Interview

«In aller Freundschaft»-Produzentin: ‚Der Tod gehört zum Leben dazu‘

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Im Herbst 2021 musste Dr. Martin Stein den Verlust seiner Tochter verkraften. Quotenmeter sprach mit der Produzentin Josepha Herbst (Saxonia Media) und MDR-Redakteurin Franka Bauer über eine der erfolgreichsten deutschen Serien.

«In aller Freundschaft» gehört zu den drei erfolgreichsten Serien im linearen Fernsehen. Wie erklären Sie sich den Erfolg?
Franka Bauer (Redakteurin/MDR): Seit über 23 Jahren setzen wir auf starke Episodenfälle, die unsere Zuschauer so gerne sehen. Dabei ist es uns wichtig, dass es nicht nur um den medizinischen Fall geht, es stehen bei uns immer die Menschen im Mittelpunkt. In all den Jahren hat sich das nicht verändert. Es geht ja immer um eine gute Balance und um die Abbildung von Vielfalt der unterschiedlichen Lebensentwürfe. Letztlich ist es so, dass unsere Zuschauerinnen und Zuschauer, die irgendwann einmal zur Serie gefunden haben, mit der Serie zusammen älter werden. Wir haben aber auch bewusst viele neue Figuren eingeführt, die die Sachsenklinik für jüngere Zuschauer attraktiv machen.

Im Gegensatz zu vielen amerikanischen Krankenhaus-Serien haben Sie das Thema Corona gar nicht thematisiert. War dies rückblickend eine richtige Entscheidung?
Franka Bauer: Die Zuschauerreaktionen geben uns rückblickend recht, dass wir uns dagegen entschieden, Corona allzu schnell zum Thema zu machen. Der Wunsch und die Sehnsucht nach Entspannung und Unterhaltung war doch sehr groß. Zudem haben wir mit anderen relevanten Themen – wie Wohlstandsverwahrlosung, Obdachlosigkeit, häusliche Gewalt, Gewalt gegen Rettungskräfte – Probleme aufgegriffen, die neben Corona in der Gesellschaft präsent sind und ebenfalls erzählt werden müssen.

Inzwischen haben auch zahlreiche YouTuber und Influencer Corona besprochen. Beispielsweise wurde in einem sozialen Netzwerk die Aufnahmen einer gesunden Lunge einer von Corona-befallenden Lunge gegenübergestellt. Auch die Behandlung mit einer extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) könnten Sie ja durchaus anschaulich zeigen. War das nie eine Option?
Franka Bauer: Mit gewissem zeitlichen Abstand ist das sicherlich denkbar. Da die medizinische Entwicklung noch nicht allzu viele gesicherte Erkenntnisse hat, wollen wir dies noch beobachten, um seriös erzählen zu können. Bedenken Sie, dass selbst Mediziner im Spätsommer noch davon ausgegangen sind, dass die Impfungen eine vierte Welle vermeiden können. Die Lage ist nach wie vor zu dynamisch, um sie sicher mit einem halben Jahr Vorlauf, den wir in der Produktion haben, erzählen zu können. Deshalb haben wir auch andere Krankheiten wie etwa Ebola oder die Schweinegrippe erst mit zeitlichem Abstand fiktionalisiert. Aktuell haben wir eine Folge zur Triage abgedreht, ein Thema, das sicherlich viele Menschen interessieren wird.

Gibt es heutzutage noch Tabus für Ihre Autoren?
Franka Bauer: Es gibt natürlich sensible Themen, die besonders viel Sorgfalt bei der Erzählung und Umsetzung erfordern. Wir haben da in der Vergangenheit auch schon Themen angepackt. Und wir möchten uns ungern der Möglichkeit berauben, Geschichten so emotional und dramatisch wie möglich zu erzählen.

Josepha Herbst (Produzentin/Saxonia Media): Wir wollen nah an der Realität der Zuschauerinnen und Zuschauer sein. Das schließt per se nichts aus, was da draußen passiert. Da darf es auch schon mal wehtun. Empfindliche Themen werden mit entsprechender Sensibilität erarbeitet. Wichtig ist dabei eine gute Recherche. Dann scheuen wir uns auch nicht vor der harten Realität.

Zuletzt starb die Tochter von Dr. Martin Stein, an den Folgen eines Schlaganfalls – ausgelöst durch das Moyamoya-Syndrom. Wie diskutiert man das Ableben einer Serienfigur?
Franka Bauer: Die Geschichte um Marie Stein wurde sehr langfristig angelegt, um die Dramatik, aber auch die Komplexität sehr sensibel und behutsam darzustellen. Für Martin und Otto Stein ist diese Entwicklung natürlich tragisch, sie gibt den Figuren und damit uns, aber auch die Möglichkeit, Geschichten von größtmöglicher Emotionalität zu erzählen.

