Das Quotengericht: Die Hauptstadtredaktion der ARD glänzte am Sonntagnachmittag bei der Produktion des «Bericht aus Berlin» keineswegs.

Seit Jahren führt
Das Erste seine Sommerinterviews auf der Terrasse des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses im Berliner Regierungsviertel durch – eine Tradition, die bei sengender Hitze oder, wie nun geschehen, bei lautstarker Störung fortgesetzt wird. Dieses Mal sorgten Aktivisten des „Zentrums für Politische Schönheit“ mit einem Lautsprecherbus für erhebliche akustische Probleme. Die Redaktion ließ die Aufzeichnung trotz der Störung weiterlaufen – ein Eingreifen erfolgte nicht. Moderator Markus Preiß konnte sich beim
«Bericht aus Berlin» unter diesen Umständen kaum auf AfD-Vorsitzende Alice Weidel konzentrieren, geschweige denn gezielte Nachfragen stellen.
Das Interview wurde gegen 15 Uhr aufgezeichnet. Angesichts der massiven Störungen hätte die Redaktion genug Zeit gehabt, das Gespräch später im Studio zu wiederholen. Doch stattdessen wurde die vorliegende, schwer verständliche Version um 18 Uhr ausgestrahlt. Weidel nutzte die Situation mehrfach zu ihrem Vorteil – unter anderem, indem sie vorgab, Fragen akustisch nicht verstanden zu haben. Die Störaktion endete bereits nach rund 30 Minuten – eine Wiederholung wäre also möglich gewesen. Doch offenbar wollte man den Termin schnell abhaken. Diese Gleichgültigkeit wirkt umso fragwürdiger, wenn man bedenkt, wie sehr sich politische PR daraus Kapital schlagen kann. In dieser Konstellation wirkt das Sommerinterview fast schon wie eine unbeabsichtigte Wahlkampfhilfe.

Trotz oder gerade wegen der Umstände erzielte das Gespräch mit Alice Weidel die bislang höchsten Quoten für ein Sommerinterview der AfD im Ersten: 1,56 Millionen Zuschauer schalteten ein, was einem Marktanteil von 12,1 Prozent entspricht. Bei den 14- bis 49-Jährigen lief es mit 0,15 Millionen Zuschauern und 6,6 Prozent Marktanteil dagegen deutlich schwächer. Zum Vergleich: Im Sommer 2023 erreichte ein Interview mit Weidel 1,49 Millionen Zuschauer (11,6 Prozent gesamt, 5,5 Prozent jung). AfD-Co-Vorsitzender Tino Chrupalla erzielte 2021 1,37 Millionen Gesamtzuschauer bei den «Bericht aus Berlin»-Interviews, sein bestes Ergebnis bei den Jüngeren lag 2022 mit 0,22 Millionen bei beachtlichen 6,5 Prozent. 2023 wurde er sogar von 0,23 Millionen 14- bis 49-Jährigen gesehen, was einem Spitzenwert von 9,0 Prozent Marktanteil in dieser Zielgruppe entsprach. Auch beim Gesamtpublikum kam er zuletzt auf 1,47 Millionen Zuschauer (11,5 Prozent).
Nach der Ausstrahlung äußerte sich unter anderem CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann kritisch zur Störaktion. Die AfD selbst forderte inzwischen eine Wiederholung des Interviews. Angesichts von knapp zwei Stunden zwischen Aufzeichnungsende und Sendebeginn stellt sich tatsächlich die Frage, warum
Das Erste nicht reagiert hat. Stattdessen bekamen die Zuschauer eine lieblos abgedrehte Sendung zu sehen – eine verpasste Chance für kritischen Journalismus.
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