Interview

‚Nur weil man empathisch ist, heißt das nicht, dass man sich auf der Nase herumtanzen lässt‘

von

Claudia Kottal übernimmt im neuen Wien-Krimi die Rolle der Hauptkommissarin Mia Markovic – eine Frau mit natürlicher Autorität, Empathie und Mut zur Verletzlichkeit. Im Gespräch erzählt die Schauspielerin und Regisseurin, warum weibliche Führung jenseits von Klischees so wichtig ist, wie viel persönliche Haltung in ihre Figuren einfließt – und weshalb Wien für sie als Künstlerin ein besonderer Ort bleibt.

Frau Kottal, Sie übernehmen im neuen Wien-Krimi die Rolle der Hauptkommissarin Mia Markovic. Was hat Sie an dieser Figur und ihrer Haltung besonders gereizt?
Im Vorgespräch mit der Regisseurin Sibylle Tafel haben wir festgestellt, dass wir beide Lust hätten an einer Figur zu arbeiten, die eine natürliche Autorität, ein gesundes Selbstbewusstsein hat und gar nicht auf die Idee kommt in starren Hierarchien zu denken oder ihr weibliches Leadership als problematisch zu betrachten. Bestimmt eine ungewöhnliche Behauptung für eine Frau, die in dieser harten Männerdomäne bestehen muss. Eine die nicht unserer Sehgewohnheit oder alten Denkmustern entspricht. Aber genau deshalb fanden wir sie so spannend. Am Set haben wir das dann immer wieder überprüft - wie viel Lächeln ist möglich? Wie freundlich darf eine weibliche Chefin sein, dass sie noch ernst genommen wird? So ein Experiment im geschützten Rahmen eines Filmprojekts zu machen, kann eine Strahlkraft in die gelebte Realität haben. Das hoffe ich zumindest.

Mia Markovic ist neu im Team, tritt aber sehr souverän auf. Wie haben Sie diesen selbstbewussten, aber zugleich empathischen Charakter entwickelt?
Das freut mich sehr, dass Sie das so beschreiben. Mission geglückt. Empathie wird ja oft als Schwäche ausgelegt. Das ist mir persönlich schon oft passiert. Und ich wollte diese Annahme gerne widerlegen. Nur weil man sich in seine Mitmenschen einfühlen kann, heißt das nicht, dass man sich auf der Nase rumtanzen lässt. Ich denke, ich habe da viel aus meiner eigenen Erfahrung geschöpft und dann wiederum auch viel von Mia gelernt - ich selbst war noch nie in einer solchen Führungsposition und hätte mir viel schneller die Butter vom Brot nehmen lassen, wenn ich mit so vielen zweifelnden Blicken konfrontiert gewesen wäre.

Sie spielen an der Seite von Philipp Hochmair, der seit Jahren das Gesicht des Formats ist. Wie haben Sie die gemeinsame Arbeit erlebt – vor und hinter der Kamera?
Wir kannten einander bereits von einem anderen Projekt, dem Kinofilm «Glück gehabt» von Peter Payer. Es ist sehr angenehm mit Philipp zu arbeiten und immer eine Freude. In ein bestehendes Team dazuzukommen war natürlich herausfordernd. Alle kennen einander und sind eingespielt. Aber ich habe mich sofort von allen sehr willkommen geheißen gefühlt!

Gedreht wurde mitten in Wien, unter anderem im Tiergarten Schönbrunn. Welche Eindrücke oder Momente von den Dreharbeiten sind Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?
Der allererste Drehtag eines Projektes ist meist ein sehr eindrücklicher, da trotz aller Erfahrung die Aufregung doch sehr hoch ist. Es war besonders spannend einmal hinter die Kulissen eines so großen Tiergartens zu blicken und zu sehen wie viele Menschen zusammenarbeiten um für die vielen Tiere zu sorgen. Wir durften einmal kurz in das Innere des Affengeheges. Die Betreuerin war sehr streng, hat uns erstmal instruiert, wie wir uns desinfizieren müssen um kein Tier anzustecken und wie wir uns den Affen gegenüber zu verhalten haben. Das hat mir imponiert. Das Tierwohl steht an erster Stelle und es ist wichtig, mit wilden Tieren respektvoll umzugehen.

Ihre Figur verkörpert eine moderne, durchsetzungsstarke Ermittlerin. Wie wichtig ist es Ihnen, weibliche Polizeifiguren jenseits gängiger Klischees zu zeigen?
Ich bin wie gesagt sehr glücklich, dass Sie das so wahrgenommen haben, vielen Dank. Tatsächlich ist mir das sehr wichtig. Dass eine wirkliche Veränderung in der Gesellschaft stattfinden kann, bedarf einer gewaltigen Umwälzung in uns allen, ein Umdenken im Kleinen und im Großen in allen nur erdenklichen Lebensbereichen. Deswegen dauert das alles auch so lange. Und da der Mensch Veränderung gar nicht gern mag, trifft sie auch auf so viel Gegenwind. Umso wichtiger ist es, dass wir in den Geschichten, die wir erzählen, auch darauf achten, dass wir sie neu erzählen, neu denken, Gedankenwelten öffnen, zeigen, wie es anders gehen kann. Mir war das früher nicht so bewusst, aber erst wenn wir eine Vision denken können, hat sie eine Chance in die Realität umgesetzt zu werden. Da können wir Filmschaffende ein wenig Vorarbeit leisten, hoffe ich.

