Interview

‘Er war das institutionelle Gedächtnis der CIA’ – Katharina Otto-Bernstein über «The Last Spy»

von

In ihrem neuen Film porträtiert Regisseurin Katharina Otto-Bernstein den Jahrhundert-Spion Peter Sichel – einen Mann, der den Kalten Krieg aus nächster Nähe erlebte, Intrigen und Ideale gleichermaßen kannte und am Ende lieber Wein als Geheimnisse verkaufte.

Was war Ihr erster Impuls, die Geschichte von Peter Sichel zu verfilmen – und warum gerade jetzt?
Seit unserer ersten Begegnung in 2009 oder 2010, wollte ich Peter Sichels Geschichte aufzeichnen. Ob das in Form eines Buchs oder mittels eines Filmes sein würde, wusste ich noch nicht. Das seine Erlebnisse und Erinnerung bewahrt werden müssen war mir von Anfang an klar. Wir hatten uns zusammengefunden, weil er diverse Interviews, die ich mit Ostspionen geführt hatte, von der amerikanischen Seite aus verifizieren sollte. Doch ich begegnete keinem einfachen CIA-Agenten, sondern einem Jahrhundert Mann von großem Format. Einen der wenigen lebenden Spy Master, der nicht nur sämtliche der komplizierten und komplexen geopolitischen Konflikte der heutigen Zeit in ihren Wurzeln miterlebt hatte, der aber auch Teil eines Geheimdienstes war, der an Gestaltung der Nachkriegswelt aktiv mitgewirkt hatte. Ich fand seine kritischen Analysen, die geheimen Hintergründe und die Verbindungen, die er von der Vergangenheit zur neuzeitlichen Politik schuf einfach bestechend, ehrlich, logisch und zum Teil komplett neu.

Wie haben Sie Peter Sichel persönlich erlebt? Was hat Sie an ihm als Mensch besonders fasziniert?
Peter war sehr charmant, warm, menschlich und integer. Man musste Ihn einfach mögen. Es gab wenig was ihn nicht interessierte, er hatte ein unglaubliches Allgemeinwissen, ein fantastisches Gedächtnis und war ein lebendes Lexikon. Aber konnte auch er sehr ungeduldig sein, wollte sich nicht mit Petitessen abgeben und, wie seine Tochter Sylvia im Film erzählt, hatte Peter nicht das geringste Problem jedem seine Wahrheit zu übermitteln, ob man die nun teilte oder nicht. Er war eben der perfekte Spion. Ich glaube ich habe noch nie so viele Bücher, State Department und CIA-Dokumente gelesen, um mich auf seine Interviews vorzubereiten, und ich bereite mich eigentlich immer ganz gut vor. Aber in diesem Fall war es eine wirkliche Herausforderung. Natürlich hat er versucht mich zu manipulieren, oder mich von unbequemen Fragen abzulenken, was mir sehr viel Spaß gemacht hat. Wahrscheinlich hat er mich auch manipuliert . Aber die Zeit, die ich mit Peter verbringen durfte, war nicht nur eine unglaubliche Lernerfahrung, sondern eine große menschliche Bereicherung, die ich nie missen möchte.

«The Last Spy» ist nicht nur ein Spionageporträt, sondern auch ein sehr persönlicher Film. Wie haben Sie die Balance zwischen politischer Analyse und biografischer Intimität gefunden?
Das Persönliche war sicher der schwierigere Teil. Peter hat in seinem Leben so viel durchgemacht, dass er über sein Leben und seine eigenen menschlichen Verluste von einer fast abstrakten Entfernung sprach, und diese genauso analysierte wie seine geheimdienstliche Karriere. Aber gerade seine persönlichen Gefühle und seine Anekdoten waren natürlich der Schüssel zu einem erfolgreichen Film. Er musste den Zuschauer ja mit auf die Reise nehmen. Unser Editor, Matthew Cohn, hat eine wirkliche Meisterleistung vollzogen diese raren emotionalen Momente so in das Geschehen zu verweben, dass der Film eine neue, tiefempfundene Dimension bekam.

