Die Kritiker

«Helen Dorn: Das rote Tuch»

von

Ein höchst erfolgreicher Immobilienmakler kommt bei einem Feuer auf seinem Boot ums Leben. Offenbar war er im Moment seines Todes nicht allein. Eine Spur für Helen Dorn in ein alternatives Kulturzentrum, auf das der Tote ein Auge geworfen hatte.

Stab

DARSTELLER: Anna Loos, Ernst Stötzner, Tristan Seith, Nagmeh Alaei, Florian Lukas, Barbara Prakopenka, Jan Messutat, Annett Renneberg, Leonie Wesselow, Lilly Charlotte Dreesen
REGIE: Friedemann Fromm
DREHBUCH: Andreas Karlström
KAMERA: Ralf Noack
SCHNITT: Janina Gerkens
MUSIK: Edward Harris
Der Immobilienhai ist ein gerne bemühter Finsterling, wenn es darum geht, klare Fronten zu erschaffen. Mieten explodieren, Wohnen wird in Großstädten fast schon zu einem Luxusgut, da sind die Schuldigen für dieses Dilemma schnell gefunden. Niemand mag sie. Sie sind die perfekten Bösewichter. Auch die Geschichte von «Helen Dorn: Das rote Tuch» macht sich diesbezüglich einen schlanken Fuß. Der Immobilienhai und sein Kompagnon haben so einige Leichen im Keller liegen, man mag um sie keine Tränen verdrücken. Doch schlanker Fuß hin, Klischees her, schlecht ist der sechzehnte Spielfilm der Reihe nicht. «Helen Dorn: Das rote Tuch» ist zügig inszeniert, die Bildgestaltung liegt über Durchschnitt, die Geschichte wirft einige Haken und vor allem die Figur des Mordopfers entwickelt nach und nach eine durchaus überraschende Komplexität, die das Klischee dann doch ein Stück weit bricht.

Der Tote hatte auf jeden Fall seine Chance. Er ist vor seinem Tod mit dem Kopf gegen eine Tischkante gestürzt. Er hat seinen Tod nicht mehr bei vollem Bewusstsein erlebt. Das Feuer selbst ist gelegt worden. Die Beweise sind eindeutig. Es war Mord. Jedoch war der Tote offenbar nicht allein auf seiner kleinen Yacht. Sehr zur Überraschung seiner Ehefrau, die definitiv diesen schicksalhaften Abend an seiner Seite verbracht hat. Der Tote, Ralph Wagner, war ein höchst erfolgreicher Immobilien-Projektentwickler. Mit seinem Partner Thomas Lehmann hat er vor allem dort, wo es in und um Hamburg viel zu verdienen gibt, so manch ein Immobilienprojekt verwirklicht. Zuletzt aber haben sich die beiden an einem Projekt die Zähne ausgebissen: dem Roten Tuch. Das Rote Tuch ist ein alter Backstein-Gebäudekomplex am Binnenhafen. Eine ehemaliges Büro- und Lagerhaus, das förmlich nach Gentrifizierung schreit. Architektonisch ist es ein Traum aus Zeiten, als das Hanse in Hansestadt noch großgeschrieben wurde. Und es ist so heruntergekommen, dass man es eigentlich für einen kleinen Geldbetrag erstehen könnte. Aber eben nur eigentlich, denn das Rote Tuch ist seit Jahren ein besetztes Gebäude und ein Kulturzentrum, in dem viele Jugendliche und junge Erwachsene irgendwie ein Zuhause gefunden haben. Junge Menschen, die sonst auf der Straße wären.

Der Leiter der Einrichtung ist Dirk Müller, ein Sozialarbeiter und strammer Antikapitalist, der keine Angst hat, sich mit durchaus einflussreichen und gut vernetzten Immobiliengrößen wie dem Ermordeten und seinem Partner anzulegen.

Helen Dorns erste Spur führt denn auch direkt ins Rote Tuch und Dirk Müller ist nicht gerade vom Auftauchen der Polizei angetan – doch Helen Dorn kann nicht umhin zuzugeben, dass sie für den kauzigen Sozialarbeiter (als Privatperson) Sympathie empfindet. So wie auch Müller nicht entgeht, dass Helen Dorn meint, was sie sagt, wenn sie ihm erklärt, dass es ihr als LKA-Beamtin nur um den Fall geht und eben nicht um das Haus. Sie hat einen Mord aufzuklären. Und mag Dirk Müller ein Kauz sein, eines ist er nicht: ein Befürworter von Gewalt.

