Interview

Benjamin Herrmann: ‚Die Aktivitäten der Filmakademie gehen weit über den Filmpreis hinaus‘

von

Produzent, Verleiher und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Filmakademie Herrmann erläutert, wofür der gemeinnützige Verein steht.

Hallo Herr Herrmann! Die Deutsche Filmakademie feiert nun ihren 20. Geburtstag. War die Gründung vor zwei Jahrzehnten umstritten?
Ich selbst war kein Gründungsmitglied der Deutschen Filmakademie, sondern konnte erst ein paar Jahre später Mitglied werden, aber es gab damals eine große Aufbruchstimmung und die Überzeugung, dass es nicht sein kann, dass ein Land mit einer derart großen Kinofilmtradition keine eigene Filmakademie hat. Vor 20 Jahren stand natürlich im Vordergrund, dass der Deutsche Filmpreis nicht mehr von einer Jury aus „Kirchenvertreter.innen und Politiker.innen“ vergeben werden sollte, sondern von den Filmschaffenden selbst, wie das in ziemlich allen anderen Ländern der Fall war. Diese Änderung in der Vergabepraxis hat natürlich Sorge bei denjenigen Filmemacher.innen ausgelöst, die bislang mit Juryentscheidungen gut gefahren sind, aber die große Mehrheit der Branche fand den Schritt überfällig. Und der damalige Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Preisstifter, ließ sich überzeugen, dass dieser Preis der BKM durch die Deutsche Filmakademie vergeben wird.

Unsere Leser möchten wissen: Wofür setzt sich die Deutsche Filmakademie ein?
Die Deutsche Filmakademie macht sich ganz allgemein für den deutschen Film stark. Das macht sie natürlich durch den Deutschen Filmpreis und alles was im Vorfeld dazu passiert, wie die Lola Talks mit den Nominierten. Das macht sie aber auch durch öffentliche Filmveranstaltungen oder Podcasts. Filmpolitisch setzt sie sich dafür ein, dass die Rahmenbedingung des Filmemachens so sind, dass kreativ und wirtschaftlich erfolgreiche Filme überhaupt entstehen können. Das bedarf viel politischem Feingefühl, Geduld und Vermittlung zwischen den unterschiedlichen Interessen. Auch die Nachwuchsförderung und die Filmbildung sind zwei sehr wichtige Aspekte der Arbeit der Deutschen Filmakademie. Hier wird durch den First Steps Award, unsere Filmklassiker-Reihe oder neue digitale Angebote, wie "Filmwissen online“ der Nachwuchs sowohl im Bereich der Filmemacher.innen als auch der Zuschauer.innen gefördert.

Und als gemeinnütziger Verein ist uns natürlich auch das gesellschaftspolitische Engagement ein großes Anliegen. So spielen eine diversitätsorientierte Entwicklung der Akademie aber auch der Branche insgesamt und das Thema Nachhaltigkeit & Klima in unserer Arbeit eine entscheidende Rolle. Mit vielen kleinen und großen Projekten, zum Beispiel dem Stipendienprogramm für Filmschaffende in der Ukraine, dem Einsatz für politisch verfolgte Filmschaffende im Iran, Russland oder anderswo, den kostenlosen Kinovorführungen für geflüchtete Familien oder integrativen Workshops an Schulen, möchten wir Haltung zeigen und etwas bewegen.

Die Aktivitäten und Initiativen der Deutschen Filmakademie gehen also weit darüber hinaus, „nur“ den Deutschen Filmpreis zu verleihen. Der ist inzwischen tatsächlich nur noch ein (großes) Projekt unter vielen.

Mit der Gründung der Deutschen Filmakademie wurde auch das Verfahren des Deutschen Filmpreises geändert. Sind Sie mit einer Akademie zufrieden?
Die Vergabe von Preisen ist immer mit Enttäuschungen bei denjenigen verbunden, die sich nicht gesehen oder gewertschätzt fühlen. Das ist beim Deutschen Filmpreis nicht anders, vor allem, da über die Auszeichnungen von den Kolleg:innen in den jeweiligen Gewerken abgestimmt wird. Dennoch bin ich überzeugt, dass nur ganz wenige Filmschaffende zurück zu Juryentscheidungen wollen – die ja seinerzeit heftig kritisiert wurden. Die Deutsche Filmakademie hat über die Jahre das Wahlverfahren intensiv optimiert und ich glaube, dass wir inzwischen ein ziemlich überzeugendes, transparentes und faires Verfahren haben. Für die Nominierten und Preisträger.innen selbst ist der Deutsche Filmpreis, eben weil er von Kolleg.innen vergeben wird, eine besonders wirkungs- und ehrenvolle Auszeichnung.