Wie schwierig war es, die CIA-Geschichte mit einem kritischen Blick zu erzählen – ohne in Verschwörungstheorien oder Verharmlosung zu verfallen?
Man muss, glaube ich, ganz klar sehen, dass der CIA, wie alle Spionage Agenturen, letztendlich ein Dienstleister ist. Im Falle des CIA ist dieser Auftraggeber immer der Präsident der Vereinigten Staaten. In dem Sinne gibt es kaum eine Regime-Change Aktion, die nicht vom Präsidenten und vom National Security Council abgezeichnet wird. Aus diesem Wissen heraus habe ich den CIA immer als ausführende Kraft betrachtet und hatte deswegen auch die nötige Distanz diverse Aktionen beurteilen zu können, gemessen an der sitzenden Regierung die den CIA beauftragt hatte. Es gab einen großen Unterschied zwischen geheimen CIA-Aktionen unter Präsident Truman, unter Präsident Eisenhower, und dann wieder unter Präsident Kennedy. Wie man an den Dokumenten im Film sieht, wurde der Sturz von Präsident Arbenz in Guatemala von der Eisenhower Regierung inszeniert, bestellt und von einer Kill-Order begleitet. Die Geheimdienste handeln nicht unabhängig.

Peter Sichel hat oft gegen das eigene System gearbeitet – sehen Sie ihn eher als Helden, Warner oder Desillusionierten?
Peter ist sicherlich ein Held, in dem er seine Meinung offen ausgesprach und seine Vorgesetzten mit der Wahrheit seiner Geheimberichte konfrontierte. Er hat nie gegen das eigene System gearbeitet, sondern hat dem System ehrlich berichtet, was seine Funde waren. Letztendlich, wie Peter es auch im Film erzählt, konnte er seinen Vorgesetzten nur seine Geheimberichte und Analysen übermitteln, hatte aber nicht die Macht diesen Vorgesetzten vorzuschreiben, wie sie seine Berichte benutzen. Es war zweifellos desillusionierend für Peter, dass seine Informationen ständig ignoriert wurden. Peter hat folglich auch die Konsequenzen gezogen und sich selbst vom Dienst suspendiert.

Der Film spricht auch über moralische Dilemmata im Geheimdienst. Was sagt er über heutige Geheimdienstpraktiken aus – und deren ethische Grenzen?
Das schließt an die vorherige Frage an. Geheimdienste handeln im Auftrag ihrer Regierung. Wenn dieser Auftrag lautet „Präsident Arbenz muss beseitigt werde, egal wie“ lässt das nicht viel Platz für Interpretation. Es ist das Resultat was zählt. Da hat sich nicht viel geändert.
Persönlich bin ich der Meinung, dass Menschen oft ethische Grenzen überschreiben, wenn sie die Erlaubnis dazu bekommen, entweder von einer Organisation oder einer Regierung. Dadurch ist die Schuldfrage, oder das Dilemma des eigenen Gewissens temporär gelöst.
Wie im Film beschrieben, arbeiten Geheimagenten oft in einem Vakuum, in dem es schwierig ist, neutral zu bleiben, um das Weltgeschehen mit kühler Distanz zu beurteilen. Das ist auch nicht ihr Job.

Dazu muss man sagen, dass der Kalte Krieg kein Kindergeburtstag war, oder nur von Amerika ausging. De Facto haben wir alle mitbekommen, wie Menschenrechte in der Sowjetunion verletzt wurden, und, wenn man das auf die heutige Zeit übertragen will, ist der Ukraine Krieg auch nicht unbedingt eine Ansage an das friedliche zusammenleben von Demokratien und Totalitären Regierungen. Heute haben wir zusätzlich noch andere Methoden. Der Informationskrieg über das Internet ist sicherlich nicht zu unterschätzen. Der Überschuss an Informationen, das Chaos, das dadurch in der Bevölkerung entsteht, die Vielfalt der Geheimdienstabteilungen, die sich allein mit Internettrolls beschäftigen, ist enorm. Dazu kommen die vielen technischen Innovationen in der Rüstung. Es ist in der Tat schwer zu sehen, wo die Grenzen liegen.

