
Schon nach wenigen Sekunden wird klar: Das ist kein typischer «ESC»-Beitrag. Der Beat dröhnt, die Hookline geht direkt ins Ohr, und der Text? Eine Mischung aus selbstbewusster Kampfansage und rotzfrecher Straßenpoesie. Wer auf subtilen Indiepop gehofft hatte, sollte jetzt besser abschalten. Hier kommt ein Titel, der kompromisslos auf Wirkung zielt. Und damit liegt er – ob man das nun mag oder nicht – ganz im Trend.
Textlich bewegt sich „Baller“ zwischen Selbstbehauptung und Feiermentalität – Themen, die besonders beim jüngeren Publikum ankommen sollen. Allerdings bleibt die Tiefe auf der Strecke. Es geht um Statussymbole, Lifestyle und Coolness – vieles davon kennt man in ähnlicher Form von Acts wie Shirin David, Monet192 oder Lune.
Für einen Wettbewerb wie den «ESC» wirkt der Song allerdings thematisch sehr austauschbar und wenig europäisch anschlussfähig. „Baller“ ist stark auf den deutschen Markt zugeschnitten – sowohl in Sprache als auch Stil. Für ein internationales ESC-Publikum fehlt es am universellen Narrativ oder zumindest einem kulturell greifbaren Element. Die Erfahrung zeigt: Sprachbarrieren sind kein Ausschlusskriterium, aber dann muss musikalisch oder performativ etwas Herausragendes geboten werden (siehe Käärijä 2023 aus Finnland).

Spannend ist dabei nicht nur die stilistische Entscheidung, sondern auch die Label-Strategie im Hintergrund. Denn schaut man auf die letzten Jahrzehnte der «ESC»-Geschichte, zeigt sich ein klares Muster: Die großen Drei – Sony, Warner und Universal – stellen die Mehrheit der Sieger. Ob Loreen, Måneskin oder Duncan Laurence: Sie alle wurden von Major-Labels betreut, die wissen, wie man den internationalen Musikmarkt bespielt. Auch im Falle von Abor & Tynna sitzt also ein potenter Player im Hintergrund.
Deutschland und der ESC: Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
Dass Deutschland beim ESC zuletzt regelmäßig im unteren Drittel landete, ist kein Geheimnis. Die Gründe sind vielfältig: schlecht ausgewählte Beiträge, wenig internationale Anschlussfähigkeit, teils peinliche Inszenierungen. Mit „Baller“ geht Deutschland nun bewusst ein Risiko ein. Es ist ein Statement gegen die Beliebigkeit, das sich auch an Acts wie Noa Kirel (Israel) oder Käärijä (Finnland) orientiert, die mit starken visuellen Konzepten und klarer musikalischer Haltung punkteten.
Doch reicht das? Der «ESC» ist nicht nur ein Musikwettbewerb, sondern auch ein politisches und kulturelles Stimmungsbarometer. Während andere Nationen ihre besten Acts ins Rennen schicken, galt der deutsche Beitrag oft als Experimentierfeld. Das soll sich 2025 ändern – zumindest, wenn es nach den Verantwortlichen geht.
Kommen wir zur Gretchenfrage: Wird Stefan Raab mit „Baller“ «ESC»-Sieger? Die Antwort ist ein klares „Nein“. Aus musikalischer Sicht bietet der Song alles, was einen modernen Poptrack ausmacht: eingängiger Refrain, harte Drops, Wiedererkennungswert. Für die einen ist es ein Brett, für die anderen eine Reizüberflutung. Und genau darin liegt auch die Gefahr: Während Acts wie Loreen mit „Tattoo“ auf emotionale Wucht und Zeitlosigkeit setzten, ist „Baller“ eine Momentaufnahme – ein Song, der in seiner Gegenwärtigkeit fast schon aggressiv ist. Song-Experten sind sich einig, dass man damit die falsche Zielgruppe anspricht.
Sony auf der Siegerstraße?

Dabei ist klar: ESC ist längst auch ein Geschäft. Der Wettbewerb funktioniert wie ein Schaufenster für neue Talente, die sich mit einem starken Song ein internationales Publikum erschließen können. Wer gewinnt, hat gute Chancen auf globale Chartplatzierungen, Streaming-Erfolge und Tourneen. Für Sony ist der «ESC» daher nicht nur Kulturförderung, sondern ein strategisches Investment.
Laut aktuellen Prognosen und Datenanalysen hat Deutschland beim «Eurovision Song Contest 2025» nur geringe Siegchancen. Der Beitrag „Baller“ von Abor & Tynna belegt im ESCplus-KI-Ranking Platz 19 mit 75 Punkten. Die Analyse basiert auf Spotify-Streams, YouTube- und TikTok-Engagement, Social-Media-Reaktionen sowie Fan-Votings. In nahezu allen Bereichen – darunter Interaktion auf Instagram, virale TikTok-Trends und internationale Promo – schneidet Deutschland unterdurchschnittlich ab. Auch die Buchmacher sehen den deutschen Beitrag mit einer Quote von etwa 130 und einer Gewinnwahrscheinlichkeit von unter 1 Prozent klar im Hinterfeld. Während Länder wie Schweden (50 %), Österreich (22 %) und Frankreich (11 %) die Favoritenrollen einnehmen, zeigt Deutschland trotz leichter Verbesserung gegenüber den Vorjahren (z. B. Platz 12 im Jahr 2024) weiterhin eine schwache Performance. Insgesamt ergibt sich ein klares Bild: Ohne deutlich gesteigerte Sichtbarkeit und stärkere Online-Präsenz bleibt ein vorderer Platz für Deutschland unwahrscheinlich. Schlussendlich muss sich vor allem Stefan Raab mit Abor & Tynna messen lassen, weil der alte Hase unbedingt einen ersten Platz einfahren will. Bleibt die Hoffnung, dass Raabs «ESC»-Händchen nicht genauso aus der Mode gekommen ist wie seine eigenentwickelten Fernsehshows.
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