Sie folgten damit der amerikanischen Filmakademie, die ebenfalls aus Mitgliedern die Filmpreise bestimmt. So ein Verfahren ist gerechter. Was kostet die Abstimmung der Filmpreise?
Den einreichenden Filmemacher.innen und unseren Mitgliedern ist es wichtig, dass die Filme in optimaler Qualität gesichtet werden können. Die Kosten des Verfahrens werden daher von den Einreicher.innen und der Filmakademie gemeinsam getragen. Im Gegensatz zum früheren DVD- und Wahlscheinversand ist das Verfahren aber vor allem für die Einreicher.innen günstiger geworden. Und es ist auch viel nachhaltiger, zumal inzwischen fast alles digital abläuft: die Einreichung, die Sichtung, die Abstimmung.

Früher mussten die Mitglieder für den Filmpreis in ausgewählten Kinos die Filme sehen. Wie hat sich das Verfahren und die Organisation in den vergangenen Jahren verändert?
Niemand muss Filme im Kino sehen – man darf es. Die Mitglieder der Deutschen Filmakademie mussten auch die zur Wahl stehenden Filme nicht im Kino sehen, sie konnten es aber und können es bis heute. Bis vor einigen Jahren wurden die Filme jedem Mitglied per DVD zur Verfügung gestellt, heute gibt es, wie bei den Oscars, eine Onlineplattform, auf die alle Filme gestreamt werden können. Dennoch fordern wir die Mitglieder regelmäßig auf, die Filme im Kino zu sehen – denn dafür sind sie ja gemacht.

Im kommenden Jahr können alle Mitglieder Filme vorschlagen. Reagieren Sie damit auf die Kritik von mehreren Mitgliedern, dass «Roter Himmel» von Christian Petzold nicht vertreten war?
In der Tat hat die Mitgliedschaft das bislang gültige dreistufige Wahlverfahren mit Vorauswahl, Nominierung und Wahl geändert. Ab dem kommenden Filmpreis werden den Mitgliedern nicht mehr eine bereits eingedampfte Auswahl an auszeichnungswürdigen Filmen vorgelegt, über die eine Vorauswahlkommission nach Sichtung aller Filme im Kino entschieden hat, sondern es werden alle eingereichten Spiel-, Dokumentar- und Kinderfilme den 2.200 Mitgliedern der Deutschen Filmakademie zu Sichtung zur Verfügung gestellt. Die Vorauswahl entfällt damit und das ist ein Segen, denn dieses „Aussortieren“ einer Vielzahl von Filmen hat jedes Jahr einen Keil in die Akademie getrieben und die Mitglieder auf eine Art bevormundet. Möglicherweise (und in meinen Augen wahrscheinlich) wird das geänderte Verfahren gar nicht zu anderen Preisträgern führen, aber der Weg dahin wird ein anderer sein, der gemeinschaftlicher ist. Um sicherzustellen, dass auch die Filme gesehen werden, die von keiner großen Kinokampagne profitieren können, wird jedes Mitglied, dass mitwählen will, 10 zufällig ausgeloste Filme sehen müssen, um abstimmen zu können. Auf diesem Weg, den wir uns von bestimmten Kategorien bei den Oscars oder BAFTAs abgeguckt haben, wird jeder Film garantiert von über 100 Mitgliedern geschaut. Herausragendes wird sich durchsetzen.

Die Filmakademie diskutiert diese Veränderung bereits seit Herbst 2022, die Diskussion um Entscheidungen der diesjährigen Vorauswahlkommission, wie etwa die Nicht-Auswahl von «Roter Himmel» oder «Der vermessene Mensch» waren nicht Grund der Veränderung, haben aber sicher dazu beigetragen, dass die Veränderung innerhalb der Mitgliedschaft mit großer Zustimmung abgesegnet wurde.

Schön, dass die Deutsche Filmakademie so mit der Zeit geht und Veränderungen positiv gegenüber steht. Aber ein anderes Thema: Die Ausstrahlung des Deutschen Filmpreises ist seit Jahren kein Erfolg. Warum haben Sie so schlechte Zuschauerzahlen?
Die lineare TV-Ausstrahlung auf ARD und ZDF um 22 oder 23 Uhr in der Nacht ist nicht dazu geeignet, hohe Quoten zu erzielen. Wie insgesamt Preisverleihungen in den letzten Jahren, falls sie überhaupt noch eine TV-Ausstrahlung erhalten, massiv Reichweite eingebüßt haben. In den letzten Jahren haben wir aber die mediale Reichweite des Filmpreises massiv gesteigert, online wie offline, und dafür ist die TV-Ausstrahlung natürlich wichtig. In diesem Jahr wurden wir erstmals live in der ZDF-Mediathek übertragen, zusätzlich zur späteren linearen Ausstrahlung, und das ZDF war mit den Abrufzahlen sehr glücklich.

