Die Kritiker

«Inspector Barnaby: Leichzeit am See»

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Das Timing könnte schlechter nicht sein. Ausgerechnet für das Wochenende, an dem ein großer Anglerwettstreit an einem See in Solomon Gorge stattfinden soll, haben sich auch Geländeläufer zu einem Wettstreit verabredet. Geländeläufer und Angler an einem Ufer? Das kann nicht funktionieren. Allen Animositäten zum Trotz ist ein Mord in diesem Umfeld dann allerdings doch etwas übertrieben.

Stab

REGIE: Jennie Darnell
DREHBUCH: Jeff Povey basierend auf Figuren von Caroline Graham
SCHNITT: Peter Williams
MUSIK: Evan Jolly
KAMERA: Al Beech
SYNCHRONDREHBUCH- und REGIE: Theodor Dopheide
DARSTELLER: Neil Dudgeon, Nick Hendrix, Annette Badland, Fiona Dolman, Vincent Franklin, Morgan Watkins, Nitin Ganatra, Krupa Pattani, Bronagh Waugh, Isabel Shaw, Chelsea Mather, Miles Ju

UK 2019, Originaltitel «Midsomer Murders: With Baited Breath»
Das ZDF beendet kurz vor Weihnachten die bereits im Sommer 2021 gestartete 21. Staffel der englischen Erfolgsserie, um ab Anfang 2022 mit der Ausstrahlung der 22. Staffel zu beginnen. «Inspector Barnbaby» ist eines dieser TV-Phänomene, die sich nur schwerlich erklären lassen. Die eher behäbige Inszenierung, die auf Spielereien aller Art verzichtet, wirkt in einem von spektakulären Serienevents getragenen Serienzeitalter ebenso aus der Zeit gefallen wie die Hauptfigur John Barnaby (Neil Dudgeon), einem Ermittler mit intakten Familienleben, einer kleinen Tochter und einem unumstößlichen Beamtenethos, der ihn zwingt, stets aufrichtig und, ganz wichtig, den Buchstaben des Gesetzes treu ergeben, die ihm aufgetragenen Fälle zu lösen. John Barnaby und Stephan Derrick hätten sich mit Sicherheit bestens verstanden.

Oh, der Anfangserfolg der Serie lässt sich recht simpel erklären. «Inspector Barnaby», basierend auf einer Romanreihe der Autorin Caroline Graham, spielt in einer Fantasiewelt, die jenes England in Szene setzt, in das jeder (literarische) Krimifan sofort auswandern würde, wäre es doch nur real. Es ist die Welt der Miss Marple, Agatha Christies genialer Hobbydetektivin, in der man sich durch schöne, südenglische, von romantisch-rustikalen Dörfern geprägte Landschaften bewegt, in denen ein Mord von Zeit zu Zeit die Ruhe durchbricht und in der der Fünf-Uhr-Tee heilig ist. Ein Mord zur Teatime wäre in diesem Umfeld wahrlich sehr unhöflich.

Es verwundert nicht, dass es nicht einmal eine Grafschaft Midsomer gibt, in der Inspector Barnaby ermittelt. Tatsächlich entstehen die meisten Episoden in den Grafschaften Buckinghamshire und Oxfordshire. Sämtliche Ortsnamen entspringen der Fantasie. Wirkliche Großstädte gibt es in dieser Welt nicht, die Orte sind klein, die Menschen freundlich, allein die Morde fallen etwas aus dem Rahmen. Vor allem, da es nie bei einem Mord bleibt. Der Tradition des englischen Kriminalromanes folgend, müssen es immer mindestens zwei Morde sein, besser noch drei, um die Zuschauerschaft zu verwirren, da in der Regel mindestens eines der Opfer immer auch ein Verdächtiger zu sein hat.

Als die Serie 1997 auf ITV startete, entwickelte sie sich im Vereinigten Königreich zu einem Erfolg; die große Welle aber, auf der die Serie zeitweise sogar zur weltweit erfolgreichsten TV-Serie überhaupt surfte, wurde erst Mitte / Ende der Nuller-Jahre angestoßen (so startete die Reihe in Deutschland 2005 und einer bösen Tradition folgend, kaufte das ZDF nur die „besten“ Episoden ein; zwar wurden um 2012 auch alle bis dato nicht-ausgestrahlten Episoden nachgekauft, synchronisiert und ausgestrahlt, die Chronologie aber hat dadurch hierzulande gelitten).

