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Peter Hohl: Die Feedback-Ader von «XY»

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1967-1979 berichtete Peter Hohl als Assistent von Eduard Zimmermann über das Hinweis-Aufkommen in Aktenzeichen XY. Auch wenn sein Beitrag oftmals in den Hintergrund gerät, so trug der heute 82-Jährige doch maßgeblich zur dramaturgischen Struktur des Formats bei.

„Es gibt einen interessanten Hinweis auf die gesuchte Marlies, die eine Tante Fine hat. Das ist immerhin eine Hoffnung, ein Stück weiterzukommen. Des Weiteren gibt es einen Hinweis auf eine verschwundene Frau, die einmal im Raum Dillenburg gewohnt hat und die aus der Ostzone kommt. Auch das könnte möglicher Weise passen, aber auch da wollen wir momentan noch etwas zurückhaltend sein“. Berichtet Peter Hohl, als er in der 28. Minute der «XY»-Sendung vom 5. Juli 1968 zielstrebig auf Eduard Zimmermann zuschreitet.

Ein ungewöhnlich frühes Update, mit dem der Hinweiskoordinator die laufende Sendung aktualisiert – nicht zum letzten Mal an diesem Abend. Sein Einwurf bezieht sich auf den Fall einer unbekannten ermordeten Frau im grünen Minikleid, der in der ersten «XY»-Sendung neun Monate zuvor Thema war und ganz zu Beginn dieser Ausgabe erneut an die Zuschauer*innen herangetragen wurde. Sie sollen nun Hinweise zu einem Brief einer unbekannten Marlies geben, den diese an eine Tante Fine schrieb – ein Brief der zwischenzeitlich von der Polizei beim Mordverdächtigen gefunden wurde.

Peter Hohl stellt mit seinem Zwischenbericht also die Aussicht in den Raum, über die Identifizierung der im Brief genannten Personen der Klärung des Mordes näher zu kommen. Eine Aussicht, die sich noch live auf Sendung weiter zu bestätigen scheint: Denn Bereits 15 Minuten später kommt Hohl zur 2. Wasserstandsmeldung aus der Nachrichtenkabine. In dieser spricht er von kürzlich eingegangenen Zuschauer-Hinweisen, „die es möglich erscheinen lassen, dass das Opfer Marlies hieß“. Er fährt fort: „Alle älteren Damen, die 'Tante Fine' genannt wurden von einer Nichte Marlies - die es jetzt nicht mehr gibt - sind aufgerufen, sich zu melden“. Auch wenn es in der Schlussabfrage keine neuen Verkündungen zum Fall gibt und die 'Tante Fine'-Spur anschließend im Sande verläuft, kann die geschilderte «XY»-Ausgabe mit gleich drei Zwischen-Updates als Musterbeispiel für den dramaturgischen Bogen gelten, den Aktenzeichen in der Lage war, zu spannen.

Was den Fahndungsklassiker in diesen Anfangsjahren folglich auszeichnete, war ein Dynamik-Potenzial, welches durch laufende Erneuerungen von Ermittlungsständen live auf Sendung eingelöst wurde. Diese Dynamik kam zum einen durch die unberechenbare Entwicklung der Hinweise, aber auch durch die spezielle Art und Weise zum Tragen, mit der Peter Hohl diese vortrug. Kamerawirksam verstand es der diplomierte Schauspieler, raumgreifend auf Hauptmoderator Eduard Zimmermann zuzuschreiten. Energisch, aber nicht aufdringlich, erwirkte er sich seine eigene Präsenz, mit der er den Fluss der Sendung für kurze Zeit unterbrach. Es waren effektive Unterbrechungen von jemandem, der sich ihrer Wirkung bewusst war.

