Hingeschaut

«akte.» – wie ein ausrangiertes Flugzeug

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Der Fernsehsender Sat.1 startete seine neuen Ausgaben live vom Leipziger Flughafen. Die Themen waren weder abwechslungsreich noch lehrreich.

Rund sieben Monate ließ Sat.1 sein Wochenmagazin «akte.» im Hangar. Zur Fußball-WM in Katar und dem gleichzeitigen Start von «Promi Big Brother» musste die Marke weichen, um Platz für die Reality-Show zu schaffen. Dann präsentierte Sat.1 sein Team für die neuen Nachrichten aus Unterföhring, bestehend aus Claudia von Brauchitsch und Marc Bator. Matthias Killing soll das Magazin moderieren, das sich als investigativ-journalistisches Magazin versteht.

Pünktlich zum Beginn der Sommerferien in Nordrhein-Westfalen am 22. Juni 2023 beendete «akte.» die Winterpause, weshalb sich das Team aus Unterföhring auch mit dem Thema Reisen auseinander setzte. Nun könnte man meinen, dass man sich mit dem neu eingeführten Lieferkettengesetz beschäftigt, das auch die Bezahlung von Hotelangestellten in Urlaubsregionen vor Ausbeutung schützt. Aber das hat man «Report Mainz» überlassen. Interessant sind auch die CO2-Kompensationspakete, die man als Kunde bei Fluggesellschaften hinzubuchen kann und für die gemeinnützige Organisationen wie Verra Regenwald Klimaschutzzertifikate ausstellen. Aber auch das ist kein Thema für das Magazin, solche Informationen findet man in der ORF-Satire «Gute Nacht Österreich».

Stattdessen startete die neue «akte.» mit einem Einspielfilm vom Leipziger Flughafen, in dem 70 Passagiere zu einem Test gebeten wurden. Die Flugbegleiterinnen gaben die üblichen Anweisungen, was im Gefahrenfall zu tun sei. Natürlich hörte in einem Land der Vielflieger kaum jemand zu, die Leute lauschten lieber Podcasts, schauten Filme oder schliefen. Dann kam die Ausnahmesituation, die Sauerstoffmasken kamen aus den Decken, ein Bild der Panik sollte vermittelt werden, doch einige Menschen lachten nur. Das Flugzeug stand schließlich sicher auf dem Boden, das Experiment war eigentlich schon hier gescheitert. Nachdem diese Situation gemeistert war, wurde eine Wasserlandung simuliert. Das Ergebnis für Sat.1: Die Hälfte der Passagiere wäre scheinbar tot. Bei solchen Beiträgen kommt Urlaubsstimmung auf!

Matthias Killing diskutierte in einem ausrangierten Flugzeug alte Binsenweisheiten. Wann man buchen soll, wo es leiser ist und wo man mehr Beinfreiheit hat. Ein kleiner Einspielfilm machte das Gesagte noch einmal deutlich, bevor man sich dem Thema Duty-Free-Shops zuwendet. Die Erkenntnis der Redaktion: Prestigegüter wie Lippenstift und Parfüm sind am Flughafen günstiger als im Internet und im Einzelhandel, Süßigkeiten und Alkohol dagegen teurer. Eine Sonnencreme, die im Handel rund 40 Euro kostet, schlägt hier mit rund 60 Euro zu Buche. Für die Redaktion unverschämt, für andere Realität: Wer sich eine solche Luxusmarke gönnt und nicht für ein paar Euro in der Drogerie zuschlägt, der achtet ohnehin nicht aufs Geld. Um die längst erzählten Themen abzurunden, zeigte die Redaktion noch einen Film, wie Billigfluggesellschaften, hier Ryanair, an den Kosten sparen, um billige Tickets anbieten zu können. Da hat die Redaktion ein heißes Fass aufgemacht: Bei dieser Fluggesellschaft tankt man nur etwas mehr als das gesetzlich vorgeschriebene Minimum! Es wird suggeriert, als würde die Airline fahrlässig handeln.

Ein bisschen wandelt man auch auf den Spuren von «Stern TV am Sonntag». Matthias Killing begrüßt im Hangar unter anderem einen Vertreter der TUI und Matthias Mangiapane, der in Hammelburg noch sein Reisebüro hat. Der Talk zwischen den Beiträgen bringt wenig Neues, stattdessen wird den Zuschauern empfohlen, ihre schulpflichtigen Kinder ein oder zwei Tage früher aus der Schule zu nehmen, um günstiger reisen zu können. Widerspruch des Moderators kommt zunächst nur zaghaft, dann schlägt Killing vor, man könne doch auf jeden Fall mal mit der Lehrkraft sprechen. Schade, dass «akte.» nur etwas mehr als eine halbe Million Deutsche gesehen haben, sonst würden sich die Schulferien für die Lehrer des Landes um ein paar Tage verlängern. Solche unseriösen Methoden sind bekannt: Schon im letzten Sommer testete «akte.» auf Mallorca, wie man sich Leistungen erschleichen kann, wenn man sich nur an der Rezeption über Kleinigkeiten beschwert.

«akte.» sollte natürlich ähnliche Themen bieten wie das Urlaubs-Special von «Sat.1 Spezial», das im Vorfeld ausgestrahlt wurde. Doch die inhaltliche Aufbereitung war mangelhaft, denn die Beiträge sind platt und mit Hilfe von Suchmaschinen schnell zu finden – dafür braucht der Reisende kein einstündiges Magazin am Donnerstagabend. Tiefergehende Informationen traut die Redaktion ihren Zuschauern ohnehin nicht zu, sonst würde man sich anderen Urlaubsthemen widmen. In Unterföhring müsste man tiefer gehen. Denn die Beiträge der ersten «akte.»-Sendung nach der Winterpause haben keinen aktuellen Bezug. Sie könnte vor vier Wochen gesendet worden sein oder erst in ein paar Wochen kommen.

Auch technisch war «akte.» alles andere als gut. Die Begrüßung von Matthias Killing vor dem Flugzeug wurde vor dem letzten Wort mit der Werbung abgeschnitten, im alten Flugzeug wurde ohne Steadycam gedreht, so dass das Bild ständig wackelte. Das Set im Hangar mit seinen vier Stehtischen sah furchtbar aus, nur das Gewitter im Hintergrund lieferte eine beeindruckende Kulisse. «akte.» kann man zu den Akten legen, die Sendung ist wie der Drehort selbst: Ein ausrangiertes Flugzeug.

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