoholismus nicht zu trivialisieren und gleichzeitig nicht mit pädagogischem Zeigefinger zu inszenieren. Stattdessen vertraut sie auf die emotionale Intelligenz ihrer Figuren und ihrer Zuschauer. Nina ist keine tragische Heldin, sondern eine widersprüchliche junge Frau, die immer wieder strauchelt, charmant, wütend, verletzlich – nie aber klischeehaft. Dass sie sich zunächst in einem entspannten Strandhausleben einfügt, ist nicht als reines Vergnügen inszeniert, sondern als betäubende Bewegung in der Schwebe zwischen Freiheit und Flucht.

Ihr privates Umfeld – bestehend aus Michaela, Mandisa, Justin und Cleo – ist mehr als eine bloße Ansammlung bunter Sidekicks. Sie alle bringen ihre eigenen Träume, Neurosen und Widersprüche mit. Besonders hervorzuheben ist Tarryn Wyngaards Cleo, deren kühle Professionalität als Anwältin mit einem chaotischen Innenleben kollidiert. Ebenso stark: Carmen Pretorius als Michaela, die zwischen Selbstverwirklichung und emotionaler Orientierungslosigkeit taumelt. Ihre Dialoge, geschrieben unter anderem von Karen Jeynes und Nompumelelo Ngqula, sind scharf, humorvoll und mitunter von erschreckender Wahrhaftigkeit.

Die südafrikanische Landschaft ist dabei mehr als nur Kulisse. Kapstadt, inszeniert in hellen, luftigen Bildern, wirkt wie ein Spiegelbild der Figuren: offen, flirrend, manchmal schön, manchmal gnadenlos. Auch das Tempo der Serie trägt dazu bei, dass sich ein angenehmer Rhythmus einstellt, der dem Stoff Raum gibt, ohne sich in Langatmigkeit zu verlieren. Die Inszenierung lässt zu, dass ernste Momente in den Alltag der Figuren einsickern, ohne ihn zu erdrücken. Das Komische wird nicht vom Tragischen getrennt, sondern greift ineinander, wie im Leben selbst. Die kulturelle Vielstimmigkeit des Casts, die Diversität der Erzählperspektiven und der selbstverständliche Umgang mit queeren, nicht-binären und transkulturellen Identitäten verleiht der Serie derweil eine Authentizität, wie sie im deutschen Serienangebot bisher selten ist.

So leicht und sommerlich das Format daherkommt – das, was darunter liegt, ist tiefgründig. Nina muss sich nicht nur mit einem Leben auseinandersetzen, das sie aus der Bahn geworfen hat, sondern mit einem inneren Bruch, der sich nicht durch Sonne, Strand und sangriafarbene Sonnenuntergänge kitten lässt. Die Serie hält sich zurück mit moralischen Urteilen – sie zeigt, wie schwer es ist, ein Problem als solches zu erkennen, und wie viel Mut es braucht, es anzugehen. «The Morning After» ist damit keine Erweckungsgeschichte, sondern eine zärtliche Erzählung über das Verdrängen, über Hoffnung und das fragile Netz von Freundschaft. Eine Serie, die sich das Leichte erlaubt, ohne das Schwere zu leugnen – und damit genau den Ton trifft, den man allzu selten hört. Ein seltenes Kleinod im Serienjahrgang 2025.

Alle acht Folgen von «The Morning After» sind zum Streaming in der ARD-Mediathek auf Abruf.

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Kurz-URL: qmde.de/163023
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