Interview

Til Schweiger: ‚Die Kinder sind sehr angstfrei aufgewachsen‘

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Zuletzt blieben die Regiearbeiten von Schweiger wie «Die Rettungs der uns bekannten Welt» hinter den Erwartungen zurück. Mit dem Sarah-Kuttner-Roman «Lieber Kurt» will er aber wieder durchstarten.

Mit «Keinohrhasen» (2007) und «Honig im Kopf» (2014) ließ Til Schweiger die Kinokassen klingeln. Seine letzten Regiearbeiten wie das US-Remake «Head Full of Honey» (2018) oder «Die Rettung der uns bekannten Welt» (2021) blieben jedoch hinter den Erwartungen zurück. Doch der gebürtige Freiburger, der in den Neunzigerjahren mit «Der bewegte Mann» (1994) und «Knockin’ On Heaven’s Door» zum Star wurde und sich für «Der Eisbär» (1998) erstmals in den Regiestuhl setzte
lässt sich davon nicht beirren. Nun hat er mit «Lieber Kurt» nach dem Roman von Sarah Kuttner als Regisseur und Hauptdarsteller seinen wohl schmerzlichsten Film realisiert.

Herr Schweiger, wie sind Sie zu diesem Stoff beziehungsweise Roman gekommen?
Das Buch hat mir eine Freundin auf dem Weg zum Airport in die Hand gedrückt. Abends war ich in Mallorca verabredet, und als der Termin abgesagt wurde, fiel mir wieder dieses Buch ein. Das hat mich so fesselt, dass ich es in einem Rutsch gelesen habe und gleich darauf mein Büro anrief, um zu checken, ob die Filmrechte noch frei sind.

Da war «Lieber Kurt» aber schon ein Bestseller…
Genau, ich bin gar nicht davon ausgegangen und tatsächlich waren schon einige Produzenten am Verhandeln. Die Autorin Sarah Kuttner sagte schließlich, dass ich den Film machen soll, wenn ich das wirklich will.

Und Sie wollten, weil Sie was angesprochen hat?
Das Thema, weil es mich als vierfacher Vater mit meiner Urangst konfrontierte. Mit jedem Kind kam eine riesige Liebe und gleichzeitig eine unglaubliche Angst. Die Angst, ein Kind zu verlieren, wird bleiben, bis ich selber nicht mehr bin. Es gibt nichts Schlimmeres in meiner Vorstellung.

Obwohl Ihre Kinder inzwischen erwachsen sind?
Sie sind natürlich flügge und machen ihr eigenen Ding. Wir sehen uns aber noch so oft es geht. Aber man kann nicht sagen: ‚Meine Kinder sind jetzt erwachsen, deshalb habe ich keine Angst mehr.‘ Die Angst wird ja eher größer. Wenn sie noch klein sind, hast du sie zu Hause und kannst sie optimal beschützen.

Besteht dadurch nicht die Gefahr, bezüglich seiner Kinder zum Kontrollfreak zu werden?
Nein, und das waren wir auch nie. Die Kinder sind sehr angstfrei aufgewachsen. Aber gerade mit 20 denkst du noch, unsterblich zu sein. Du machst Dinge, die du mit 30 nicht mehr tun würdest, weil du vernünftiger geworden bist.

Familie ist in den meisten Ihrer Filme ein zentrales Thema…
...in allen! Familie und Liebe sind die zentralen Til-Schweiger-Themen. Ich bin nun mal ein Familienmensch und habe mir immer eine große Familie gewünscht. Schon als Jugendlicher habe ich mir Gedanken um das Leben gemacht. Wozu ist man auf der Welt? Was ist der Sinn des Lebens? Ich kam auf zwei Sachen, die das Leben lebenswert machen, und das ist Liebe und Familie. Freundschaften sind ebenfalls wichtig, also drei Sachen.

