Serientäter

«Der Handel»: Netflix rückt arabische Frauen in den Vordergrund

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Der Streamingdienst Netflix hat eine Fernsehserie aus Kuwait im Portfolio. Die Geschichte hat zwar arabische Züge, könnte aber genauso gut in Europa spielen.

Netflix bietet seinen Abonnenten die Möglichkeit, in andere Kulturen einzutauchen. Dabei hat der Streamingdienst eher aus der Not eine Tugend gemacht: Um sich gegen die Konkurrenz aus den Vereinigten Staaten von Amerika zu wappnen, wurden zahlreiche regionale Ableger gegründet, die weltweit interessante Geschichten sammeln sollen.

«The Exchange», oder im Deutschen «Der Handel», spielt Ende der 80er Jahre im Nahen Osten. Das Emirat Kuwait erlebte nach dem Zweiten Weltkrieg eine goldene Ära, schließlich sorgten die Ölvorkommen für viele reiche Familien. Die Geschichte spielt noch vor der Annexion durch den Nachbarn Irak im Jahr 1988. Die Briten sind in der 2,9 Millionen Einwohner zählenden Stadt Kuwait City mit Privatschulen präsent, nachdem sie nach der Niederlage der Osmanen im Ersten Weltkrieg ein britisches Protektorat errichtet hatten. Obwohl das Land 1961 seine Unabhängigkeit erlangte, hegen die Einwohner zum Teil große Sympathien für die ehemalige Besatzungsmacht.

Hier beginnt die Geschichte von Farida, die von Hasti Bakian hervorragend verkörpert wird. Nach der Scheidung erfährt sie, dass ihr Ex-Mann Mann Omar (Abdullah Bahman) zwei Jahre keine Schulgebühren zahlte. Zwar ist es unwahrscheinlich, dass eine Privatschule jahrelang keine Gebühren anmahnt, doch der Schock sitzt zunächst tief: Die mittellose Hausfrau, die bei ihren Eltern eingezogen ist, soll 700 kuwaitische Dinar zahlen. Schon in den 80er Jahren waren das umgerechnet fast unbezahlbare 2.400 Euro. Das gute Leben von Tochter Jood (Ryan Dashti) ist in Gefahr und die Mutter will das verhindern. Die Handlung zeigt aber auch ein weit verbreitetes Frauenbild der 80er Jahre – egal ob in Kuwait oder Westeuropa: Der Mann hat Recht. Das akzeptiert auch die höfliche, aber strenge Rektorin.

Bei einer Wohltätigkeitsauktion lernt Farida ihre 32-jährige, unverheiratete, aber wohlhabende Cousine Yara (Shabnam Khan) kennen, die in ihrem eigenen, allerdings mit einem Kredit belasteten Cabriolet vorfährt. Im Gegensatz zu Farida ist sie unabhängig, kann Auto fahren und kommt gut durchs Leben. Munira arbeitet für die Bank of Tomorrow an der kuwaitischen Börse und macht dort als erste weibliche Aktienhändlerin auf sich aufmerksam. Ihr Chef Saud Salim (Hussain Almahdi) ist von ihr beeindruckt und will sie coachen. Er erzählt ihr die Geschichte der deutschen Rothschilds, die durch eine Brieftaube von der Niederlage Napoleons erfuhren und daraus Kapital schlagen konnten.

Nachdem Farida durch eine Versteigerung – man hätte es natürlich ahnen können – in weitere finanzielle Schwierigkeiten gerät, muss sie arbeiten gehen, um nicht in der Gesellschaft verspottet zu werden. Nach einer Begegnung mit ihrem Ex-Mann, der ihr mitteilt, dass ihr Vater sie für die Scheidung freikaufen müsse, lässt sie sich auf Yaras Deal ein: Omar ist Pressesprecher einer Reederei und kennt daher vertrauliche Details. Die alleinerziehende Mutter schmuggelt sich in das Büro ihres Ex-Mannes und stößt dort auf zahlreiche Insiderinformationen. Natürlich kann Munira daraus Kapital schlagen und ihrer Nichte das Schulgeld bezahlen. Produzentin und Autorin Nadia Ahmad geht etwas unkritisch damit um, dass der strafbare Insiderhandel hier sehr positiv dargestellt wird.

«Der Handel» setzt auf starke Frauen: Im Zentrum der Geschichte stehen mehrere weibliche Charaktere, die männlichen Parts sind überwiegend Nebenfiguren und stärken ihr Gegenüber. So rät Faridas Vater ihr nicht etwa, sich einen neuen Mann zu suchen, sondern endlich auf eigenen Beinen zu stehen. Auch Yalas Chef Saud will Frauen fördern, statt sie ruhig zu halten.



Außerdem stehen auch die Frauen im optischen Vordergrund. Die Männer tragen meist eine Dishdasha und rücken somit trotz Überzahl als Statisten in den Hintergrund. Das Bild wird mit adretten Damen aufgehübscht. Netflix-Abonnenten fühlen sich an «Bridgerton» erinnert, die Ausstattung der Kostüme ist opulent, gewaltig, farbenfroh und sehr abwechslungsreich. Während amerikanische Stoffe aus den 80er Jahren eine eher triste Aufmachung haben, wie das kürzlich gestartete Drama «The Offer» über Paramount Pictures, ist das Produktionsdesign wirklich hervorragend.

Die kuwaitische Fernsehserie «Der Handel» bietet nicht nur eine spannende Grundlage der Geschichte, sondern auch eine sehr gut erzählte Storyline. Obwohl zahlreiche Nebenfiguren eingebaut sind, weicht die Serie nicht vom grundlegenden Pfad ab. Die Handlung folgt einem logischen Aufbau der Heldenreise und wird nur kurzzeitig mit Nebenplots gefüllt, die die handelnden Personen besser beschreiben können. In einem Fall greift Farida zur Zigarette, was ihrer Tochter völlig missfällt. Sie verspricht ihr, das Rauchen zu unterlassen, doch heimlich qualmt sie weiter. Die starke Mutter ist im Inneren doch keine Superheldin. Ob Farida allerdings ihre Selbstwahrnehmung verbessern kann und an der kuwaitischen Börse Fuß fasst, erfahren Netflix-Abonnenten am Ende von sechs Folgen.

«Der Handel» ist seit dem 8. Februar 2023 auf Netflix verfügbar.

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