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Das Symptom Ebeling: Das Fernsehen entfremdet sich von sich selbst

von   |  8 Kommentare

Thomas Ebeling steht für eine ganz bestimmte Geisteshaltung in der Medienbranche: den Unwillen, auf kreative Leistungen zu vertrauen. Mitunter deshalb sieht das Privatfernsehen in Deutschland heute so aus, wie es aussieht.

There has always been a conflict between art and commerce, but right now: Art is getting its ass kicked.
-- Aaron Sorkin, «Studio 60 on the Sunset Strip»

Thomas Ebeling ist kein Fernsehmacher. Doch das hielt ihn nicht davon ab, Fernsehen zu machen. Als Vorstandvorsitzender von einem der größten Medienkonzerne Europas.

Irgendwann hat es eine Trendwende gegeben. Wann genau, lässt sich schwer sagen. Wie das eben so ist mit Trendwenden. Doch ebenso wie sich bei der RTL Group die Ära Schäferkordt von der Ära Thoma unterscheidet, so war in der Ära Ebeling bei ProSiebenSat.1 von den Tycoon-haften frühen Jahren der Ära Kirch, ja nicht einmal mehr von dem manchmal chaotischen, aber immer lebhaften, vitalen Intermezzo Schawinski irgendetwas zu spüren.

Dass das Fernsehen heute so ist, wie es ist, hat viele Ursachen. Der deutsche Markt ist so groß, die Interessen der zahlreichen, oft vertrackten Marktstrukturen sind zu vielfältig, als dass es eine alles überschattende monokausale Ursache geben könnte. Doch zumindest eine wesentliche von ihnen besteht darin, dass Fernsehen nicht mehr von Fernsehmachern gemacht wird.

Bevor Thomas Ebeling den Posten des Vorstandsvorsitzenden von ProSiebenSat.1 antrat, war er als Manager in – freilich besonders exponierten – Positionen in der Pharmabranche tätig gewesen. Dass ein Mann, der mit dem Mediengeschäft bisher zumindest nicht in besonderem Umfang in Berührung gekommen war, nun einen von Europas größten Medienkonzernen leiten sollte, sorgte zumindest bei den Kreativen der Branche schon bei seiner Ernennung vor fast einem Jahrzehnt für eine Mischung aus Erstaunen, Unverständnis und mitunter: Unmut.

Die Manager unter den Lesern mögen nun entgegnen: Na und? Wechsel von Pharma zu Automotive, aus der IT-Branche in den Gesundheitssektor, von Energiekonzernen zu Consumer Electronics sind schließlich alltäglich. Aber ich will dagegen argumentieren: Die Medienbranche ist ein Sonderfall, der sich mit den nicht-kreativen Wirtschaftszweigen nur sehr begrenzt und bedingt vergleichen lässt. Das soll nicht despektierlich sein – und auch die kreativen Leistungen in diesen Branchen nicht abwerten: Von der Pharma- bis zur Energiebranche ist für Führungskräfte neben einem besonders tiefen Fachwissen, einer Begabung zur Führung und einem umfassenden, tiefen Verständnis der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Branche auch eine besondere kreative Kraft Voraussetzung für jeden wesentlichen Erfolg. Doch das Mediengeschäft lebt von einer besonderen schöpferischen Kraft, weil es schließlich nichts anderes produziert als die kreativ-künstlerische Leistung an sich.

Thomas Ebeling war in dieser Branche nie richtig angekommen. Nun stürzte er über ein belangloses Telefonat, in dem er abfällig über die Zuschauer seiner Sender sprach. Dieses war freilich eher Anlass als Ursache für seinen Abgang. Berufliche Feinde hat er sich in seinen Jahren als Vorstandsvorsitzender wahrlich genug gemacht. Einer von ihnen wird für die Zuspielung der brisanten Gesprächszeilen an „DWDL“ schon verantwortlich gewesen sein.

Doch Thomas Ebeling ist nur ein Symptom – ein Symptom für eine ganz bestimmte Geisteshaltung, einen ganz bestimmten Zustand im deutschen Fernsehbetrieb: die Unmöglichkeit oder den Unwillen, auf kreative Leistungen zu vertrauen.