Josepha Herbst: Eine solche Entscheidung fällt man nicht leichtfertig. Und doch gehört der Tod zum Leben dazu. Wir haben die Darsteller schon sehr früh auf die Reise mitgenommen und sie an der Stoffentwicklung teilhaben lassen. Gerade wenn Kolleginnen und Kollegen schon sehr lange zusammenarbeiten, bedeutet das ja auch einen ganz realen Abschied. Auch wenn wir im Falle von Marie Stein am Ende leider nicht die originale Darstellerin besetzen konnten.

Sie haben mit Ausnahme einer kurzen Pause im April 2020 durchgehend «In aller Freundschaft» produziert. Welche Hygiene-Konzepte haben Sie angewandt?
Josepha Herbst: Das stimmt. Wir haben durchgängig produziert. Auch in der kurzen Pause im April 2020 haben wir auf Hochtouren gearbeitet, die bereits vorliegenden Drehbücher auf die neuen Regeln vor der Kamera anzupassen. Wir mussten richtig kreativ werden, teilweise ganze Erzählstränge komplett neu schreiben lassen oder auf die neuen Abstandsregeln anpassen. Keine einzige alltägliche Behandlungsszene in der Sachsenklinik blieb unberührt. Alles wurde auf Herz und Nieren geprüft.

Auch jetzt eineinhalb Jahre später ist es immer wieder schwierig, familiäre Wärme, Liebe und Freundschaft ohne körperliche Nähe zu erzählen. Hier wollen wir kein Risiko eingehen. Da wir bis auf eine kurze Sommerpause das gesamte Jahr über drehen, können wir uns keine Drehpausen erlauben, wenn wir weiterhin kontinuierlich auf Sendung sein wollen. Dafür haben wir unser Hygienekonzept regelmäßig an die aktuelle Situation angepasst. Selbstverständlich gehören dazu die AHA Regeln, regelmäßige Testungen sowie in Einzelfällen auch Quarantäne für Darstellerinnen und Darsteller, die vor der Kamera den Mindestabstand unterschreiten mussten.

«In aller Freundschaft» läuft ja nicht nur im linearen Fernsehen spitze, auch die Wiederholungen in den dritten Programmen funktionieren gut und in der Mediathek wird die Serie nachgefragt. Muss heutzutage eine Serie überall zu finden sein?
Franka Bauer: Für «In aller Freundschaft» ist es sowohl von Vorteil als auch von Nachteil, ständig in Wiederholungen präsent zu sein. Dadurch stellen wir uns permanent dem Vergleich mit älteren Folgen, bleiben aber auch stärker präsent. Zudem freuen wir uns über den stärkeren Zuspruch jüngeren Publikums und in der Mediathek. So hat eine Folge, die vier Wochen in der Mediathek steht, im Schnitt 470.000 bis 500.000 Zuschauerinnen und Zuschauer erreicht. Und unser Social-Media-Team betreut mit viel Herzblut und Engagement eine über die Jahre sehr gewachsene, treue und großartige Fangemeinde auf den verschiedenen Plattformen von Facebook, Homepage bis Instagram.

Josepha Herbst: Das gehört heutzutage einfach dazu. Wir erleben eine sehr aktive Community auf unseren Social-Media-Kanälen sowie auf der Website. Das unmittelbare Feedback des Zuschauers zu bekommen, ist wertvoll. Auch wenn die Leute dort keinen Querschnitt unseres Publikums abbilden, ist es doch sehr interessant, was diese besondere Gruppe über die Serie denkt. Es ist ein gutes Stimmungsbarometer.

Sie arbeiten mit einem außerordentlich großen Cast. Welche Vor- und Nachteile hat das für Ihr Team?
Josepha Herbst: Wir haben den Anspruch, all unseren Figuren auch ihre privaten Geschichten zu geben. Das macht es zu einem sehr diffizilen Geflecht aus vielen parallelen Erzählsträngen, die häufig sogar miteinander verwoben sind. Hier den Überblick zu behalten, ist eine echte Herausforderung, aber wird von den Autorinnen und Autoren gleichzeitig sehr geschätzt. Persönliche Geschichten der Figuren bieten eben auch größeres Identifikationspotential für die Zuschauerinnen und Zuschauer mit ihren Lieblingscharakteren.

Auf der anderen Seite bedeutet das große Ensemble auch, dass Schauspielerinnen und Schauspieler noch genug Zeit haben, andere Projekte anzunehmen. Das unterstützen wir und freuen uns, wenn unsere Gesichter über die «Freundschaft» hinaus zu sehen sind. Neue Erfahrungen sind immer gut und schaffen einen gewissen Ausgleich.