Sie bezeichnen sich selbst als queer feminist und engagieren sich für Gleichberechtigung. Inwiefern fließt dieses gesellschaftliche Bewusstsein auch in Ihre Arbeit als Schauspielerin und Regisseurin ein?
Ich versuche auf jeden Fall so viel wie möglich von meiner persönlichen Weltsicht einfließen zu lassen, da ich als queere Frau schonmal nicht zum Mainstream gehöre und es wichtig ist, dass wir viele Stimmen jenseits der Norm hören und sprechen lassen. Deshalb bin ich auch sehr engagiert, eigene Projekte zu realisieren, weil ich da Inhalt und Ausführung viel mehr mitbestimmen kann.

Gewalt gegen Frauen und Femizide sind ein zentrales gesellschaftliches Thema, das auch im Krimikontext oft behandelt wird. Wie kann Fernsehen dazu beitragen, mehr Bewusstsein zu schaffen, ohne zu moralisieren?
Dieses Thema liegt mir persönlich sehr am Herzen und ich finde es wichtig, dass es so oft wie möglich seinen Weg in die Medien und in die Öffentlichkeit findet. Je mehr die Missstände ins Bewusstsein der Gesellschaft rücken, desto schneller können sie in Zukunft aufgedeckt werden. Und möglicherweise können wir damit Frauen erreichen, denen noch nicht bewusst ist, dass es nicht ihre Schuld ist, was in ihrem eigenen Zuhause passiert. Dass sie sich Hilfe suchen, Schutz erfahren können, dass sie mit ihrem Schicksal nicht allein sind.
Noch immer viel zu Wenige kenne beispielsweise das Handzeichen - Daumen in die Handinnenfläche legen und Faust schließen - das internationale Zeichen, dass man Hilfe von außen benötigt. Gemeinsam können wir vielleicht dazu beitragen die Zahl der Femizide zu verringern.

Neben dem «Wien-Krimi» waren Sie zuletzt in Projekten wie «Biester» oder «Ich bin Ruth» zu sehen. Was reizt Sie generell an starken Frauenfiguren mit Brüchen und Tiefe?
Ich denke, wir Menschen sind alle voller Widersprüche und Gegensätze. Wir wären gerne beispielsweise total mutig und verstecken unsere Schwächen oder machen einen auf tough, obwohl wir uns verliebt haben. In der Fiktion wie im wahren Leben, macht uns diese Widersprüchlichkeit menschlich. Man fühlt sich zu den Menschen wie Figuren mehr hingezogen, von ihnen verstanden und ist angesteckt die eigene Menschlichkeit auch preiszugeben. Das liebe ich privat wie beruflich - wenn wir den Mut haben einander unsere Fehlbarkeit zu zeigen.

Sie arbeiten nicht nur als Schauspielerin, sondern auch als Regisseurin und Sängerin. Wie beeinflussen sich diese verschiedenen künstlerischen Ausdrucksformen gegenseitig?
Als Regisseurin arbeite ich jetzt nur mehr im Kollektiv wie bei «Ich bin Ruth», wo ich zusammen mit meiner Frau Anna Kramer und unserer Kollegin Suse Lichtenberger, einen Theaterabend über die jüdische Wienerin Ruth Maier gemacht habe. Ruth Maier wurde 1920 in Wien geboren, emigrierte 1939 nach Norwegen und wurde 3 Jahre später von dort nach Auschwitz deportiert und ermordet. Ihre Tagebücher und Briefe sind unglaublich poetisch, witzig und ein wichtiges und sehr berührendes Zeitdokument. Als Sängerin wurde ich vor kurzem von einer großartigen Musikerin und lieben Freundin, der österreichischen Sängerin Clara Luzia, gefragt, ob ich nicht Lust hätte Backing Vocals und Keys zu machen. Das war eine große Herausforderung, aber ich habe auch wieder einmal gemerkt, wieviel mir Musik bedeutet. Diese unterschiedlichen künstlerischen Einflüsse befruchten einander sehr und ich kann einfach nur sagen, dass ich wahnsinnig dankbar bin, so vielseitig tätig sein zu dürfen und von meiner Leidenschaft leben zu können.

Der «Wien-Krimi» ist für viele Zuschauer auch ein Stück Heimatgefühl. Was bedeutet Wien für Sie persönlich – als Mensch und als Künstlerin?
Ach, ich liebe Wien schon sehr. Es ist eine sehr lebenswerte Stadt und sie ist in den letzten 20 Jahren auch liebenswerter geworden. Früher sagte man, den Wiener Kellner erkennt man an seiner Unfreundlichkeit. Der Wiener Charme ist mittlerweile definitiv charmanter geworden :-) Und als Wiener Künstlerin kann man nur wahnsinnig dankbar sein. Man kann am Theater immer noch für freie Produktionen gefördert werden - das glückt nicht immer, aber die Förderkultur wie sie in Wien gegeben ist, gibt es sonst, glaube ich, fast nirgends mehr. Und die WienerInnen lieben ihre KünstlerInnen. Hier ist es wahrscheinlich nicht so unvorteilhaft sich bei der Wohnungssuche als KünstlerIn zu outen wie anderswo.

Vielen Dank für das offene Gespräch!

«Der Wien-Krimi: Blind ermittelt – Geister der Vergangenheit» läuft am Donnerstag, 16.10. um 20.15 Uhr im Ersten.

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