Auf Konzernebene verfolgten Ebeling und seine Verbündeten schon seit langer Zeit konsequent ein Hauptziel: So wenig Fernsehen zu machen wie möglich. Wachstum sollte durch Zukäufe von jungen Unternehmen aus der Digitalwirtschaft generiert werden, die oft weder mit Bewegtbild noch mit kreativ-medialer Leistung auch nur das Geringste zu tun hatten: etwa ein Reise-Portal oder einen Online-Erotik-Shop. Offenbar vermag die Führungsriege nur noch hier substantielle Wachstumsmöglichkeiten zu vermuten. Abfällig hieß es in der Branche, ProSiebenSat.1 werde zum Gemischtwarenladen. Doch dieses Pejorativ verdeckt das eigentlich tieferliegende Phänomen: Es ist die Kapitulation nach vielen Jahren des Scheiterns, mit Fernsehen zu begeistern.

Zumindest eine Ursache dieses Scheiterns bestand für ProSiebenSat.1 darin, dass seine Sender geführt wurden, als wären sie Pharmafirmen oder Versicherungsunternehmen, als entstünden ihre Programme zum größten Teil in den Controlling- und nicht in den Kreativ-Abteilungen. Man mag eine Branche, die durch Filme wie «Kein Pardon» erstaunlich realistisch zu beschreiben ist, für ihre großen Egos verurteilen, für ihre Exzentrik belächeln und für ihre auf den ersten Blick erstaunliche Diskrepanz zwischen mancher finanziellen Kompensation und der zu ihr in einem augenscheinlichen Missverhältnis stehenden Gegenleistung verunglimpfen.

Doch wenn man sich an die Hochzeit des Privatfernsehens erinnert, erinnert man sich immer an die Grenzenlosigkeit, an die schier unendliche Energie, die nicht nur seine Formate, sondern sein ganzer Gestus, seine gesamte Selbstdarstellung als Branche ausmachten. Davon ist heute nicht mehr viel übrig, weil es die kurzfristige Kosten-Nutzen-Rechnung nicht mehr erlaubt. Stattdessen: Maßanzugträger, die genauso gut den Bayer-Konzern oder die Deutsche Bank führen könnten wie Europas größte Medienunternehmen. Wer sich wundert, warum das Privatfernsehen in Deutschland heute so aussieht, wie es aussieht, findet in dieser Beobachtung wohl erste Anhaltspunkte.

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Es gibt 8 Kommentare zum Artikel
Familie Tschiep
07.12.2017 15:40 Uhr 1
In jeder Branche braucht man Ahnung von der Materie, damit man weiß, wohin man sein Unternehmen führen will, da reichen keine Managementtools allein.

In anderen Branchen ist Kreativität genau so wichtig, es ist eine andere Art von Kreativität.

Problem sind auch die Heuschrecken, die ProSiebenSat1 besitzen. Gut wäre es, wenn es wieder einen Ankerinvestor gäbe, der für Medieninhalte lebt.
BungaBunga
07.12.2017 16:26 Uhr 2
Ich verweise hier mal auf eine Folge von RadioEins Die Blaue Stunde mit Serdar Somuncu. Zu Gast Kalkofe. Die beschreiben dort sehr treffend und gut die aktuelle Lage der deutschen Fernsehbranche. Ist wirklich interessant. Das Problem ist einerseits natürlich braucht man in der freien Wirtschaft Gewinn und Rendite, aber hier sieht man dann auch wie es um die Gewichtung der Aspekte bestellt ist. Und das die kommerziellen Faktoren oftmals die Kreativität und die Kunst erdrücken. Nicht nur aber auch aufgrund diesen Aspektes bin ich ein Befürworter des dualen Systems. ProSieben ein Sender den ich eigentlich über Jahrzehnte positiv wahrnahm ist seit ein paar Jahren nur noch ein Schatten seiner selbst. Man bekommt ein bisschen Trash bisschen Gossip hauptsächlich Dauerschleifen und Wiederholungen von US Sitcoms geboten, und teilweise noch interessante Shows, die aber so dermaßen mit Werbung überladen sind, dass man diese kaum noch schauen kann.
Familie Tschiep
07.12.2017 16:51 Uhr 3
Problem ist auch das Messen des Erfolgs an Marktanteilen. Für Magazinsendungen mag es hilfreich sein, die niemand direkt einschaltet, aber die die Zuchauer mal so mitnehmen. Oder für Neustarts, die erst ihr Publikum finden müssen.



