Interview

Alice Gruia über ihr Kinodebüt: ‚Familiengeschichten sind zeitlos, universell und extrem emotional‘

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Mit «Seid Einfach wie ihr seid» feiert Alice Gruia am 2. Oktober ihr Spielfilmdebüt. Im Quotenmeter-Interview spricht die Schauspielerin, Regisseurin und Autorin über Familienkonflikte als Stoff, ihren unabhängigen Produktionsweg und warum Humor für sie auch in ernsten Momenten unverzichtbar ist.

Am 2. Oktober startet mit «Seid Einfach wie ihr seid» das Spielfilmdebüt von Alice Gruia in ausgewählten deutschen Kinos. Die Schauspielerin, Regisseurin, Drehbuchautorin und Produzentin hat sich zuvor mit ihrer Dramedy-Serie «Lu von Loser» (nominiert für den Deutschen Fernsehpreis und den Grimme-Preis) einen Namen gemacht. Im Interview spricht sie über Familienkonflikte als Filmstoff, ihren DIY-Ansatz in der Produktion und warum Humor für sie der Schlüssel zu ernsten Themen ist.

Ihr Kinodebüt «Seid Einfach wie ihr seid» startet am 2. Oktober in ausgewählten Kinos. Was hat Sie dazu bewogen, gerade diese Geschichte als Spielfilm zu erzählen?
Ich hatte mal angefangen, ein Theaterstück über ein Familientreffen mit besonderem Anlass zu schreiben. Ich hatte es nie zu Ende geschrieben, die Charaktere standen aber nach wie vor wie bestellt und nicht abgeholt an meiner Tür. Dann habe ich es in einen Film übersetzt und «Seid Einfach wie ihr seid» ist das Ergebnis.

Der Film dreht sich um ein Patchwork-Familientreffen voller alter Konflikte und verdrängter Emotionen. Warum hat Sie dieses Thema so gereizt und steckt darin auch etwas Autobiografisches?
Ich behaupte mal, dass in jeder Geschichte, die man schreibt, irgendwas Autobiografisches steckt. Natürlich auch in dieser, gerade wenn es um so etwas Persönliches geht wie Familie. Ich könnte einige Parallelen mit meiner Filmfamilie aufzählen, aber am Ende können das alle. Denn wir alle haben Familie, ob wir wollen oder nicht. Wir alle werden von ihr bis aufs Mark geprägt. Deswegen reizt mich dieses Thema auch sehr. Es ist zeitlos, universell und extrem emotional.

Mit Florian Geißelmann spielt ein Shootingstar mit, der gerade durch «In die Sonne schauen» für Aufsehen sorgt. An Ihrer Seite ist außerdem Lou Strenger, die kürzlich für den Deutschen Fernsehpreis nominiert war. Wie sind Sie auf die beiden gestoßen und was hat sie für ihre Rollen in «Seid Einfach wie ihr seid» besonders gemacht?
Ich habe Florian in einem Online-Schauspielkurs kennengelernt, an dem wir beide teilgenommen haben. Als er sich vorstellte und sein Alter von 17 Jahren nannte, habe ich ganz genau hingehört und ihn die ganze Zeit beobachtet. Ich war damals mitten im Castingprozess und die Rolle des 17-jährigen Andrei war die einzige, die noch nicht besetzt war. Kurze Zeit später ist er nach Köln gereist und wir haben ihn gecastet. Wie seine Rolle im Film ist er sehr weit für sein Alter, eigen, witzig und sehr schlau. Das war sein erster professioneller Dreh, und sofort war mir klar, dass er noch eine vielversprechende Karriere vor sich hat. Lou wurde von Produzentin Corinna C. Poetter und mir ganz klassisch in einer Schauspielerdatenbank gefunden. Während der Corona-Zeit sind wir spazieren gewesen. Anschließend haben wir sicherheitshalber noch ein Casting mit Lou gemacht, aber eigentlich wusste ich schon, dass sie meine Willie ist. Lou ist eine natürliche Spielerin mit viel Tiefe und hatte einfach einen guten Zugang zur Rolle. Sprich, bei beiden war es Liebe auf den ersten Blick. Es ist sehr schön, wenn solche Entscheidungen so leicht fallen.

Sie erzählen die Geschichte als tragikomisches Found-Footage-Kammerspiel. Was bietet diese Erzählweise, was klassische Dramaturgie nicht leisten könnte?
Ich habe mir das vorher nicht genau überlegt. Ich fand es einfach nur spannend, dass jemand aus dem Ensemble die Kamera macht. Außerdem konnte ich Erfahrungen einbringen, die ich als Regisseurin meiner ersten Doku über meine Großmutter gemacht habe: Dass das, was ungeplant passiert und wie die Protagonist:innen mit dem Dreh umgehen, viel spannender ist als das, was ich mir als Regisseurin im Vorfeld überlegt habe. Und das hat dann auch die Dramaturgie bestimmt: Willie will eine seriöse Doku über das Zusammentreffen ihrer Eltern machen, hat bestimmte Fragen und Bilder im Kopf, aber dann läuft gefühlt alles schief. Eigentlich werden sonst alle Themen behandelt, die auch ohne Kamera für die Familie dran gewesen wären, aber die Kamera verstärkt die Konflikte und fügt dem ganzen noch eine gewisse Direktheit und Echtheit hinzu. Und Humor. Außerdem passt dieses Stilmittel gut zu der sich durchziehenden Frage von Ehrlichkeit zu sich selbst und denjenigen, die einem am nächsten stehen. Denn wenn man in diesem Moment von der Kamera erwischt und verewigt wird, ist es nochmal unangenehmer als eh schon.

