Interview

Burkhardt Althoff: ‚Der Sendeplatz macht uns frei von Quotenerwartungen‘

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Seit 60 Jahren gibt es «Das kleine Fernsehspiel», das zahlreichen großen Regisseuren eine Chance gab. Redaktionsleiter Althoff sprach im Quotenmeter-Interview über die Zukunft und Vergangenheit.

Hallo Herr Althoff, «Das kleine Fernsehspiel» (Mehr Information) wird 60 Jahre alt. Wie bereitet man ein solches Jubiläum vor?
In 60 Jahren ist ein ungeheurer Schatz an Produktionen entstanden, von dem wir zu einem solchen Anlass nur einen ganz kleinen Ausschnitt im Programm präsentieren können. Im letzten Jahr haben wir schon anlässlich des 85. Geburtstags des 2021 verstorbenen langjährigen Leiters des Kleinen Fernsehspiels Eckart Stein eine Reihe von Filmen, die er verantwortet hatte, noch einmal ins lineare Programm und die Mediathek gebracht: Rosa von Praunheims «Die Bettwurst» und «Ein ganz und gar verwahrlostes Mädchen» von Jutta Brückner zum Beispiel. Jetzt haben wir uns auf Filme ab den 90er Jahren konzentriert.

Ihre Redaktion hat mit zahlreichen großen Namen wie Tom Tykwer oder Christian Petzold zusammengearbeitet. Haben diese auch zum Jubiläum für Sie Zeit gehabt?
Tatsächlich zeigen wir die ersten Langfilme der beiden, «Die tödliche Maria» und «Pilotinnen», in unserem Jubiläumsprogramm. Mit dabei sind aber auch die ersten Filme von Emely Atef, Fatih Akin, Jasmila Žbanić, Lars Kraume und Burhan Qurbani sowie «Young Classics» aus dem Kleinen Fernsehspiel wie Nora Fingscheidts «Systemsprenger» und «24 Wochen» von Anne Zohra Berrached. Insgesamt 15 Filme. Und ja. es kann gut sein, dass einige dieser Regisseur*innen auch Gast bei einer Filmveranstaltungsreihe sein werden, die anlässlich des Jubiläums von Juni bis November im Berliner silent green geplant ist.

«Das kleine Fernsehspiel» ist meist gegen Mitternacht im ZDF zu sehen. Warum ist das so?
Der Sendeplatz ist schon seit 30 Jahren Montagsnacht. Das liegt zwar am Programmrand, macht uns aber frei von Quotenerwartungen und frei in der Formatierung. Und beides ist wichtig für Programme, bei denen es um die Gestaltungsfreiheit und die Entwicklung und Entdeckung von Handschriften geht. Aber in der ZDFmediathek können unsere Filme ja zusätzlich sendeplatzunabhängig genutzt werden. Wer Das kleine Fernsehspiel sehen möchte, muss sich also schon längst nicht mehr die Nächte um die Ohren schlagen.

Im Sommer laufen Wiederholungen von «Die Bergretter» - wäre das nicht ein optimaler Sendeplatz für Ihre Redaktion? Oder ist der Sendeplatz dank ZDFmediathek inzwischen ohnehin überflüssig?
Der Sendeplatz ist nach wie vor wichtig, weil ein großer Teil des Publikums eben doch noch klassisch linear schaut. Aber tatsächlich haben wir im August eine Reihe von früheren Sendeplätzen, an denen wir einige Highlights der jungen Arthousefilme, die bei uns entstehen, ins größere Schaufenster stellen können. Dieses Jahr werden wir im August zum Beispiel «Le Prince» von Lisa Bierwirth und «Im Feuer» von Daphne Charizani zeigen. Und Florian Dietrichs Komödie «Toubab» ist sogar für die Primetime um 20.15 Uhr geplant.

Aufgrund welcher Kriterien entscheiden Sie, welche Stoffe Sie entwickeln?
Wir sind an allen Filmhochschulen und -akademien präsent und erhalten auch zahlreiche Vorschläge von Autodidakt*innen. In regelmäßigen Stoffsitzung schlagen dann die Redakteur*innen des Kleinen Fernsehspiels bis je drei Projekte vor, wobei alle unseres achtköpfigen Redakteur*innen-Teams alle Vorschläge lesen und das Begleitmaterial dazu sichten. Am Ende fallen Entscheidungen für die Projekte, die in der Gesamtsicht die interessantesten künstlerischen Ansätze oder originellsten Blickwinkel auf Geschichten und Themen haben. Insgesamt koproduzieren wir pro Jahr 10 Spielfilme aus Deutschland, 10 Dokumentarfilme und fünf internationale Spielfilme in Zusammenarbeit mit ARTE – also ca. 25 Neuproduktionen.

Wie lang dauert denn die Entwicklung eines durchschnittlichen Spielfilms und arbeiten Sie auch mit Filmhochschulen zusammen?
Da wir auch Drehbücher entwickeln und unsere Filme in der Regel als Koproduktionen entstehen, kann es im Einzelfall sein, dass von der Annahme einer Filmidee über die Buchentwicklung, die Finanzierung, den Dreh, die Postproduktion, die Festival- und Kinoauswertung und der anschließenden Free-TV-Sperrzeit bis zur Sendung und Onlinestellung im ZDF bis zu 5 Jahre vergehen. Mit den Filmhochschulen und einzelnen Landesförderungen zusammen versuchen wir, die Finanzierungswege bei Abschluss- und Debütfilmen zu verkürzen. Unsere vier Fifty-Fifty-Vereinbarungen mit der MFG-Baden-Württemberg, der Mitteldeutschen Medienförderung, der Hessenfilm und der Filmförderung Mecklenburg-Vorpommern sind da ungeheuer hilfreich. Dort haben wir vereinbart, dass wir bei einzelnen Projekten die Finanzierung je hälftig tragen und so schneller in Produktion gehen können.