Wie hat sich der deutsche Film in den vergangenen Jahren entwickelt?
Der deutsche Kinofilm ist in der Spitze leider immer noch von zu wenigen herausragenden Filmen abhängig. Es gibt immer noch zu viele Filme, die über ein professionelles Mittelmaß nicht hinauskommen und das reicht an der Kinokasse nicht mehr. Die Gründe dafür liegen auch in der Finanzierungsstruktur begründet, die es für Außergewöhnliches nicht leicht macht. Wieviel kreatives Potenzial vorhanden ist, hat man in den letzten Jahren durch den Markteintritt der Streamer gesehen. Und hier setzen die Reformen von Bundeskulturministerin Claudia Roth an, die, unterstützt von der Deutschen Filmakademie, eine gänzlich neue Finanzierungsstruktur für deutsche Kinofilme umsetzen will.

Zahlreiche Projekte werden von den öffentlich-rechtlichen Sendern gefördert und verschwinden nach einer Ausstrahlung ins Nirvana. Warum finden viele Filme nach einer Free-TV-Premiere nicht mehr statt? Wie könnte man dies lösen?
Zuerst einmal sollte man nicht vergessen, dass die Free-TV-Ausstrahlung nur eine Auswertungsart für deutsche Kinofilme ist – davor (und danach) finden Auswertungen im Kino, im digitalen und analogen Home Entertainment statt, sowie im Pay-TV und auf S-VOD-Plattformen. Im „Nirvana“ verschwinden Kinofilme also selten.

Die öffentlich-rechtlichen Sender sind weiterhin ein sehr wichtiger Partner für die deutsche Kinofilmbranche, wenngleich aufgrund des allgemeinen Kostendrucks die Beteiligungen zurückgegangen sind und weniger Filme mitfinanziert werden. Mal abgesehen von den kleineren Nachwuchsprojekten, die einzelne Dritte Programme und natürlich das Kleine Fernsehspiel im ZDF unterstützen, scheint mir aber durch die klarere Kinofilmstrategie der Wille der Sender groß zu sein, bei Zuschauer-relevanten Projekten dabei zu sein, die dann auch attraktivere Quoten erreichen – siehe das sehr erfolgreiche Sommerkino in der ARD. Und derartige Filme können natürlich auch gut wiederholt werden.

Merken Sie – im Gespräch mit Kollegen – dass einige Verleiher wie Disney und Warner Bros. ihr Engagement in Deutschland deutlich zurückfahren?
Das Engagement für deutsche Kinofilme der US-Major war schon immer zyklisch – und nicht zuletzt abhängig von wirtschaftlich attraktiven TV-Output-Deals, die es immer seltener gibt. Kinofilm ist ein Hochrisikogeschäft, für das man besonders fähige Menschen braucht. Warner hatte eine große Zeit mit deutschen Kinofilmen, hat die große Menge an Produktionen aber deutlich zurückgefahren. Disney hat schon seit Jahren kaum mehr deutsche Filme im Programm, das passt in die Tentpole/Blockbuster-Strategie nicht mehr hinein. Dafür gibt es Player, wie bspw. Paramount, die inzwischen wieder in deutsche Filme investieren. Von den deutschen Verleihern, Constantin, Leonine und die ganzen Independents, ganz zu schweigen.

Erfolgreiche Mainstream-Filme werden bei Preisverleihungen meist übergangen. Wollen Sie das langfristig ändern?
Die 2.200 Mitglieder der Deutschen Filmakademie entscheiden über die Preisträger, nicht die Geschäftsstelle oder der Vorstand. Dennoch haben wir in den vergangenen Jahren versucht, auch Mainstream-Filmen innerhalb der Akademie ein größeres Forum zu verschaffen. Wenn ich mir die diesjährigen sechs für den Besten Film nominierten Filme anschaue, muss ich sagen, dass ich diese Bandbreite an Genres und Zuschauer-Akzeptanz großartig finde: «Das Lehrerzimmer», «Im Westen nichts Neues», «Sonne und Beton», «Holy Spider», «Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war» und «Rheingold». Über drei Millionen Kinobesucher haben diese herausragenden Filme gesehen, das spricht doch für sich.

Wie wird künstliche Intelligenz das Filme produzieren verändern?
Wie überall ist KI auch in unserer Branche ein großes Thema – in Hollywood streiken (auch daher) die Autoren und Schauspieler, weil sie klare Regeln im Umgang mit ihrer Arbeit und KI wollen. KI wird vieles vereinfachen und verändern, wird neue Berufsbilder kreieren und einige Berufsgruppen gefährden. Ich sehe KI als ein Tool, das auch visionären Filmschaffenden eine Hilfe sein kann. Die menschliche Kreativität, die wir an gelungenen Kinofilmen so schätzen, wird aber in meinen Augen nicht ersetzbar sein.

Das sehe ich ähnlich. Vielen Dank für Ihre Zeit!

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