Die Idee entstand vor fast neun Jahren. Ich habe mich gefragt, warum wir Menschen oft unsere Häuser mit Dingen vollstellen, die wir nicht brauchen. Ich habe viel über das psychologische Phänomen des Hortens recherchiert und gelernt, dass extreme Sammler meist tiefe Verluste erlebt haben – etwa den Tod eines Geschwisterkindes oder sogar eines Zwillings. Das hat mich sehr beschäftigt.
Ich wollte eine Figur, die etwas Ungewöhnliches sammelt – und da kam ich auf Schneckenhäuser. Sie sind eine wunderbare Metapher für Grace: wie Schnecken zieht sie sich in ihre Schale zurück, um sich vor weiterem Schmerz zu schützen. Die Spirale der Schneckenhäuser hat zudem etwas Zyklisches – wie das Leben.
Ihre Filme balancieren meisterhaft zwischen Melancholie, Wärme und Humor. Wie gelingt Ihnen diese fragile Mischung?
Das ist wirklich eine Herausforderung – und ich überarbeite meine Drehbücher oft dutzende Male, bis diese Balance stimmt. Vieles passiert aber auch intuitiv. Besonders bei Komik kann man nie sicher sein, ob das Publikum lacht. Das Gleiche gilt für emotionale Momente. Ich arbeite gerne mit Kontrasten: Auf eine traurige Szene folgt oft eine heitere. Und mir war diesmal wichtig, mit einem hoffnungsvollen Ende abzuschließen – mit Tränen in den Augen, aber auch einem Lächeln.
Grace und ihr Bruder erleben eine Kindheit voller Schmerz. Dennoch bleibt der Film hoffnungsvoll. Warum?
Ich war als Autor wirklich grausam zu Grace – sie erlebt so viel Verlust. Aber ich wusste von Anfang an: Am Ende wird sie gewinnen. Ohne zu viel zu verraten, wollte ich dem Publikum das Gefühl geben, dass sich all die Strapazen lohnen – dass es Hoffnung gibt, selbst in den dunkelsten Zeiten.
Ihr unverkennbarer Stil basiert auf klassischer Stop-Motion. Warum bleiben Sie dieser aufwendigen Technik treu, wo es doch längst schnellere Alternativen gibt?
Gerade weil es heute so viel CGI und KI gibt, sehnen sich die Menschen wieder nach Echtem, nach Handwerk. Das sieht man in vielen Bereichen – bei LPs, Kassetten, selbst DVDs. Stop-Motion erlebt eine Renaissance: Guillermo del Toro, Wes Anderson, Tim Burton – alle kehren zurück zu dieser Technik. Und die Zuschauer schätzen diese greifbare, „ehrliche“ Ästhetik. Auch bei den Oscars waren zuletzt wieder Stop-Motion-Filme nominiert.
Ihre Figuren tragen oft seelische wie körperliche Narben. Was zieht Sie zu diesen „unperfekten“ Charakteren hin?
Weil wir alle solche Seiten an uns haben – Verletzungen, Schwächen, Dinge, die wir gerne anders hätten. Aber genau das macht uns menschlich. Ich liebe die japanische Kunst des Kintsugi, bei der Brüche nicht versteckt, sondern vergoldet werden. Unsere Makel machen uns einzigartig. Meine Figuren sind Außenseiter – so wie wir alle uns manchmal fühlen.
Wie autobiografisch ist «Memoirs of a Snail»?
Alle meine Filme tragen ein Stück von mir in sich. Aber sie basieren auch stark auf Erfahrungen meiner Familie und Freunde – sind also keine Dokumentationen, sondern Fiktionen mit Wahrheitskern. Ich liebe es, Persönliches zu überhöhen, zu dramatisieren – aber immer mit Herz.
Die Freundschaft zwischen Grace und Pinky ist ein zentrales Element. Wie entstand diese Beziehung?
Pinky ist das Gegenteil von Grace – laut, frei, lebenslustig. In gewisser Weise ist sie das, was Grace (und auch das Publikum) gerne wäre. Sie ist aber nicht nur Comic Relief, sondern der Katalysator, der Grace hilft, aus ihrer selbstgewählten Isolation auszubrechen. Sie bringt Wärme und Veränderung in die Geschichte.
Was kann Stop-Motion, was Realfilm nicht kann – gerade bei emotionalen Geschichten?
Animation verlangt vom Zuschauer die „suspension of disbelief“ – er weiß, dass das keine echten Menschen sind. Gerade bei Stop-Motion sind es Tonfiguren – und doch müssen sie Seele und Herz besitzen. Wenn ich es schaffe, dass Zuschauer mit diesen Figuren lachen und weinen, dann ist das echte Magie. Wir Trickfilmer sind letztlich wie Zauberer – alles ist Illusion, alles ist Manipulation. Aber eine, die tief berühren kann.
Der Film wurde für einen Oscar nominiert. Was bedeutet internationale Anerkennung für Sie – gerade bei einem so persönlichen Film?
Solche Preise bringen mir persönlich wenig Freude – aber sie helfen enorm, den nächsten Film finanzieren zu können. Kino ist teuer, und ich kann nicht nur auf australisches Publikum bauen. Internationale Anerkennung öffnet Türen. Ich betrachte Auszeichnungen als Werkzeuge – sie fühlen sich kurz gut an, aber dann geht’s weiter.
Was ist die zentrale Botschaft Ihres Werks – von Max über Mary bis Grace?
All meine Figuren sind Außenseiter. Und letztlich geht es immer darum: Akzeptiere dich selbst und andere – mit all euren Fehlern. Wir alle wollen einfach verstanden und geliebt werden. Das sind universelle Gefühle, die jeder kennt. Ich hoffe, meine Filme bleiben im Herzen, spenden Trost, sind vielleicht sogar ein bisschen „medizinisch“. Ich will Geschichten erzählen, die man nicht nur einmal schaut, sondern immer wieder, wenn man sich nach Wärme, Trost oder einem Lächeln sehnt.
Danke für Ihre Zeit!
«Memoiren einer Schnecke» läuft ist ab 24. Juli 2025 in den deutschen Kinos zu sehen.
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