Florian Lukas spielt diesen Sozialarbeiter und die Sympathien sind schnell auf seiner Seite. Dieser Dirk Müller ist ein kauziger Kerl. Er sagt, was er meint und meint, was er sagt. Aber er ist eben auch eine ehrliche Haut, dessen Einrichtung nun in den Fokus der Ermittlungen gerät, weshalb er gezwungen ist, seine eigenen Schützlinge ins Visier zu nehmen, da er nicht vollständig ausschließen kann, dass nicht einer von ihnen möglicherweise in den Mord verstrickt ist.

Auf der anderen Seite werden aber weitere Spuren gelegt. So haben Wagner und Lehmann sich auf einer feinen, privaten Londoner Businessschool kennengelernt. Thomas Lehmann hatte das Geld, Ralph Wagner, der Stipendiat, die Ideen. Wie sich herausstellt, haben beide jedoch keinen Abschluss. Etwas ist in London vorgefallen, was ihren Karrieren nicht geschadet haben mag, was aber dennoch einen dunklen Fleck in ihrer Vita darstellt. Außerdem ist da Jasmin Friedrichs, eine junge Frau, die den Zuschauerinnen und Zuschauern von der ersten Szene an bekannt ist – ganz im Gegenstz zu Helen Dorn (womit die Zuschauerschaft einen Wissensvorsprung besitzt): Während Helen Dorn nur vermuten kann, dass Wagner im Moment seines Todes nicht allein gewesen ist, wissen die Zuschauerinnen und Zuschauer dies von der ersten Einstellung an. Diese Jasmin Friedrichs war bei Ralph Wagner, als das Boot in Flammen aufgegangen ist. Und sie ist nicht seine Mörderin (was keinen Spoiler darstellt, denn dies ist im Prolog des Filmes so zu sehen). Gut, vielleicht mag sie als seine Geliebte nicht zwingend in den Mittelpunkt des Geschehens treten wollen und gibt sich daher gegenüber Helen Dorn ahnungslos. Vielleicht aber gibt es ja einen anderen Grund für ihre Geheimniskrämerei!

Geschickt gelingt es Regisseur Friedemann Fromm in die Geschichte immer wieder Action und Spannung einfließen zu lassen, obschon die reine Inhaltsangabe solche Ingredienzien gar nicht vermuten lässt. Man stelle sich die Geschichte des toten Immobilienhais im Rahmen eines «Tatort»s vor – mit all ihren moralinsauren Momenten, in denen die selbstverständlich auf der Seite des Proletariats agierenden Politkommissare, Entschuldigung, Mordermittler keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass der Tote im Grunde sein Schicksal ja selbst verdient hat. Wer meint, dass diese Kritik selbst ein arges Klischee darstelle, schaue sich den «Tatort: Die dritte Haut» an, der die ganz große Moralkeule schwingt.

«Helen Dorn: Das rote Tuch» nimmt sich da zurück, gerade, da die Figur des Ermordeten nach und nach eine Komplexität erreicht, die ihn aus klaren schwarzweißen Mustern befreit. Zwar ist der Film nicht frei von Klischees und eine Sympathie mit dem Geschäftsmodell der Immobilien-Entwickler kann man den Machern auch nicht vorwerfen. Aber die Moralkeule, die bleibt in der Schreibtischschublade liegen, da Helen Dorn eben als Ermittlerin nur ihren Job macht. Bei aller Sympathie, die sie persönlich etwa für Müller empfinden mag, bleibt sie stets auf ihren Fall fokussiert und daher bietet die Story eben auch Platz für aktionsorientieres Tempo!

«Helen Dorn: Das rote Tuch» ist zügig inszeniert, die Figuren überzeugen, der Fall entwickelt einige überraschende Wendungen. Fall 17 darf gerne kommen.

PS: Obwohl der Eigenname des Kulturzentrums das „Rote Tuch“ lautet, also einen Eigennamen darstellt, weshalb „rot“ großgeschrieben wird, haben sich die Macher für den Titel «Das rote Tuch» entschieden. Nur für den Fall, dass jemanden in diesem Text die unterschiedlichen Schreibweisen auffallen sollten...

Samstag, 12. März, 20.15 Uhr, ZDF

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