Aus diesem Bewusstsein resultierte eine bestimmte sprachliche Gestaltung und Artikulation, bei der Hohl seine rhetorische Ausbildung zugutekam. Folglich gelang es ihm, seine Redebeiträge in einen Duktus zu setzen, der die Live-Spannung unterschwellig aufgriff, aber dabei klare Informationsübermittlung betrieb. Seine sanfte Radiostimme stand dringlich im Raum, ohne künstlich zu dramatisieren. Durch gekonntes Timing erzeugte er eine Konzentration des kurzen Momentums, in dem er Aufmerksamkeit binden und durch freien Redefluss auch halten konnte. Der Hinweis-Koordinator wusste seinen Beiträgen durch Betonungen, Taktungen und Sprechpausen an den richtigen Stellen Gewicht zu verleihen – ein Gewicht, das die Resonanz der Zuschauer*innen auf die Sendung sowie die Resonanz der Sendung auf die Zuschauer*innen fühlbar machte.

«Aktenzeichen XY» war ja gerade deshalb innovativ, weil es eine neuartige Rückkopplungs-Schleife schuf, durch die sich das TV-Publikum direkt an der Fahndungssendung beteiligte und Einfluss auf ihren Verlauf nahm. Genau dieser transformative Wechselbezug machte eine jede «XY»-Sendung zu einem potenziell offenen Geschehen mit live-Konzentrationswirkung. Da Konzentration auch durch Unterbrechungen immer wieder neu aufgebaut wird, setzte Peter Hohl durch seine Auftritte aus der Glaskabine wichtige Nadelstiche von außen ins Hauptstudio. In seiner Anfangszeit hatte Eduard Zimmermann in diesem Sinne eine offene Ader nach links, die Aktenzeichen durchlässig machte.

Dieser extrem transformative Charakter der frühen Ausgaben, in denen Hohl immer wieder Zuschauer-Aktualisierungen durchgab, wurde nach 15 Ausgaben etwas abgemildert. Seine Halbzeit-Statements zur Mitte einer jeden Sendung fielen weg und wichen einem stärkeren Fokus auf seine Schlussbilanz. Aber auch diese blieb ein starker Motor im Feedback-System von Aktenzeichen. Die Aufklärung markanter «XY»-Fälle wie der Tötung des Frankreich-Urlaubers Christoph Ketterer nahm von hier ihren Lauf: Hohls eindringliche Aussage „Dass wir einen ganz konkreten Hinweis haben, wer möglicher Weise der Bieler Anhalter sein könnte“ [Anm. den das Opfer mitnahm] sollte sich bewahrheiten. Mehrere Zuseher*innen, die zur gleichen Zeit im Südfrankreich-Urlaub waren, lieferten Zeugenberichte und gar das Foto des Täters. Es waren Beiträge, die den Enträtselungs-Charakter des Formats unterstrichen.

Peter Hohl als ausgebildeter Medienprofi, Dramaturg und Schauspieler wusste, dass für seine Einwürfe eine gewisse 'Performance' förderlich war, die sich nicht als solche preisgibt. So konnte sie latent auf das Spannungsgefüge der Sendung einzahlen. Seine außerordentliche Eloquenz sowie moderative Fähigkeit machten ihn zu einer wichtigen Resonanz-Ader von «XY». Diese Leistung ist auch deshalb bemerkenswert, weil Hohl die Hinweise erst während den Sendungen koordinieren konnte und kurzfristig verarbeiten musste.

Auch wenn man die damalige «XY»-Phase für zu einseitigen Konservatismus und patriarchale Anmaßungen in puncto Frauenbild kritisieren kann, so war sie doch auch ein Kind ihrer Zeit. Das Format und seine damaligen Präsentatoren darauf zu reduzieren, würde ihnen nicht gerecht. Und so sollte es daneben möglich sein, die Verdienste dieser Zeit zu würdigen. Peter Hohl hat als ehemaliger Präsentator/Koordinator der Zuschauer-Hinweise, aber auch als Redakteur und Drehbuchschreiber, gewichtigen Anteil daran, dass sich Aktenzeichen XY im deutschen Fernsehen etablieren konnte. Mit ihren inzwischen 600 Ausgaben trug die Sendung dazu bei, über 1960 Verbrechen aufzuklären.

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