Interview

Tini Tüllmann: ‚Frauen, die sich bewusst gegen Kinder entscheiden, erleben oft Unverständnis‘

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In der neuen Komödie muss Nina für ihre Vermieter ein Kind vortäuschen, schließlich wollen die Besitzer nur an Familien vermieten. Tüllmann hat das Werk von Daniel Scotti-Rosin verfilmt.

Frau Tüllmann, der Film beginnt mit einer gescheiterten Beziehung und führt direkt in ein Lügenkonstrukt – was hat Sie an dieser Ausgangssituation besonders gereizt?
Vor allem gereizt an der Situation hat mich, dass Nina, die Hauptfigur, sich durch dieses Lügenkonstrukt genau in die Lage bringt, vor der sie in ihrer Beziehung flüchtet. Sie muss sich gezwungenermaßen mit Kindern auseinandersetzen, die ihr eigentlich zuwider sind. Das verspricht schon sehr viel Komödienpotential.

Nina behauptet, Mutter von zwei Kindern zu sein, obwohl sie Kinder eigentlich ablehnt – inwiefern spiegelt dieser Widerspruch gesellschaftliche Erwartungshaltungen an Frauen wider?
Im ganzen Film geht es genau um diese Erwartungen, die nicht nur die Gesellschaft, sondern auch Frauen oft an sich selbst haben. Frauen, die sich bewusst gegen Kinder entscheiden, erleben oft Unverständnis, Ablehnung oder Mitleid. Ihnen wird oft unterstellt, sie seien egoistisch, karrierefixiert oder unnatürlich. Ihr Lebensweg wird infrage gestellt, als wäre ein Leben ohne Kinder unvollständig oder falsch.

Auf der anderen Seite sollen Mütter ihre Mutterschaft als Erfüllung empfinden, dabei aber weiterhin beruflich aktiv, attraktiv und ausgeglichen bleiben, ohne dass die Kinder zu kurz kommen. Wer „zu früh“ Mutter wird, gilt als unambitioniert, wer „zu spät“ Mutter wird, als egoistisch. In beiden Fällen zeigt sich: Frauen werden ständig bewertet – und zwar unabhängig davon, welchen Lebensweg sie wählen.

Zwischen Nina und ihrer Nichte Frieda entwickelt sich eine spezielle Dynamik – wie haben Sie die beiden Figuren inszeniert, damit die Chemie stimmt?
Um ganz ehrlich zu sein, musste ich da gar nicht so viel beitragen. Wir hatten erst ein Live Casting mit Holle Kirck und waren alle sofort begeistert mit welch lässigem Witz sie diese gerissene Nichte verkörpert. Nachmittags war dann Laura Storz da und hat uns wiederum mit ihrem Spiel umgehauen. Glücklicherweise war Holle bereit, nochmal zurückzukommen, damit wir die Dynamik der beiden zusammen ausprobieren können. Und es war direkt ein Supermatch.

Im Zentrum steht die Beziehung zweier Schwestern mit gegensätzlichen Lebensentwürfen. Wie sind Sie an diese familiäre Ambivalenz herangegangen?
Es war für uns alle entscheidend, dass diese zwei Lebensentwürfe auf Augenhöhe behandelt werden. Das ist natürlich vor allem dem wunderbaren Zusammenspiel von Laura Storz und Jasmin Schwiers zu verdanken, die diese gegensätzlichen Positionen so emotional nachfühlbar umgesetzt haben. An der Szene mit der Aussprache der Schwestern haben wir lange gesessen und nur durch ihren Input war es möglich, die schon wirklich tollen Dialoge von Daniel Scotti-Rosin, dem Autor, nochmal auf ein höheres Level zu bringen.

Der Film thematisiert auch das Spannungsfeld zwischen Lebensentwürfen mit und ohne Kinder – war es Ihnen wichtig, hier eine gewisse Ambivalenz zuzulassen? Wie verhindern Sie dabei, in Klischees zu verfallen?
Unbedingt. Das Thema betrifft ja nicht nur Frauen, sondern grundsätzlich alle Menschen, die ins zeugungsfähige Alter kommen. Und Meinungen können sich natürlich auch im Laufe des Lebens ändern. Auch Männer stehen irgendwann vor der Frage: Will ich Kinder – und wenn ja, wann und mit wem?

Der Film beginnt mit genau diesem Dilemma: Was passiert, wenn plötzlich einer der beiden Partner einen Kinderwunsch verspürt – und der andere nicht? Obwohl eigentlich alles passt und man sich liebt. Was macht das mit einer Beziehung?

Klischees sind für mich in Ordnung, so lange ich mit den Figuren mitfühle und sie sich im Laufe der Handlung bestenfalls brechen und vielleicht bzw. hoffentlich sogar ein Lacher entsteht. Das ist aber alles größtenteils dem guten Drehbuch und den tollen Schauspieler*innen zu verdanken. Eine meiner Lieblingsszenen ist in der Schule, in der Nina auf ihre eigenen Vorurteile, wie eine „echte Muder“ sein sollte, hereinfällt und durch die Befragung von der Lehrerin und dem Schulpsychologen (großartig gespielt von Lorna Ishema und Denis Moschido) ordentlich ins Schwimmen gerät.