Das eigentliche Thema des Films ist aber Trauer. Ist das nicht eher ein Thema, dem sich die meisten lieber entziehen?
Ich als Privatmensch auf jeden Fall. Ich bin ein großer Verdränger, beschäftige mich auch nicht mit dem Tod und habe mich vor jeder Beerdigung gedrückt. Aber es gibt Momente, da ereilt dich das Schicksal und du kannst dich der Trauer nicht mehr entziehen.

Dass Sie ein Verdränger sind, hätte man nicht vermutet bei Filmen wie «Honig im Kopf» und «Die Rettung der uns bekannten Welt», in denen Sie auch schon schmerzliche Themen verarbeiteten…
Da bin ich ja Til Schweiger, der Filmemacher. Bei «Honig im Kopf» war es aber schon so, dass ich von der Demenz meiner Mutter wusste und damit betroffen war. Das Thema war tabuisiert und ich wollte mit dem Film andere Menschen erreichen. Das habe ich auch, denn ich bekam danach Tausende von Zuschriften, in denen mir erzählt wurde, was der Film bei vielen bewirkt hat. Einer schrieb, er wäre mit seinen Eltern anders umgegangen, hätte er den Film schon früher gesehen.

Was wollen Sie mit «Lieber Kurt» erreichen?
Der Tod eines Kindes in eine noch größeres Tabuthema, und da muss man erst mal den Mut haben, so einen Stoff zu realisieren. Klar gehört die Trauer zum Leben und du kannst sie solange wegdrücken, bis es dich selbst trifft. Viele denken ja, das Schlimme passiert nur den anderen. Auch ich in meiner Rolle als großer Kurt ignoriere die Trauer meines von Heiner Lauterbach großartig gespielten Nachbarn, der vor kurzem seine Frau verloren hat. Kurze Zeit später trifft es Kurt selbst.

Wie traurig waren Sie, dass «Lieber Kurt» Deutschland nicht beim Oscar für den ‚Besten fremdsprachigen Film‘ vertritt?
Ich habe den Film gar nicht eingereicht und kann es auch nicht. Das passiert durch eine Kommission der Organisation ‚German Films‘. Die entscheiden dann, welcher Film für Deutschland ins Rennen geht. Letztlich ist es dann aber die ‚Academy of Motion Picture Arts und Sciences‘, die aus Filmen aus der ganzen Welt die fünf wählen, die wirklich nominiert werden.

Sie haben also gar keinen Einfluss darauf…
Die Medien wissen ganz genau, dass ich gar nichts bewirken kann, sagen dann aber ‚Til Schweiger träumt vom Oscar‘, um anschließend zu vermelden ‚Es hat schon wieder nicht geklappt‘. Das gleiche Spiel lief bereits mit «Die Rettung der uns bekannten Welt».

Dem Kino geht es gerade ziemlich schlecht. Die Zuschauerzahlen sinken und es laufen auch nur noch wenige attraktive Filme an…
Das liegt natürlich auch daran, dass in den USA auch weniger Kinofilme hergestellt werden. Die Vielfalt ist abhandengekommen und es wird vermehrt auf Streamingdienste wie Netflix gesetzt. Die Studios produzieren lieber einen neuen Marvel-Film für 200 Mio. Dollar, wofür vor 20 Jahren noch 30 Filme entstanden sind. Die denken profitorientiert, die Zukunft des Kinos ist ihnen dabei egal.

Wie wichtig ist Ihnen das Kino?
Kino wird es immer geben, davon bin ich überzeugt. Ich bereite bereits zwei neue Filme vor: «Der Anfang vom Ende», der erst Ende nächsten Jahres kommen soll. Zuvor kommt «Manta, Manta 2» ins Kino. 30 Jahre später in diesen Charakter zurückzugehen, was super. Allein die Dreharbeiten haben Spaß gemacht. Aber jetzt läuft erst mal «Lieber Kurt» an. Ich weiß von vielen Screenings wie tief beeindruckt die Leute von dem Film sind. Der lässt einen nicht mehr so schnell los, und dafür ist Kino da.

Herr Schweiger, vielen Dank für das Gespräch.

«Lieber Kurt» ist seit 15. September 2022 in den Kinos zu sehen.

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