Serientäter

«1883»: Ein Fest der Gewalt

von

Ein Treck wird überfallen und ein Teil der Siedler niedergemetzelt. Ein einsamer Reisender wird von Banditen angegriffen, die jedoch nichts zu lachen haben, weiß der Reisende doch mit einer Waffe umzugehen. Und dann ist da der Dieb, der zur Belustigung der Massen gelyncht wird. Willkommen im Wilden Westen des Jahres 1883.

Stab

Studio: Bosque Ranch Productions Linson Entertainment MTV Entertainment Studios
Nach einer Idee von Talor Sheridan
Regie: Taylor Sheridan, Christina Alexandra Voros, Ben Richardson
Darsteller: Isabel May (Elsa Dutton), Sam Elliott (Shea Brennan), Tim McGraw (James Dutton), Faith Hill (Margaret Dutton), LaMonica Garrett (Thomas), Marc Rissmann (Josef), Audie Rick (John Dutton), Eric Nelsen (Ennis), James Landry Hébert (Wade), Noah Le Gros (Colton), Gratiela Brancusi (Noemi), Billy Bo Thornton (Marshal Jim Courtright)
Musik: Brian Tyler, Breton Vivian
Producer: David Hutin
Kamera: Ben Richardson
«1883» ist keine 20 Minuten alt und schon läuft das Blut förmlich aus dem Bildschirm. Edle Cowboys sucht man in dieser Serie vergeblich. Der Wilde Westen, das war ein rauer Ort. Showrunner Taylor Sheridan durfte für seine Serie «1883» aus dem Vollen schöpfen. 100 Mio Dollar sollen die insgesamt zehn Episoden gekostet haben. Aber Sheridan hat einen Lauf, seit «Yellowstone» zum Megahit avanciert ist. «1883» ist denn auch ein Prequel der Erfolgsserie, auch wenn man überhaupt nichts über «Yellowstone» wissen muss, um «1883» verstehen zu können.

Dennoch sein ein kurzer Blick auf das Original erlaubt: In den USA ist «Yellowstone» lange von der Kritik missachtet worden und auch heute gehört sie nicht gerade zu den Lieblingen der etablierten Film- und Fernsehkritik. Es ist nicht nur das Genre, das den Zugang schwierig macht - wobei die Frage gestellt werden darf, welchem Genre die Serie eigentlich zugeordnet werden darf. Thriller? Familiensaga? Moderner Western? Soap? Von allem etwas?

Die etablierte Film- und Serienkritik ist in den USA im Kern liberal geprägt. «Yellowstone» indes ist eine Serie, die nicht unbedingt liberale Werte im Sinne eines amerikanischen Küstenliberalismus vertritt. Die Hauptfigur der Serie, John Dutton III (Kevin Costner) mag ein Mann sein, der die Freiheit liebt. Seine Freiheit aber verteidigt er mit Waffen, er hält wenig von staatlicher Reglementierung, sein Bild der Heimat ist geprägt von Bildern aus dem Klischeebilderbuch des Wilden Westens. Nur in einer romantisierten Form der Gegenwart, in der man über endloses, grünes Weideland im Hubschrauber fliegt. John Dutton III gehört das größte, zusammenhängende Weideland der USA in Montana. Sein Besitz ist ein Staat im Staate. Und es ist ein Besitz, auf den es so mancher abgesehen hat. In den USA gilt «Yellowstone» als Lieblingsserie der Konservativen (Republikaner). Dutton mag ein harter Hund sein, vielleicht sogar ein Dreckskerl, aber immerhin kämpft er mit offenem Visier. Er verteidigt, was ihm gehört – meist gegen Männer von der Küste, die sich nie selbst die Finger schmutzig machen würden, um ihre Ziele zu erreichen.

In «Yellowstone» wird mehrfach auf die Geschichte der Familie hingewiesen. Darauf, dass sie dieses Land mit ihren eigenen Händen aufgebaut hat. Nichts ist der Familie geschenkt worden. Johns Vorfahren kamen. Sie bluteten. Sie überlebten. Sie lebten den amerikanischen Traum. Den «1883» jedoch eher als einen einzigen Albtraum darstellt.