Sie haben Tan Çağlar als rollstuhlfahrenden Arzt gecastet, der tatsächlich nicht laufen kann. Wie wichtig war es Ihnen, für die Rolle divers zu besetzen?
Franka Bauer: In der «In aller Freundschaft»-Familie gibt es verschiedenste kulturelle Hintergründe, diverse sexuelle Orientierungen und auch das Thema Inklusion ist uns in den letzten Jahren immer wichtiger geworden. Im vergangenen Jahr haben wir mittels eines Casting-Aufrufs nach Menschen mit Behinderung gesucht, die wir in unser Ensemble integrieren wollten und haben mehr als 70 außergewöhnliche und spannende Bewerbungen erhalten. Tan Çağlar als neuer Viszeral-Chirurg, der im Rollstuhl sitzt, bereichert unseren Cast ungemein. Im Vordergrund steht dabei jedoch, dass er Arzt ist, die Behinderung tritt zurück. Das hat nochmal eine andere Tragweite, als in Episodenrollen Patientinnen und Patienten mit Behinderung zu erzählen. Außerdem bekommen die Geschichten mehr Authentizität. Auch uns als Team bereichert diese Erfahrungswelt.

In der Serie haben wir einen körperlich beeinträchtigten Chirurgen, eine vietnamesische Neurologin und eine lesbische Schwester. War es Ihnen wichtig, die Hintergrundgeschichte dieser Personen nicht in den Mittelpunkt zu stellen, sondern wie aktuell andere Eigenschaften zu erzählen?
Franka Bauer: Tatsächlich ist es uns bei all unseren Figuren wichtig, sie mit all ihren Facetten und in all ihrer Ambivalenz zu zeigen. Charaktere, die nur auf einzelne äußere Merkmale reduziert sind, wirken schnell langweilig. Zuschauer sind sehr sensibel und merken sofort, wenn Charaktere zur bloßen Wissensvermittlung oder zur Belehrung dienen.

An Weihnachten planen Sie wieder ein besonderes Special. Womit können die Fernsehzuschauer rechnen?
Franka Bauer: Da es eine Überraschung bleiben soll, möchten wir nicht zu viel verraten.
Nur so viel: Sie wird wundervoll! Und wer den Weihnachtsmann sehen möchte, sollte unbedingt am 21. Dezember einschalten.

Ihr Team bekam im vergangenen Jahr viel Zuspruch für die Musical-Episode. Wie lange haben Sie daran gearbeitet?
Franka Bauer: Mit der Idee zu einer «IAF»-Musikfolge haben wir uns schon sehr lange herumgetragen. Konkretisiert hat sie sich dann Anfang letzten Jahres und bis zum Dreh im Sommer – unter schwierigsten Corona-Bedingungen – haben wir an der Geschichte gefeilt. Die Postproduktion hat durch die zusätzliche musikalische Herausforderung auch noch einmal mehr Zeit benötigt, so dass sie gerade rechtzeitig vor der Sendung zu Weihnachten fertig wurde.

Zuletzt bekam der «Tatort» einen eigenen Podcast. Ist der MDR schon auf Ihr Team zugekommen, dass Sie ebenfalls ein solches Projekt umsetzen sollen?
Franka Bauer: Das ist derzeit nicht geplant.

Sie drehen Ihre Serie rund um Leipzig. Hat der Standort spezielle Vorteile gegenüber Berlin und Köln?
Franka Bauer: Wir legen als MDR sehr viel Wert darauf, dass die Serie sowohl inhaltlich als auch äußerlich in Leipzig verortet wird, und man das auch sieht.

Josepha Herbst: Abgesehen davon, dass Leipzig einfach eine sehr schöne Stadt ist, gibt es hier bekanntlich viel weniger Produktionen als in Berlin oder Köln. Wir haben also keine allzu große Konkurrenz und gute Chancen, Drehgenehmigungen an vielen Orten der Stadt zu bekommen. Darum werden wir sicher von den Kolleginnen und Kollegen beneidet.

Und zu guter Letzt: Wie verbringen Sie Weihnachten?
Franka Bauer: Ich feiere Weihnachten wie unsere Charaktere aus der Sachsenklinik mit Familie und Freunden. Und unserem Publikum wünschen wir besinnliche und glückliche Feiertage und dass es gesund ins neue Jahr kommt.

Josepha Herbst: Hoffentlich gesund unter einem so genannten Keinachtsbaum. Der ist aus echtem Tannengrün zusammengesetzt, ohne dass ein Baum gefällt wurde. Das finde ich ziemlich cool.

Vielen Dank für das ausführliche Gespräch!

“Das Wunder von Leipzig“ von «In aller Freundschaft» ist am Dienstag, den 21. Dezember, um 21.00 Uhr zu sehen. Nach einer Woche Pause geht die Serie am 4. Januar 2022 weiter.

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