Mit «Lu von Loser» haben Sie Serie, Drehbuch, Regie, Produktion und Hauptrolle vereint, ein echtes DIY-Projekt, das bis ins ZDF und auf internationale Festivals kam. Wie hat diese Erfahrung Ihr Arbeiten am Spielfilm geprägt?
Es war eine ganz andere Arbeit. Ich habe beim Spielfilm nicht mitgespielt und der Ansatz und Stil waren auch ganz anders, aber der gemeinsame Nenner ist wohl eine gewisse Tonalität und Mischung aus Drama und Humor. Und, dass ich sehr frei in meinen künstlerischen Entscheidungen war und meine Vision beim Schreiben glücklicherweise genau so umsetzen durfte. Der Erfolg von «Lu von Loser» hat mich darin sicherlich bestärkt.

Sie haben sich bewusst für unabhängige Produktionswege entschieden. Welche Vorteile bringt das und wo stoßen Sie an Grenzen, etwa bei Finanzierung oder Sichtbarkeit?
Bewusst war das beim Spielfilm ganz und gar nicht. Das Drehbuch lag beim WDR und auch beim ZDF, aber leider bekamen wir keine Zusage. Glücklicherweise hatten wir Produktionsförderung der Filmstiftung und konnten so den Dreh auf die Beine stellen. Allerdings in nur acht Drehtagen und ohne angemessene Gagen zahlen zu können. Die Produzent:innnen Corinna C. Poetter, Lutz Heineking jr., Marco Gilles und ich haben daran bisher gar nichts verdient, ganz im Gegenteil leider. Es ist also ein Herzensprojekt, an das alle Beteiligten geglaubt haben und wir nur deswegen umsetzen konnten. Mit maximaler kreativer Freiheit, das ja. Aber bis heute investieren wir Hauptverantwortlichen noch da rein und das kann eigentlich nicht sein. Gerade auch in Bezug auf die Herausbringung ist es schwierig für kleine Filme. Von größeren Verleihern werden sie sofort abgewunken und von wichtigen Branchenevents wie dem deutschen Filmpreis gar nicht erst zur Einreichung zugelassen. Das ist alles sehr schade, weil am Ende macht man's, damit der Film gesehen wird. Und dem Publikum ist es ja egal, mit wie viel Geld er gemacht wurde, wenn er gut ankommt. Und das tut «Seid Einfach wie ihr seid» allemal – bei Jung und Alt. Aber wir hoffen, ihn im Anschluss an die Kinovorführungen noch an einen Streamer oder Sender zu verkaufen und sind da auch zuversichtlich.

Parallel zu Ihrer Arbeit hinter der Kamera spielen Sie weiterhin Rollen, zuletzt in «Doppelhaushälfte». Wie verändert die Doppelperspektive von Schauspiel und Regie Ihren Blick auf Figuren?
Schwer zu sagen, wie ich spielen würde, wenn ich keine Regisseurin wäre und umgekehrt. Am Ende geht es immer, egal ob ich das aus der Außen- oder Innenperspektive mit herstelle, um Glaubhaftigkeit, Nahbarkeit, Lebendigkeit und einen gewissen Humor, der aus den Figuren herauskommt und auch in den düstersten Momenten zu finden ist. Und der funktioniert nur, indem man die Figur und die Situation total ernst nimmt.

Als Frau, die gleich mehrere kreative Rollen übernimmt, sind Sie eine Ausnahme. Wie erleben Sie die Film- und Serienbranche aktuell – gibt es mehr Raum für weibliche Stimmen?
Da hat sich in den letzten Jahren durchaus viel getan. Mit klassischen Auftragsarbeiten als Regisseurin, Kamerafrau, Autorin etc. ist es definitiv leichter geworden. Aber als Autorenfilmemacherin muss am Ende immer noch der Stoff eine bzw. mehrere Runden von Leuten überzeugen. Und das erlebe ich aktuell leider gar nicht als einfach. Egal ob als Mann oder Frau.

Mit Ihrer Produktionsfirma Darling Point entwickeln Sie weitere Stoffe. Worauf dürfen wir uns nach «Seid Einfach wie ihr seid» freuen?
Das wüsste ich auch gern. 😀 Man weiß ja nie so recht, welches Projekt es dann am Ende "schaffen" wird. Ich habe einige spannende, sehr unterschiedliche Projekte mit anderen Autorinnen oder auch Firmen in Entwicklung, sowie Projekte, an denen ich alleine schreibe, darunter auch englischsprachige Serien für den internationalen Markt. Da arbeite ich mit einem amerikanischen Team dran, bestehend aus Manager und Producer:innen. Darüber hinaus freue ich mich, für externe Projekte zu schreiben, inszenieren oder zu spielen und werde dabei von der neuen Berliner Agentur Representing Artists unterstützt.

Vielen Dank für Ihre Zeit!

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