«1883» erzählt die Geschichte eines Siedlertrecks gen Norden, dem sich James Dutton (Countrystar Tim McGraw), der Ururgroßvater von John Dutton III, eher zufällig anschließt. So ist auch nicht James Dutton die alles bestimmende Hauptfigur. Die ist zunächst Shea Brannon (Sam Elliott), genannt der Captain, ein in die Jahre gekommener Pinkerton Detective, der einen vornehmlich aus Osteuropäern (Russen, Polen, Roma, aber auch aus dem Osten stammenden Deutschen) bestehenden Treck in den Norden führen will. Ihr Ziel: Oregon. Das Problem: Das Land zwischen dem Norden von Texas und den Siedlungsgebieten in Oregon, ist ein Ort purer Anarchie. Sheas rechte Hand ist Thomas, ein Buffalo Soldier und damit ein ehemaliger Sklave, der aufseiten der Nordstaaten im Bürgerkrieg gekämpft hat. James Dutton treffen sie eher zufällig, als dieser in seiner Siedlerkutsche von Banditen angegriffen wird (siehe Einführung). Statt James zu Hilfe zu kommen, beobachten sie, wie dieser sich der Übermacht der Banditen erwehrt und eiskalt die meisten von ihnen erschießt. Dass sie ihm nicht geholfen haben, nimmt er ihnen erst einmal – aus verständlichen Gründen – übel, dennoch nimmt er später ein Angebot Sheas an. Shea muss nach dem ersten Treffen mit den Siedlern feststellen, dass es diesen an jeglichen Skills fehlt, die sie benötigen, um zumindest eine Chance zu haben, auf dem Weg gen Norden nicht am Wegesrand zu krepieren. Sie können nicht schießen, sie haben nicht einmal Waffen. Sie sind Bauern auf der Suche nach etwas Glück. Und viel Geld haben sie auch nicht. So kann Shea ihnen zwar einige Rinder organisieren, die sie brauchen werden, um ihre Farmarbeit aufzunehmen (oder um sie unterwegs zu verspeisen), er kann auch zwei Cowboys für den Treck interessieren, die trotz der eher mauen Bezahlung bereit sind, sich dem Unternehmen anzuschließen. Was ihm jedoch fehlt, das sind Männer wie Dutton. Also gehen sie einen Deal ein. Dutton schließt sich an. Dafür erhält er den Schutz des Trecks als Einheit; als Gegenleistung geht er Shea zur Hand, wenn der ihn braucht.
Bevor der Treck aufbricht, nimmt James seine mit dem Zug angereiste Familie in Fort Worth in Empfang. Seine Frau Margret, seine Tochter Elsa, seinen fünfjährigen Sohn John sowie seine Schwester Claire und deren Tochter Mary, zwei religiöse Eifererinnen, die Elsas Freiheitsdrang ebenso verabscheuen wie Margrets wenig damenhaftes Auftreten. Claire und Mary haben sich James' Idee, ein Stück Land in Oregon zu bewirtschaften, um dort eine eigene Ranch zu gründen, nur angeschlossen, da Claires Mann verstorben ist und sie nun alleine dastehen. Unversorgt.
So setzt sich der Treck in Bewegung.

«1883» macht keine Gefangenen. Kaum unterwegs, wird der Treck zum ersten Mal angegriffen, Siedler sterben. Shea holt direkt mit einem Marshal aus der nächstgelegenen Stadt zum Gegenschlag aus, der Prozesse eher lässlich findet und die Delinquenten gleich erschießt. Es herrscht Gewalt. Und wenn keine Banditen den Siedlern das Leben zur Hölle machen, sind es Klapperschlangen oder die Siedler selbst, von deinen einige keine Hemmungen haben, Witwen zu bestehlen, wenn diese nur einer Volksgruppe angehören, die sie in ihrer Heimat schon verachtet haben.

Countrymusic-Superstar Tim McGraw stellt James Dutton mit einer erstaunlichen Präsenz dar, auch wenn er nie das feine Spiel von Sam Elliott erreicht, der in der Rolle von Shea ganz und gar aufgeht. Elliott darf auf der ganz großen Klaviatur der Gefühle agieren. Ob brutal, nach em Tod von Frau und Tochter von Todessehnsucht getrieben oder fast schon verletzlich, Tim McGraw muss damit leben, dass die große Bühne dieser Serie nicht ihm gehört. Allerdings auch nicht Sam Elliott, der im Verlauf der ersten Hälfte der Serie mehr und mehr auf den zweiten Darstellerplatz rücken muss. Etwa für den zweiten Country-Superstar Faith Hill, die in der Rolle der Margret in Momenten der Bedrohung die knochenharte Matriarchin gibt, die aber auch in ruhigen Momenten zu überzeugen versteht? Nein. Denn da ist die junge Schauspielerin Isabel May.

Die Überraschung der Serie besteht darin, dass sie letztlich aus der Perspektive der Elsa erzählt wird. Taylor Sheridan ist mit dieser Perspektive ein Wagnis eingegangen. Die bei den Dreharbeiten gerade einmal 19-jährige Isabel May hätte an der Aufgabe scheitern können, so etwas wie das emotionale Zentrum des Filmes darzustellen. Doch sie trägt die Großproduktion mit erstaunlicher Leichtigkeit. Wirkt sie anfangs etwas vorlaut, naseweis, manchmal sogar etwas nervend, durchläuft sie im Verlauf der Handlung einen atemberaubenden Wandlungsprozess. Stets am Anfang und am Ende gibt sie einen Monolog zum Besten, der die Gefühle und Erfahrungen der Elsa zusammenfassen. Und es sind exakt jene Gefühle und Erfahrungen, die auch wir, die wir die Serie verfolgen, mit Elsa und durch Elsa erleben. Gewalt, Verbrechen, aber auch Liebe und Hoffnung: es ist ein kleiner Geniestreich, eine fast noch jugendliche Figur zum Herzen der Erzählung zu machen, denn all diese Gefühle, die sich im Verlauf der Handlung ergeben, werden durch ihre Jugend viel intensiver und ungefilterter erlebbar als dies über eine der älteren Hauptfiguren möglich gewesen wäre.

Fazit: Der Treck gen Norden entwickelt sich zu einem Albtraum. Die Geschichte macht keine Gefangenen. Nur, weil eine Person mal sympathisch wirkt und eine größere Rolle spielt, bedeutet das nicht, dass nicht bald schon eine Banditenkugel in ihrem Herzen steckt. Das Land, in das sie aufbrechen, ist brutal. Die Menschen sind brutal. Die Natur ist brutal. Einzig die Sonne, die scheint durchgehen und friedlich über unendliche Weiten, die den Siedlern versprechen, einen großen Traum wahr werden zu lassen. Einen Traum von einem eigenen Flecken Erde und ein bisschen Wohlstand. Zumindest für die, die da Ziel lebendig erreichen. Und das ist eher eine Minderheit.

PS: Ja, der Treck befindet sich auf dem Weg nach Oregon, der Landbesitz der Duttons in «Yellowstone» jedoch in Montana. Was es damit auf sich hat, wir an dieser Stelle nicht gespoilert.

«1883» ist bei Paramount+ verfügbar.

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