Ja, «Inspector Barnaby» hatte seinen Moment im großen Serienkosmos. Der unaufgeregte Inszenierungsstil, die sich in englischer Whodunnit-Tradition bewegenden Fälle, die sympathischen Hauptfiguren, die schönen Landschaften... All das hat sein Publikum gefunden. Irgendwann aber müsste das Interesse eigentlich abnehmen, denn irgendwann ist ein Konzept wie das von «Inspector Barnaby» einfach durch: Irgendwann kommt normalerweise der Moment, in dem sich Zuschauer neuen Formaten zuwenden, vor allem dann, wenn sich ein Format nicht weiterentwickelt.

Das gilt aber nicht für diese Serie, auch wenn der ganz große Hype vorbei sein mag. Tatsächlich hat im Fall von «Inspector Barnaby» nicht einmal der Wechsel der Hauptdarsteller von John Nettles auf auf Neil Dudgeon während der dreizehnten Staffel eine nennenswerte Veränderung ergeben. Da wurde halt aus Tom Barnaby John Barnaby (Tom Barnabys Cousin) und dann: ging es einfach weiter. Ja, Tom ist ein paar Jahre jünger als sein Vorgänger und statt einer erwachsenen Tochter durfte dieser während der Serie zu Vaterfreuden gelangen (etwas späten Vaterfreuden). Das ist aber auch schon der bemerkenswerteste Unterschied. Zweimal wurde seit der Staffelstabübergabe der Assistent ausgewechselt, aber solche Wechsel sind auch aus den John Nettles-Jahren bekannt. Ansonsten wird nach wie vor in schöner Landschaft hinterhältig gemeuchelt und gemordet. «Leichzeit am See» allerdings belegt, dass die Serie mal eine gewaltige Frischzellenkur gebrauchen könnte, denn so wirklich spannend oder prickelnd ist das alles nicht.

Wo Barnaby auftaucht, wird gemordet
Natürlich fängt auch dieser Film nicht damit an, dass der Inspector zu einem Tatort gerufen würde. Nein, Barnaby ist – eigentlich wie immer – schon da. Und zwar bevor überhaupt etwas geschieht (Anmerkung: Irgendwann müsste eigentlich jede Ortschaft in Midsomer ein Zutrittsverbot für Barnaby verhängen, denn egal, welches Stadtfest, welche Ausstellung, welchen Wettkampf er besucht, am Ende des Tages wird jemand unsanft aus dem Leben gerissen. Immer!).
Tatsächlich verweilt Barnaby als Zuschauer eines Geländelaufs im Dorf Solomon Gorge, an dem sein Assistent DS Jamie Winter teilnimmt. Als der Lauf sabotiert und ein Weg mit Angelhaken ausgelegt wird, an denen sich mehrere Teilnehmer verletzen, bittet man Barnaby, die Angelegenheit zu untersuchen.

Der Verdacht fällt sofort auf den Organisator eines gleichzeitig stattfindenden Angelwettbewerbs, der keinen Hehl daraus macht, dass ihn die Läufer am Ufer stören. Angeln braucht bekanntlich Ruhe. Vor allem ist dies nicht irgendein Angelwettbewerb: Einige Bewohner des Ortes behaupten, den legendären Ahab gesehen zu haben, einen riesigen Wels, der seit vielen Jahren die Fantasie der professionellen Angler anregt. Die beiden Gruppen, Läufer und Angler, sind einander nicht gerade wohlgesonnen, der Riss verläuft auch durch die Bewohnerschaft des Ortes, weshalb Barnaby ganz froh ist, Unterstützung von einem ehemaligen Kollegen, den mittlerweile im Ruhestand lebenden DCI Artie Blythe (Vincent Franklin) zu bekommen.