Für andere Produktionen wie The Taste ist es schädlich. Die Sendung krebst immer um den Marktanteil herum, mal etwas mehr, mal etwas weniger. Es scheint nicht so der Renner beim Publikum zu sein. Das Ausprobieren der Sendung war wichtig, die zweite Staffel war auch okay, aber spätestens danach hätte ich mich gefragt, ob .das Projekt wirklich Zugkraft besitzt. Solche Sendungen brauchen Zugkraft, um die Flops aufzufangen, die elementarer Teil des Fernsehgeschäfts sind. Schluss mit dem Marktanteilskult!



Pro Sieben/sat 1 brauchen mehr Ankersendungen, die medial Aufmerksamkeit erregen und für überdurchschnittliche Zuschauerzahlen sorgen.



Ich habe mich mal durch die Produktionsfirmen von Red Arrow geklickt, manchmal fand man keine Link zu den Homepages. Sicherlich gute Firmen, aber da findet sich kaum etwas, was man hier wirklich verwerten kann. So sehr interessieren sich die Deutschen nicht für Alaska oder die US Army. Es gibt kaum Formate, die irgendwie internationalisierbar sind. Da fragt mich sich, wieso man die gekauft hat. Eine Strategie dahinter kann ich nicht entdecken.
Vittel
07.12.2017 17:41 Uhr 4
Da mag bestimmt vieles zutreffen, aber es blendet die Marktveränderungen vor der Mattscheibe komplett aus.



Das Privatfernsehen konnte Ende der 80er, in den 90ern und 00ern immer wieder drauflegen und sich vom ÖR abheben. Sei es durch die Sexfilmchen, Tutti Frutti, durch frisches RTL Samstag Nacht, durch Spielshows, Talkshow Gerichtsshows usw.

Es folgten gesellschaftliche "Aufreger" wie Big Brother, Die Alm, Dschungelcamp und emotionale Momenten in den Casting Shows. Man eifert immer noch dem nessun dorma nach, kann diesen Moment aber nicht mehr replizieren, selbst einen Menderes kann man nicht noch mal hervorbringen.



War früher noch ein "fescher Spruch" von unserem Tommy "unerhört, aber so ist er halt, der Schlawiner" gähnen wir heute bei Kakerlakenfresserei und Kotzeinlagen.



Eine Steigerung ist nicht mehr möglich, alles gesehen, alles schon dagewesen, nichts mehr neues möglich (zumindest nichts mehr legales). Das Feuerwerk wurde komplett abgebrannt und jeder Sender hatte die ganz tollen Raketen der anderen nachgebaut und dreifach hinterhergeballert.



Beschleunigt wurde alles in den letzten zwei bis drei Jahren durch Aufkommen von VOD. Plötzlich kann man zu fairen Konditionen (monatliche Kündbarkeit, geringer Preis) auf tolle Inhalte zugreifen mit einem Komfort und einer Leichtigkeit, die bisher unbekannt war.



Da kann auch ein echter Fernsehmacher nichts dran ändern, höchsten den Zerfall verlangsamen.



Tot ist das Fernsehen noch lange nicht, aber es muss erst noch viel, viel weiter absacken und alte Strukturen und Gewohnheiten auflösen, damit vielleicht irgendwann wieder ein kleines zartes Pflänzchen gedeihen kann.
Familie Tschiep
07.12.2017 18:08 Uhr 5
Ich glaube nicht, dass die Zuschauer schon alles gesehen haben. Die Dschungelcamp-Schiene ist überreizt.