Wie verlief die Zusammenarbeit mit Peter Sichel bei der Produktion? Gab es Punkte, die er lieber ausgelassen hätte?
Auf jeden Fall. Die Zusammenarbeit mit Peter war natürlich oft sehr amüsant, weil er sehr ungern über seine eigenen Misserfolge gesprochen hat. Insbesondere seine dummen Erstlingsfehler, wie zum Beispiel, als die gesamte CIA-Dienstelle in Berlin fast aufgerollt wurde wegen der Liebesaffäre eines ungeschulten Verbindungsagten mit einer Ost-Spionin. Oder dass er das Spionage Geschäft hauptsächlich von den Russen erlernt hat, die den Amerikanern in diesem Metier weitaus überlegen waren. Diese Anekdoten hätte er lieber ausgelassen.

Wie war der kreative Prozess beim Erzählen dieser historischen Epoche durch persönliche Erinnerung – welche filmischen Mittel haben Sie bewusst gewählt?
Jeden Film fange ich mit Musik an. Bei «The Last Spy» erzählen wir 80 Jahre Weltgeschichte, sehr bewusst unterbrochen von neuzeitlichen Zwischenspielen. Wie bringen wir alles unter einen Hut? – Mit Musik. Musik ist der Klebstoff, der den Film zusammenhält. Mit unserem wirklich fantastischem Komponisten David Steinberg hatte ich von Anfang an viele Besprechungen über Atmosphäre und Ton. Wir brauchten Dramatik, Gefahr, Humor und eine zeitlichlose Partitur die nicht nur Geschehen illustriert, einen aber auch in Bann schlägt. Und ich finde das hat er wunderbar erreicht. Natürlich haben wir viel mit Archiv Material gearbeitet, aber mir war es besonders wichtig Dokumente zu finden die bewiesen das sich viele Aspekte des Films nicht auf Verschwörungstheorien begründen. Das war nicht so einfach.

Es wirkt vielleicht im Film subtil, aber die Dokumente, die bezeugen wie die amerikanische Regierung dem Schah von Iran droht, dass sein Land, seine Dynastie, und er persönlich zu Fall gebracht wird, falls er den Coup gegen Premier Mossadeq nicht unterstützt; oder die Transkripte von US-Außenminister John Foster Dulles, in denen er England und Frankreich unter Druck setzt, ihnen amerikanische Unterstützung zu entziehen, sollten sie sich in den Guatemala Coup einmischen, das sind wahre Juwelen. Es zeigt einem Hautnah wie Power-Politics hinter den Kulissen arbeiten.

Was möchten Sie mit dem Film einem jüngeren Publikum vermitteln, das den Kalten Krieg nur aus dem Geschichtsunterricht kennt?
Ohne viel nachzudenken, kann man sagen, dass wir uns heute wieder in einem Kalten Krieg befinden. Die Fronten haben sich nicht sehr verändert, die Methoden sind moderner und tödlicher; aber der Wettstreit ideologisch entgegengesetzter Regime um Weltherrschaft ist im vollen Gange. Deswegen finde ich es wahnsinnig wichtig jungen Menschen zu vermitteln, wie der Wein des Friedens vor 80 Jahren vergiftet wurde und was wir daraus lernen können. Die Zukunft liegt auf dem Weg zur Wahlurne in unseren Händen. Politisches Wissen und Engagement macht Unterschiede.

Peter Sichel beginnt als Kämpfer gegen den Faschismus – und endet als Weinunternehmer. Ist das für Sie ein optimistisches oder ein resigniertes Ende?
Eine sehr gute Frage. Hier kommt die Gegenfrage. Hört ein Superspion je auf für einen Spionagedienst zur arbeiten? Vielleicht ist Weinhandel die perfekte Tarnung? Wie ich Peter erlebte, wurde er wöchentlich entweder von CIA-Historikern oder diversen Mitgliedern der Geheimdienste besucht, die ihn um Rat gebeten haben. Er war das „Institutionelle Gedächtnis“ der CIA. Peter war ein fröhlicher Mensch, sicherlich nie resigniert, sondern immer optimistisch. Jemand der sich täglich, bis zu seinem ableben, mit der weltpolitischen Lage auseinandergesetzt hat. Wir werden ihn sehr vermissen. Wir haben ihn alle sehr bewundert und sehr viel von ihm gelernt.

Vielen Dank für Ihre Zeit!

«Der Jahrhundert-Spion» aka «The Last Spy» ist am Dienstag, den 18. November, um 21.50 Uhr bei arte zu sehen. In der Mediathek ist er seit 13. November abrufbar.

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