Es gibt viele charmante und absurde Momente – wie finden Sie die richtige Balance zwischen Komödie und emotionaler Tiefe?
Da kann ich mich nur auf mein eigenes Bauchgefühl verlassen. Jedes noch so tiefe emotionale Tal birgt ja einen Moment, in dem es durch Komik aufgebrochen werden kann.

Es muss mich berühren und ich muss es lustig finden. Ob das danach dann allen anderen auch so geht, kann ich nur hoffen. Da ist ja auch viel Geschmack dabei, welcher Humor einem besonders liegt. Aber wenn ich schon nichts spüre, sind die Chancen eher gering, dass es dem Zuschauer anders geht.

Gab es Szenen, bei denen Sie bewusst umgeschrieben oder tonlich umgestellt haben?
Daniel Scotti-Rosin hatte schon ein tolles Drehbuch geschrieben als ich zu dem Projekt kam, wir haben aber nochmal gemeinsam über dem dritten Akt gebrütet, weil wir beide der Meinung waren, dass dort das Potential noch nicht ganz ausgeschöpft war. Deshalb wurde der nochmal überarbeitet. Im Zuge dessen dann auch nochmal die Aussprache zwischen den Schwestern.

Ansonsten haben wir am Set vielleicht manchmal Sätze mundgerechter gemacht, aber auch das war meistens gar nicht nötig weil die Vorlage schon so gut funktioniert hat.

Nina steht irgendwann unter der Kontrolle ihrer 13-jährigen Nichte – was hat Sie an dieser Umkehr der Machtverhältnisse interessiert?
Das ist vor allem witzig, weil ihre Nichte sich ähnlich benimmt wie sie selbst. Sie lässt sich nichts sagen und biegt Wahrheiten um an ihre Ziele zu kommen. Und Nina hat sich selbst in diese Situation gebracht hat und weiß es.

Wie haben Sie mit Laura Storz und Holle Kirck gearbeitet, um diesen sehr speziellen „Tante-Nichte-Deal“ glaubhaft auf die Leinwand zu bringen?
Da kann ich mich nur wiederholen. Ich musste nicht viel machen. Die Beiden sind einfach großartige Schauspielerinnen, die sich gegenseitig mit ihrem unglaublich lässigen Humor und ihrer coolen Präsenz auf Augenhöhe begegnen. Sie schlagen sich ständig mit ihren eigenen Waffen und grinsen sich dabei frech ins Gesicht.

Eko Fresh zeigt sich in einer sehr zurückgenommenen Rolle – wie kam es zur Besetzung, und was wollten Sie mit seiner Figur erzählen?
Eko war Kristin Diehles (Casting) Idee und ein absoluter Glücksfall.
Von Anfang an war klar: Wir brauchten jemanden mit positiver Ausstrahlung und einem feinen Gespür für Humor, der zugleich den inneren Konflikt des zurückgelassenen Partners sensibel verkörpern kann – jemanden, der sie trotz allem noch liebt.

Schließlich kämpft auch Sammy mit seiner Entscheidung. Eko musste sich dafür weit von seinem gewohnten Image entfernen, nicht nur äußerlich - ohne Bart - sondern sich auch auf eine andere Art von Humor einlassen und hat eine neue, sehr besondere Qualität gezeigt. Obwohl er weitaus weniger Screentime hat als die Hauptrolle, schafft es trotzdem, dass wir mit seinen inneren Auseinandersetzungen mitfühlen und mitleiden.

Wenn Sie auf das Endergebnis blicken: Was ist für Sie die größte Stärke von
«Die Kinderschwindlerin» – und was wünschen Sie sich, dass das Publikum aus dem Film mitnimmt?

Für mich ist die größte Stärke die Besetzung. Allen voran Laura Storz, deren positive Ausstrahlung und beeindruckende Präsenz einen sofort in den Bann zieht. Sie schafft es, dass man diese Figur liebt, obwohl sie größtenteils sehr unsympathische, eigennützige Entscheidungen trifft.

Und wir haben es ihr nicht leicht gemacht herauszustechen, weil die Besetzung bis in die kleinsten Rollen wirklich wahnsinnig Spaß macht. Ob Doris Kunstmann als Nachbarin, Henrick Blossey als Neffe, Tristan Seith als Schwager oder Collien Ulmen-Fernandes als beste Freundin zusammen mit den ganzen anderen tollen Frauen in ihrer Band, es fügt sich für mich alles perfekt zusammen.

Am schönsten wäre es, wenn das Publikum neben den Lachern und verdrückten Tränen vor allem eine Sache mitnimmt: dass jeder sein Leben so gestalten sollte, wie es sich für ihn oder sie richtig anfühlt – ohne andere dafür zu verurteilen.
Es gibt keinen perfekten Weg, es gibt nur den eigenen, der einen hoffentlich glücklich macht.

Vielen Dank für Ihre Zeit!

«Die Kinderschwindlerin» ist ab 19. Juni in der ZDFmediathek abrufbar. Die TV-Premiere erfolgt am 7. August im ZDF.

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