Die Kritiker

«Der Masuren-Krimi – Fryderyks Erbe»

von   |  1 Kommentar

Eine Leiche im Keller - wörtlich genommen. Da liegt der Baulöwe unterhalb der Treppe und ist tot. So wirklich weint ihm niemand eine Träne nach. Die Kriminaltechnikerin Viktoria Wex will dennoch wissen, was geschehen ist, liegt der Tote doch im Haus ihres Onkels.

Stab

DARSTELLER: Claudia Eisinger, Sebastian Hülk, Karolina Lodyga, Wieslaw Zanowicz, Natalia Bobyleva, Krysztof Franieczek, Cornelia Heyse, Krysztof Leszczynski, Matilda Jork, Jakub Sierenberg, Úna Lir
DREHBUCH: Ulli Stephan nach einer Drehbuchvorlage von Markus B. Altmeyer
REGIE: Anno Saul
MUSIK: Philipp Schaeper, Christoph Colaco, Mark Pinhasov
KAMERA: Martin L. Ludwig
SCHNITT: Dirk Grau
SZENENBILD: Fryderyk Swierczynski
PRODUZENTEN: Philip Voges, Alban Rehnitz
REDAKTION: Barbara Süssmann, Katja Kirchen (ARD Degeto)
Donnerstags entführt das Erste die deutschen Krimifreunde gerne in die Ferne, um vor hübscher Ferienkulisse Mord und Totschlag televisionär zu zelebrieren. Neu im Reigen ist «Der Masuren-Krimi». Also ermittelt die Kriminaltechnikerin Viktoria Wex in polnischen Gefilden, und keine Frage: die Landschaft ist hübsch. Wie Polen als Urlaubsland überhaupt gnadenlos unterbewertet wird. Ob die Tourismusbehörden vor Ort dem Ersten wohl Hilfestellung bei der Suche nach hübschen Drehorten leistet? Dann sollte die Behörde die schönsten Orte auf der Prioritätenliste ganz nach oben setzen, denn ob dieser Reihe ein langes Leben beschieden sein wird, ist fraglich. Der erste Spielfilm bietet nämlich kaum mehr als Dienst nach Krimi-Vorschrift.

Kriminaltechnikerin Dr. Viktoria Wex (Claudia Eisinger) reist von Berlin nach Pasym, einer verschlafenen Kleinstadt inmitten der Masurischen Seenplatte. Dort muss sie sich auf einen schmerzlichen Abschied einstellen: Seit Tagen wird ihr Onkel Fryderyk (Wieslaw Zanowicz), den Viktoria als Ersatzvater und Mentor seit ihrer Kindheit liebt, vermisst. Ein Abschiedsbrief an Viktoria legt seinen Freitod nahe. Als sie im Keller von Fryderyks Haus einen unbekannten Toten findet, entwickelt sich die Familienangelegenheit zu einem Kriminalfall. Das Problem ist, dass der Dorfarzt Dr. Baranowski (Krzysztof Leszczynski), mit dem Viktorias Familie freundschaftlich verbunden ist, einen Unfall feststellt. Der Tote war Diabetiker, allerdings hat er sein Insulin wie eine Droge eingesetzt. Er war – auf seine Art und Weise – ein Junkie. Viktoria aber findet Hinweise, die definitiv auf ein Verbrechen schließen lassen. Der Tote ist nicht im Rausch die Treppe hinuntergestürzt. Zwar ist Viktoria als deutsche Beamtin (sie ist als junge Frau nach Deutschlad gezogen) weder zuständig noch dazu befugt zu ermittelt, der Dorfpolizist Leon Pawlak (Sebastian Hülk) bezieht Viktoria jedoch wie selbstverständlich in seine Ermittlungen ein. Es ist offensichtlich, dass er Viktorias Intellekt schätzt. Leons Ex-Frau ist allerdings die in dem Fall verantwortliche Kommissarin – so lange der Fall noch nicht zu den Akten gelegt worden ist. Und diese Ex-Frau (Karolina Lodyga) zeigt sich wenig begeistert von der Hilfe aus Deutschland. Wie überhaupt niemand Interesse hat, der Rückkehrerin zu helfen, denn diese Trudzinski war ein Betrüger, der anständige Menschen für seine Bauvorhaben abgezockt hat. Selbst wenn jemand nachgeholfen haben sollte – und? Stört das irgend jemanden?

Funken fliegen in diesem ersten Fall der Dr. Wex leider keine. Das Dilemma fängt mit der Hauptfigur an. Schon ihre Einführung macht sie – unsympathisch. Da sitzt sie nämlich in einem Sechs-Personen-Abteil in einem Zug. Ein Reisender fragt, ob er sich zu ihr setzen dürfe, so lange die Personen, die die Plätze gebucht haben, noch nicht anwesend sind. Nein, sagt sie. Sie habe die Plätze alle für sich gebucht und wolle ihre Ruhe haben. Na so was? Eine Kriminalistin mit Sozialphobie? Das ist ja mal eine ganz neue Idee.
Oder vielleicht auch nicht.
Wobei: Könnte es sein, dass diese Sozialphobie von einem Trauma herrührt?

Nein?
Doch!
Oh!

Was genau in Berlin passiert ist, das wird in diesem Film noch nicht wirklich offenbart, allerdings wird der sozial nicht wirklich verträglichen Eigenbrötlerin in einer späten Szene vorgehalten, nur in ihre Heimat zurückgekehrt zu sein, weil da jemand an ihrer Seite „weggeballert“ worden ist. Die Wortwahl, die sie trifft, ist nicht nett und sicher auch verletzend, aber natürlich - ist dort im fernen Deutschland etwas Schlimmes passiert. Eine Frau wie Dr. Wex, die einfach nur ihren Job macht?

