Stab
Darsteller: Anton Spieker, Seyneb Saleh, Hanna Plass, Nico Rogner, Jan-Gregor Kremp, Virginia LeithäuserMusik: Birger Clausen
Kamera: Andreas Höfer
Drehbuch: Sathyan Ramesh
Regie: Ingo Rasper
Die Prämisse klingt zunächst reizvoll: Zwei Menschen, Mely (Seyneb Saleh) und Paul (Anton Spieker), begegnen sich auf ihren jeweils eigenen Junggesell:innenabschieden – und zwischen ihnen funkt es derartig heftig, dass ihre ohnehin bald zu schließenden Ehebünde plötzlich ins Wanken geraten. Es entsteht das klassische „Was wäre wenn?“-Szenario, aufgeladen mit zeitgenössischer Beziehungsambivalenz, urbanem Flair und einer Prise Schicksalsmagie.
Doch wo andere Filme – etwa Richard Linklaters «Before Sunrise»-Trilogie – aus dem Zufall Poesie schöpfen, bleibt Raspers Inszenierung merkwürdig unentschieden. Es fehlt dem Film an formaler Konsequenz und dramaturgischer Klarheit. Zwar entfaltet sich der emotionale Konflikt glaubwürdig, auch dank der feinfühligen Darstellung der Hauptdarsteller, doch die narrative Struktur wirkt mitunter fahrig. Die wiederholten Begegnungen zwischen Mely und Paul wollen sich nicht recht zu einem erzählerischen Bogen fügen. Zu oft scheint der Zufall hier ein dramaturgisches Alibi zu sein, kein organischer Bestandteil der Geschichte.
Tatsächlich trägt «Nächte vor Hochzeiten» eine interessante Ambivalenz in sich. Die romantische Fiktion vom „einen Menschen“, der alles verändert, steht hier im Widerspruch zu den bestehenden, nicht unglücklichen Beziehungen der Protagonisten. Regisseur Rasper und das Drehbuch von Sathyan Ramesh geben sich Mühe, dieses Spannungsfeld nicht vorschnell aufzulösen. Stattdessen fragen sie: Darf man dem Rausch des Moments nachgeben, wenn dadurch andere verletzt werden? Oder ist es verantwortungsvoller, das plötzliche Begehren zu unterdrücken?
Diese Fragen sind legitim – und stellen sich in diesem Film in leisen, gut beobachteten Szenen, etwa wenn Mely inmitten ihrer Hochzeitsvorbereitungen innehält, weil sie plötzlich nicht mehr weiß, ob das Leben, das sie führt, tatsächlich das ihre ist. Seyneb Saleh spielt diese innere Zerrissenheit mit bewundernswerter Subtilität, ihr Mienenspiel oszilliert zwischen Freude und Verzweiflung. Auch Anton Spieker gelingt es, Paul nicht als Opfer oder Verführer, sondern als zögernden Suchenden zu zeichnen, dem sein eigenes Begehren unheimlich wird.

Unterm Strich bleibt «Nächte vor Hochzeiten» damit ein Film, der sein Potenzial nur zum Teil ausschöpft. Zwischen Momenten echter emotionaler Tiefe und Szenen, die wie dramaturgisches Füllmaterial wirken, schwankt die Erzählung stets äußerst unstet. So entstand ein Film, der sich nicht entscheiden kann, ob er von der Unentrinnbarkeit des Schicksals oder von der Freiheit des modernen Menschen erzählen will – und gerade in dieser Unentschlossenheit liegt seine Schwäche. Aber vielleicht auch sein Reiz.
Der Film «Nächte vor Hochzeiten» wird am Samstag, den 9. August um 20.15 Uhr im Ersten ausgestrahlt.
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