Die Kritiker

«Tatort - Rapunzel»

von

In Zürich wird die Tochter eines Star-Coiffeurs ermordet: ein Stoff, der die Ermittlerinnen in eine haarige Unterwelt führt.

Stab

Darsteller: Anna Pieri Zuercher, Carol Schuler, Rachel Braunschweig, Aaron Arens, Babett Arens, Peter Jecklin
Musik: Fabian Römer
Kamera: Michael Saxer
Drehbuch: Adrian Illien
Regie: Tobias Ineichen
Es geht diese Woche um Haare. Und eine Frau, die auf einmal tot in einer Baumkrone hängt, ihre Haarpracht halb abrasiert: halb Märchenmotiv, halb Albtraum, aber doch mit einer Ästhetik wie aus dem Hochglanzkatalog des Zürich-Establishments. «Rapunzel» ist ein «Tatort», der Sozialkritik sein will, aber auch Märchenmotive spielt, und Thriller und Zwingli-Glamour noch dazu. Manchmal – gar nicht so selten – kriegt er das auch hin. Aber eben nicht immer.

Da sind sie wieder: Grandjean und Ott. Die beiden ungleichen Ermittlerinnen mit dem unausgesprochenen Dauerknirschen. Anna Pieri Zuercher wie immer aufgeräumt in der Stirn, Carol Schuler etwas verwuschelter in der Seele – man kennt das Duo inzwischen, man schätzt die Dynamik. Auch diesmal gelingt es den beiden, den Fall mit Würde und wacher Präsenz durch den dramaturgischen Nebel zu führen. Doch der Nebel lichtet sich nicht überall.

Die Story kommt wirklich hochambitioniert daher: Haare von den Armen für die Reichen, Echthaarhandel als symbolisches Machtspiel, Kapitalismuskritik zwischen Schere und Shampoo. Eine junge Frau, Vanessa Tomasi, wird ziemlich übel gemeuchelt. Ihre Mähne – halb entfernt, halb Spur. Sie war Auszubildende in einer noblen Perückenmanufaktur. Ihr Vater? Star-Coiffeur. Der Verdacht? Ein ganzes Netzwerk aus Gier, Schuld und geschnittenen Biografien. Klingt gut. Klingt nach Kino. Klingt nach: bitte nicht versemmeln.

Und doch: Manchmal franst die Inszenierung aus wie ein schlecht geföhnter Pony. Da sind diese Momente, in denen man spürt, wie stark das Thema sein könnte – Menschen, deren Identität mit jeder Strähne verkauft wird, ein unterirdischer Bunker als Herz der Finsternis – doch dann kippt es. In Symbolismus, in Behauptung, in Glanzlicht-Pathos. Der Plot zwirbelt sich um sich selbst wie ein Lockenwickler – und die Figuren verlieren sich darin.

Adrian Illien, sonst eher für Historiendrama bekannt, schreibt sich mit «Rapunzel» an die Front der Krimiliteratur – mutig, durchaus clever, aber nicht ohne Stolperstellen. Der größte Lichtblick tritt in Gestalt von Stephanie Japp als Aurora Schneider auf – so kontrolliert, so bitter, so groß. Auch Rachel Braunschweig als Staatsanwältin Wegenast bringt wieder diese souveräne Mischung aus Entnervung und Scharfblick.

Visuell gelingt Regisseur Tobias Ineichen indes so einiges: Zürich wirkt gleichzeitig sauber und düster, mit einem Ausflug in einen ziemlich angsteinflößenden Bunker: der echte Horror. Da glimmt die Serie auf. Da zeigt sie, wie nah Schönheit und Schrecken beieinanderliegen, wie dünn die Trennlinie zwischen Haarschmuck und menschlichem Verlust sein kann.

Aber dann: wieder eine Szene zu viel, ein Motiv zu glatt, ein Verdächtiger zu sichtbar. Man wünscht sich eine Frisur mit mehr Undone-Charme. Mehr Mut zum Chaos. Weniger Haarspray, mehr Eigensinn. Fast so, als hätte man Angst gehabt, den Stoff wirklich zu verstrubbeln.

Fazit? «Rapunzel» ist ein «Tatort», der sich was traut – inhaltlich, atmosphärisch, konzeptuell. Aber das große Märchen bleibt aus. Es bleibt bei einem gut gemeinten Drama, das seine stärksten Momente hat, wenn es leise wird, nicht laut. Und wenn es das Haar mal nicht in der Suppe sucht, sondern im Spiegel. Immerhin: ein Fall, der hängen bleibt. Nicht ganz glatt – aber mit genug Spliss, um darüber zu reden.

Der Film «Tatort – Rapunzel» wird am Sonntag, den 15. Juni um 20.15 Uhr im Ersten ausgestrahlt.

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