Stab
Darsteller: Andrea Sawatzki, Valery Tscheplanowa, Adriana Altaras, Sarah Bauerett, Thomas Limpinsel, Imanuel HummMusik: Richard Ruzicka
Kamera: Christoph Chassée
Drehbuch: Sönke Lars Neuwöhner und Martin Eigler (auch Regie)
Die Ausgangslage ist durchaus reizvoll: Eine Pflichtverteidigerin, die sich gegen den ausdrücklichen Willen ihrer Mandantin auf deren Fall einlässt – weil sie darin nicht nur eine berufliche Herausforderung, sondern auch eine moralische Verpflichtung sieht. Linda Belling (Valery Tscheplanowa) wird beschuldigt, ihren Mann vom Balkon gestoßen zu haben, und zeigt sich dabei bemerkenswert geständig. Dass die Geschichte dennoch eine andere Wendung nimmt, versteht sich in einem ARD-Krimi beinahe von selbst. Doch was zunächst als spannendes Spiel zwischen Schuld, Wahrheit und Manipulation beginnt, verkommt bald zu einem schwerfälligen Lehrstück über weibliche Selbstermächtigung – dem es allerdings an feinem Gespür, Tempo und dramaturgischem Mut fehlt.
Martin Eiglers Regie arbeitet in Bildern, die man zu oft gesehen hat und Christoph Chassées Kamera versucht, Spannung zu erzeugen, wo das Drehbuch längst ins Behäbige kippt. Die Musik von Richard Ruzicka legt sich dabei wie eine dicke, emotionsheischende Decke über Szenen, die gerade deshalb keine eigene Wirkung mehr entfalten können.
Das Drehbuch von Sönke Lars Neuwöhner und Martin Eigler will indes den Spagat zwischen klassischer Kriminalhandlung und Charakterdrama schaffen. Doch anstatt die psychologische Dynamik zwischen Caspari und Belling wirklich zu ergründen, begnügt es sich mit plakativem Dialogtheater. Wenn Lou Caspari ihre Mandantin „verstehen“ will, klingt das nicht nach Empathie, sondern nach Drehbuchabsicht. Dass die Figuren dabei permanent in bedeutungsschwangeren Halbsätzen sprechen, die in jedem zweiten «Tatort» als Abspannzitat durchgingen, macht die Sache nicht besser.
Andrea Sawatzki trägt den Film mit gewohnter Professionalität, aber ohne erkennbaren Enthusiasmus. Ihre Lou Caspari bleibt eine Figur, die sich mehr durch Haltung als durch Handlung definiert – eine Frau, die viel denkt, aber wenig fühlt. Sawatzki spielt sie solide, aber austauschbar, was umso bedauerlicher ist, weil Valery Tscheplanowa in der Rolle der Linda Belling ein faszinierendes Rätsel andeutet: verletzlich, manipulativ, unberechenbar. Doch statt diesen ambivalenten Kern weiter auszuloten, entschärft das Drehbuch die Figur am Ende zur bloßen Projektionsfläche für Casparis moralisches Dilemma.
Gerade im letzten Drittel offenbart «Die Verteidigerin» dann ihren größten Schwachpunkt: Sie traut ihrem Publikum nichts zu. Jeder Zweifel, jedes Rätsel wird erklärt, jeder Subtext ausformuliert. Wo man Ambiguität erwarten würde, liefert der Film Antworten – und zwar jene, die man schon aus dem Lehrbuch für Fernsehdramatik kennt. Der vermeintlich „bedrohliche Twist“ zum Schluss wirkt bemüht herbeigeschrieben, ohne dass er emotional nachhallt. Statt eines psychologisch dichten Finales gibt es moralische Gewissheiten im Abendprogrammformat.

Der Film «Die Verteidigerin – Der Fall Belling» wird am Mittwoch, den 22. Oktober um 20.15 Uhr im Ersten ausgestrahlt.
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