Nein, so geht das im modernen Serien- und Filmfernsehen nicht. Ein schönes Trauma muss schon sein. Und da dieses tiefsitzende Trauma nicht ausreicht, braucht es auch noch den Selbstmord des Onkels, der nicht nur im See untergangen ist, sondern der auch noch die demente Tante zurückgelassen hat. Daher will Viktoria nicht glauben, dass er freiwillig in den Tod gegangen ist. Er würde nie seine geliebte Frau zurücklassen. Bedauerlicherweise kennt er den See. Und er hat einen Punkt gesucht, an dem ihn die Strömung mit Garantie in die Tiefe gerissen hat. Offenbar hatte er seine Gründe.

Als würde das alles noch nicht tragisch genug sein, findet Viktoria auch noch die Leiche im Haus des Onkels. Ausgerechnet die Leiche des Immobilienhais, der auch gerne das Häuschen des Onkels gekauft hätte.

Auftritt der Kommissarin Zofia Kowalska und – die Einführung der Antagonistin vom Dienst. Dr. Wex ist arrogant, Komissarin Kowalska ist arrogant. Da die Figur des Dorfpolizisten Leon Pawlak als freundlich, nett, ja idealistisch in die Serie eingeführt wird, braucht es eben unbedingt den bösen Widerpart. Dieser Widerpart ist dann auch noch die Ex-Ehefrau, da sind Konflikte ja programmiert.

Originell ist das alles nicht. Vielmehr hat hier jemand den Klemmbausteinkasten „Figurenkonstellationen in Kriminaldramen“ geöffnet, sich die passenden Minifiguren herausgesucht und dann einen Fall nach bekannter Bauanleitung zusammengesteckt. Da ist also die Heimkehrerin, … da ist ein verschwundener Onkel, … im Keller liegt eine Leiche. Schön. Was nun jedoch vollkommen fehlt, ist ein echtes Kabinett der Verdächtigen. Im Grunde – gibt es so etwas nicht. Wer mehr als drei oder vier Kriminaldramen dieser Art bereits gesehen hat, bastelt sich die Auflösung nach spätestens 45 Minuten Spielzeit ziemlich exakt so zusammen, wie der Film dann auch tatsächlich endet. Vollkommen uninspiriert folgt die Kriminaltechnikerin den Spuren und wäre Kommissarin Kowalska als Figur nicht nur dazu da, der deutschen Kollegin Unbill entgegenzubringen, sondern würde sie ihr einfach mal zuhören, wäre der Fall nach 45 Minuten gelöst, man könnte zusammen ein Kaltgetränk genießen und sich ein zweites Mal kennenlernen. Gut, das wäre dann zwar kein Kriminalfilm mehr, es wäre aber zumindest eine vollkommen unerwartete Wendung.

Dass es kaum möglich ist, so etwas wie eine emotionale Bindung zu den weiblichen Hauptfiguren aufzubauen, da sie emotional kalt und am Ende unleidlich bleiben, ist schon nicht der beste Start in eine neue Kriminalfilmreihe. Dass sich der Fall dann aber auch noch wie ein alter Polski Fiat mit defekter Zylinderkopfdichtung auf zwei platten Reifen mehr schlecht als recht über 90 Minuten Fahrtstrecke quält, das ist ärgerlich. Aber so wirklich funktioniert in diesem ersten Film wirklich nichts. Selbst das (vermeintliche?) Mordopfer: Ist ein Immobilienhai, der alte Omas um ihre Grundstücke beschissen hat. Um nicht falsch verstanden zu werden: In der Realität ist ein Mord ein Mord. Dies aber ist eine Fiktion und hier hat es einen wirklich bösen, miesen Kerl erwischt. Einen von denen, die in der Realität das Leben in ihren teuren Häusern genießen, die mit ihrem ergaunerten Geld den guten Koks vom seriösen Dealer kaufen und auch sonst nichts dafür tun, um der Allgemeinheit einen ehrenvollen Dienst zu erweisen. Das fiktionale Drama aber kennt für diese Art von finsteren Gesellen das Schicksal als eigenständige Macht, der sie sich nicht entziehen können. Also liegt der Herr im Keller: Das Schicksal hat ihn bestraft. Warum genau kniet sich die junge Frau aus Deutschland jetzt derart in diesen Fall hinein? Ja, natürlich hat dieser Fall auch mit ihrer Familie zu tun. Aber das ist nun wirklich keine sensationelle Erkenntnis, bedenkt man, wo der Leichnam des Oma-Abzockers gefunden wird.

Eine unsympathische Hauptfigur klärt den Mord an einem miesen Drecksack auf in einem Film, dem es an Spannung und Überraschungen mangelt. Der Start in diese neue Spielfilmreihe ist schon arg vermurkst ausgefallen.

Das Erste zeigt den Film um 20.15 Uhr am Donnerstag, 20. Mai 2021
Einen zweiten Spielfilm mit dem Titel «Fangschuss» sendet das Erste am Donnerstag, 27. Mai 2021, 20.15 Uhr

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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Sentinel2003
18.05.2021 18:00 Uhr 1
Ich frage mich immer wieder, wievie neue Krimi Serien die ARD am Donnerstag noch platzieren möchte! Da sieht schon jetzt keiner mehr durch!

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