Bei Casting ist keine Trashsteigerung mehr möglich, deswegen war ja The Voice erfolgreich. Vox hatte danach noch mit Sing meinen Song, krebskranken Teenagern und einer Investionsshow Erfolg und die Shows waren alle legal. Derzeit ist das ZDF mit Bares für Rares, die ARD ist mit Kai Pflaume und Gefragt, gejagt erfolgreich und RTL sucht erfolgreich Ninja Warrior.

Deine Argumention, lieber Vittel, stimmt so nicht.
Vittel
08.12.2017 11:47 Uhr 6
Kann man Ninja Warrior mit den ersten Staffeln Big Brother und DSDS, Dschungelcamp und allen anderen großen Shows vergleichen?



Diskutiert der Schulhof am Montag über die aktuelle Ninja Warrior? Gibt es lange Artikel in den renommierten Tageszeiten wie Süddeutsche, FAZ usw. über die Sendung, so wie das bei Big Brother der Fall war?



Entstehen Kultfiguren wie Zlatko, Jürgen, Daniel Kübelböck, an die sich das Publikum noch nach mittlerweile bis zu 17 Jahren erinnert?



Gibt es einen Entertainer, der scheinbar mühelos Late-Night-Unterhaltung, Sportveranstaltungen, Spielshows, Top10 Hits, ESC Hits usw. am laufenden Band produziert?



Diese Fragen stelle ich nicht nur rhetorisch, ich kann Privat-TV ja nicht mehr empfangen und die Kinder in meinem Umfeld sind noch zu klein für solche Sachen.

Ich bekomme aber immer noch die Berichterstattung in den anderen Medien mit bzw. bekomme eben fast nichts mehr mit abgesehen von Werbeplatzierungen von der "Nackte-auf-der-Insel-Sendung" z.B. in der Bildzeitung.



Natürlich werden auch heute und auch noch in der Zukunft Sendungen geschaut und manche sind dabei erfolgreicher als andere und auch für viele sehenswert.

ARD und ZDF werden sich auch noch lange in der Komfortzone "Finanzierung gesichert" und "großes homogenes Publikum" bewegen können.



Aber den Stellenwert, den TV und insbesondere Privat-TV in den 90ern und 00ern hatte, den erreicht es zumindest seit einigen Jahren und auch in absehbarer Zukunft bei weitem nicht mehr und die Tendenz in Sachen Abwechslung, Innovation usw. zeigt ganz eindeutig steil nach unten.
Familie Tschiep
08.12.2017 13:25 Uhr 7
Bei Ninja Warrior entstehen auch Kultfiguren. Ob sie so bekannt werden, wie die von dir genannten, steht auf einem anderen Stern. Die Höhle der Löwen hat einen hohen Twitteranteil und ist auch sehr erfolgreich im Handel. Für Vox sind die Quoten hoch, bei RTL wären sie höher.

Die Quoten sind noch nicht so überragend wie bei der ersten DSDS, zweiten Big Brother-Staffel und den Dschungelcamp-Folgen. Bei den Formaten ging es mit dem Interesse auch im Laufe der Zeit nach unten.

Bares für Rares ist schon sehr erfolgreich, der Eifeltatort übertrifft es, aber das sind alles keine Shows der Privaten.

Und was total erfolgreich ist: Schlager. Man staunt, welche Zugriffszahlen die großen Stars bei Youtube erreichen.
Vittel
08.12.2017 13:55 Uhr 8
Naja, die Quoten sind ja so eine Sache. Relative Anteile bei Fernsehzuschauern können halt auch relativ hoch sein, weil andere Dinge nicht geschaut werden.



Dass andere Kanäle wie youtube&co. hohe Zugriffszahlen bekommen ist ja einer der Gründe, warum die klassischen (privat) TV Sender nicht mehr so hoch im Kurs stehen.



Grundsätzlich hat sich ja nichts geändert, Menschen wollen weiterhin audiovisuell unterhalten werden, nur schaffen das die klassischen privaten Sender zumindest zur Zeit nicht mehr so gut, wie sie das früher durchaus konnten.
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