Obschon Barnaby nicht klären kann, wer für die Sabotage verantwortlich ist, wird am Folgetag das Rennen ein zweites Mal angepfiffen, nur um schon nach wenigen Metern wieder abgebrochen zu werden. Einer der Teilnehmer des Laufes liegt tot an einem Hindernis. Nun ermittelt Barnaby in offizieller Mission. Er selbst hat erlebt, dass der tote Läufer nicht gerade freundlich mit den Anglern umgegangen ist. Umso mehr überrascht Barnaby, dass der Tote bis vor weigen Jahren ein Star-Angler gewesen ist, der sich überraschend nach einem Wettbewerb vollständig aus dem Angelsport zurückgezogen hat.

Einem Wettbewerb in Solomon Gorge.

Bevor Barnaby diese Information einordnen kann, liegt auch schon die zweite Leiche in einem Kühlfach. Die Sache ist nur die: Der zweite Tote hatte augenscheinlich erst einmal keine nennenswerten Verbindungen zum ersten Opfer.

Das alles klingt, wenn man die Zusammenfassung liest, nach einer typischen Barnaby-Geschichte. Immer wieder sind es in Barnaby-Filmen Wettkämpfte, die Opfer und Mörder zusammenführen: hier sind es gar zwei. Dann trifft Barnaby einen ehemaligen Kollegen, der ihm einige Türen öffnen kann, der aber irgendwie auch zu nah an der Geschichte dran ist. Das muss gar nicht gesagt werden, das weiß man als Krimigucker einfach. Um einfach nur zufällig vor Ort zu sein: dafür weiß dieser Ex-Kollege zu viel. Und selbst der Twist, dass die beiden Mordopfer auf den ersten Blick gar nichts miteinander zu tun haben, funktioniert nicht. Warum? Das zu erklären, das wäre ein Spoiler, daher nur soviel: In einer frühen Szene wird recht prominent eine Figur erwähnt, die nicht persönlich anwesend ist. Dieses Momentum verrät jedoch so offensichtlich, dass diese Figur wohl eine Rolle im kommenden Mordstreiben spielen wird, dass es eine Überraschung wäre, wäre dies nicht der Fall. Wenn man sich dann anschaut, wer das erste Mordopfer ist und welche Vorgeschichte dieses Opfer mit dem Ort verbindet (das Ende seiner Angelleidenschaft), kann man sich schon zusammenreimen, auf was die Geschichte dieses Spielfilmes wohl hinauslaufen wird. Selbst die Identität des Mörders ist in diesem Moment eigentlich beantwortet. Man weiß zwar noch nicht genau warum, aber man ahnt es. Allein die Tatsache, den Fans der Serie an dieser Stelle den Spaß nicht vollends vermiesen zu wollen, zwingt dazu, in der Beschreibung der eklatanten Schwächen dieses Filmes, inhaltlich an der Oberfläche zu verbleiben. Die einzige halbwegs spannende Frage bleibt am Ende, wie viele weitere Opfer wohl noch folgen werden, denn dass es nicht bei den beiden Herren bleiben wird, auch das steht außer Frage.

Sicher: «Inspector Barnaby» ist in einem sich immer schneller drehenden Serienkarussell eine Konstate. Das macht die Serie eigentlich charmant. Ganz ohne Hektik kommt die Inszenierung aus, die Hauptfiguren brauchen nicht auf Biegen und Brechen irgendein Trauma, mit dem sie sich herumschlagen müssen. Und ermittelt wird natürlich stets im Sonnenschein, um das Umfeld hübsch auszuleuchten. Nach über 20 Jahren aber braucht die Serie eine Frischzellenkur und sei es nur ein Spielfilm, der vielleicht einmal ohne einen Mord auskommt. Irgendetwas, das niemand erwartet: schlicht und ergreifend eine Überraschung, die beweist, dass der Inspector nicht nur televisionären Dienst nach Vorschrift schiebt. So wie dieser Film ganz einfach lustlos wirkt. Wie ein Februar-Mittwoch in einem Provinzfinanzamt.

Fazit: Ein lahmes, lustlos heruntergekurbeltes Kriminalspiel.

Am Sonntag, 12.12.2021, 22.15 Uhr im ZDF

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