Die neue Staffel startet mit «Shahada» am Montag, den 6. März, um 00.20 Uhr. Wovon handelt der Stoff und was macht ihn so besonders?
«Shahada» war der erste lange Spielfilm von Burhan Qurbani und sein Diplomfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg, der 2010 in den Wettbewerb der Berlinale eingeladen wurde und zahlreiche Preise gewann. Der Film erzählt von jungen Muslim*innen, die durch ihre Art zu leben und zu lieben mit ihrer Religion in innere und äußere Konflikte geraten – daher auch der Titel, der sich auf die fünf Säulen des Islam bezieht. Der Film nimmt seine Figuren und ihre Lebensweise und Nöte ganz aus einer Innensicht heraus ernst. Und er ist gestalterisch einfach ungeheuer gut gemacht. Es ist daher kein Zufall, dass das ZDF sich auch an Burhan Qurbanis weiteren Filmen „wir sind jung. wir sind stark“ und „Berlin Alexanderplatz“ als Koproduzent beteiligt hat. Das wird auch bei seinem nächsten Projekt so sein, das sich gerade in Vorbereitung befindet.

Ich war doch etwas überrascht, dass «Systemsprenger» innerhalb der Reihe noch einmal wiederholt wird. Die Premiere beim ZDF liegt aber schon zwei Jahre zurück?
Mit Nora Fingscheidt hatten wir bereits ihren Abschlussfilm an der Filmakademie Ludwigsburg, den eindrucksvollen Dokumentarfilm «Ohne diese Welt» im Kleinen Fernsehspiel gemacht. Damals kannten wir auch schon das Buch zu «Systemsprenger», für das Nora jahrelang recherchiert hat, das als Abschlussfilm aber nicht finanzierbar war – als Debüt dann zum Glück schon, wenngleich auch hier das Budget für einen Film mit einem Kind in der Hauptrolle sehr knapp war. Die großartige Machart, das wichtige Thema und der überragende Erfolg des Films sowohl beim Kino- als auch beim Fernsehpublikum machen den Film zu einem der hervorstechendsten in 60 Jahren Kleines Fernsehspiel. Daher gehört er in die Reihe. Und als Koproduzent wollen wir diesen relevanten Film, den wir bei der Erstausstrahlung in der Primetime gezeigt haben, einfach dem Publikum noch einmal zugänglich machen.

Gleichzeitig sind vier Filme wie «Ivie wie Ivie» nur in der Mediathek zu sehen. Gibt es bei den drei ZDF-Sendern zu wenige Sendeplätze?
Ausschnitte aus den Filmen «Ivie wie Ivie», «Hungerjahre», «Die Prüfung», «Oray» und «Mein Leben Teil 2» sind Teil des Films «To Show or Not to Show» von Jana Magdalena Keuchel und Katharina Knust, der anlässlich von 60 Jahre Kleines Fernsehspiel entstanden ist. Dabei gehen die Filmemacherinnen im Gespräch mit den Regisseur*innen der genannten Filme der Frage nach, wie sich durch die Jahrzehnte hindurch Zugänglichkeiten und Machtverhältnisse beim Filmemachen und in der Repräsentation von Menschen vor der Kamera verändert haben und wo auch heute noch Verbesserungen notwendig sind. Es geht dabei also um eine kritische Rückschau und die Frage, was könnten wir – auch im Kleinen Fernsehspiel – in Zukunft besser machen. Wir wollten, dass die Leute, die die Ausschnitte in diesem essayistischen Dokumentarfilm sehen, sich ein Bild von den diskutierten Filmen machen können. Dafür stellen wir sie noch einmal - exklusiv in der Mediathek- in voller Länge zu Verfügung.

Neben den Spielfilmen haben Sie auch ein Veranstaltungsprojekt in Berlin geplant sowie ein Festival- und Symposiums-Programm. Können Sie davon mehr erzählen?
Ja, es gibt immer wieder Interesse aus der Wissenschaft und von filmkulturellen Institutionen am Kleinen Fernsehspiel. Das Veranstaltungsprojekt „Was anderes machen (The home and the movie)“ im Berliner silent green wird das Archiv des Kleinen Fernsehspiels zum Ausgangspunkt für eine historische Rückschau, Zustandsbeschreibung und Frage nach der Zukunft des jungen Autor*innenfilms nehmen. Beginnend mit einem Panel im Rahmen des Festivals „Archival Assembly #2“, dass das Arsenal – Institut für Film und Videokunst im Juni 2023 veranstaltet, wird in einem monatlichen Double Feature Filmprogramm die filmgeschichtliche und gesellschaftspolitische Bedeutung des Kleinen Fernsehspiels als Plattform für den internationalen Autor*innenfilm diskutiert. Das Projekt mündet in einem Festival- und Symposiumsprogramm mit internationalen Gästen vom 16. bis 19.11.2023 im silent green. Und im direkten Anschluss soll es dort eine Ausstellung geben. Es ist also einiges geboten.

Vielen Dank für Ihre Zeit!

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