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‚Rätsel haben kurze Beine‘

von

Ein Dackel, ein Schatz und jede Menge Geheimnisse in der Bretagne. Ein neues Buch von Ena Fitzbel.

Manchmal braucht es nur ein Erbe, einen rostigen Autoschlüssel und einen Dackel, um ein ganzes Abenteuer ins Rollen zu bringen. Mit „Rätsel haben kurze Beine“, erschienen im März 2025 im Penguin Verlag, legt die französische Autorin Ena Fitzbel – hierzulande in der Übersetzung von Ingrid Ickler – einen Roman vor, der charmant, humorvoll und spannend zugleich ist. Ein Buch, das sich nicht recht zwischen Krimi, Familiengeheimnis und Wohlfühlroman einordnen lässt – und genau dadurch seinen Reiz entfaltet.

Im Mittelpunkt steht Jade, eine junge Frau, die mit ihrem kleinen orangefarbenen Twingo in einem Nest landet, das auf keiner Landkarte verzeichnet ist: Foisic in der Bretagne. Hier hat sie, völlig unerwartet, das Haus ihrer verstorbenen Großtante geerbt – eine Villa, die mehr nach Spukhaus als nach Familiendomizil aussieht: klapprige Fensterläden, rosa Farbe, die in Fetzen abblättert, und Efeu, der alles überwuchert. Jade möchte eigentlich nur eines: das Erbstück rasch herrichten, verkaufen und dann zurück in ihr gewohntes Leben.

Doch schnell wird klar: Dieses Haus ist anders. Türen sind verschlossen, Antiquitäten scheinen Geschichten zu erzählen, und ein geheimnisvolles Flair liegt über den Räumen. Der eigentliche Star der Handlung ist aber Jades Dackel Rimbaud – vorwitzig, neugierig und immer dort, wo er nicht sein soll. Schon am Strand schließt er Freundschaft mit dem achtjährigen Corentin, der von einem sagenhaften Schatz der Schmuggler erzählt, der in Foisic verborgen sein soll. Ob Jades Villa der Schlüssel dazu ist?

Fitzbel versteht es, eine dichte Atmosphäre zu schaffen, die Leser sofort nach Foisic versetzt. Die kleine, erfundene Gemeinde wirkt wie ein Ort, an dem die Zeit stehen geblieben ist: geheimnisvoll, ein wenig verschroben, voller verschlossener Bewohner, die mehr wissen, als sie preisgeben. Es sind genau diese dörflichen Eigenheiten, die die Geschichte tragen – die neugierigen Nachbarn, die halb gesprächsbereit, halb verschwiegen wirken; die Andeutungen über vergangene Generationen; die stille Drohung, dass Foisic Geheimnisse hütet, die vielleicht besser verborgen bleiben sollten.

Dabei bewegt sich die Handlung elegant zwischen Krimielementen und Wohlfühlmomenten. Es gibt verschlossene Räume, versteckte Hinweise und Spuren, die Jade und Corentin – unterstützt von Rimbaud – nach und nach zusammensetzen. Gleichzeitig gibt es heitere Episoden, die den Ton des Romans auflockern: kleine Alltagskatastrophen, liebenswürdige Missverständnisse und natürlich Rimbauds Eskapaden, der mal Antiquitäten umstößt, mal eine Spur erschnüffelt, die Jade selbst nie bemerkt hätte.

Besonders spannend ist die Figur der Jade selbst. Sie ist keine klassische Heldin, die aktiv nach Abenteuern sucht. Im Gegenteil: Eigentlich will sie weg, zurück in ihr geregeltes Leben. Doch je mehr sie mit den Geheimnissen ihrer Tante konfrontiert wird, desto mehr merkt sie, dass auch ihr eigenes Leben Fragen aufwirft. Die Suche nach dem Schmugglerschatz wird so auch zu einer Suche nach Identität, Familie und Zugehörigkeit.

Dass Fitzbel dies mit einem leichten, oft augenzwinkernden Stil erzählt, macht die Lektüre angenehm. Die Autorin spielt mit Genreelementen – ein bisschen Krimi, ein bisschen Familiengeschichte, dazu eine Prise Romantik – und schafft eine Mischung, die an klassische französische Dorfgeschichten erinnert, wie man sie aus dem Kino kennt: atmosphärisch, ein bisschen schrullig, aber immer voller Herz.

Ohne Rimbaud wäre der Roman nicht denkbar. Der Dackel ist nicht bloß ein Sidekick, sondern treibt die Handlung aktiv voran. Er ist es, der Jade und Corentin auf Ideen bringt, verborgene Orte erschnüffelt oder neue Begegnungen ermöglicht. Fitzbel gelingt es, dem Hund eine eigene Präsenz zu geben, ohne ins Kitschige zu verfallen. Rimbaud ist gewitzt, eigensinnig – und manchmal sogar klüger als die Menschen um ihn herum.

„Rätsel haben kurze Beine“ ist kein harter Thriller, sondern eine leichte, unterhaltsame und zugleich spannende Lektüre, die Leser in eine andere Welt entführt. Mit 272 Seiten ist das Buch kompakt, dabei aber reich an Details und Figuren, die in Erinnerung bleiben. Ena Fitzbel versteht es, eine gute Balance zwischen Spannung und Humor zu halten: Gerade wenn es zu düster zu werden droht, bricht eine komische Episode die Schwere auf. Die Übersetzung von Ingrid Ickler trägt ihren Teil dazu bei, dass der Roman auf Deutsch flüssig und lebendig klingt. Man spürt den französischen Charme in den Dialogen, die Atmosphäre der Bretagne in den Beschreibungen und den Humor in den Pointen.

Mit „Rätsel haben kurze Beine“ liefert Ena Fitzbel einen liebenswerten Roman über Geheimnisse, Familie und die Magie kleiner Orte. Es ist eine Geschichte für alle, die Krimis mögen, aber keine Lust auf Brutalität haben; für alle, die Frankreich lieben, aber nicht verreisen können; und für alle, die wissen, dass manchmal ein Hund die besten Detektivinstinkte hat. Ein Buch, das gleichermaßen unterhält, tröstet und fesselt – perfekt für den Sommerurlaub oder einen gemütlichen Leseabend. Wer sich auf Jade, Corentin und Rimbaud einlässt, wird merken: Manche Rätsel haben kurze Beine – und doch eine lange Wirkung.

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