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«Der Tatortreiniger»: König der Kammerspiel-Serien

von

Bjarne Mädel schlüpft wieder in seine Paraderolle. Und bedient als «Tatortreiniger» Schotty ein faszinierendes Genre, das im Fernsehen viel zu kurz kommt: Das Kammerspiel.

«Tatortreiniger»-Auszeichnungen

  • Adolf-Grimme-Preis für "Beste Unterhaltung" (2012 & 2013)
  • Nominierung für den Bayerischen Fernsehpreis in der Kategorie "Bester Schauspieler" (Serien und Reihen) (2012)
  • Nominierung für den Deutschen Comedypreis als Beste Comedyserie (2013)
  • Deutscher Comedypreis für den besten Hauptdarsteller und die beste Comedyserie (2012)
  • Nominierung für den Deutschen Fernsehpreis für den besten Hauptdarsteller und als beste Serie (2012)
Es handelt sich um eine Auswahl.
Das Kammerspiel: Wenige Figuren, ein begrenzter Schauplatz, viel Dialog, im Idealfall mit psychologischer Ausrichtung. Auf der Theaterbühne und im Kino gehört das Kammerspiel zum Stamminventar großer Erzählkunst. In der Welt der Serien ist es dagegen rar gesät. Zwar können einige Serien auf einzelne Folgen dieser Art blicken, es ist aber sehr schwer, ein Format zu finden, dass ausschließlich aus Kammerspielen besteht. Was wohl an der mangelnden Experimentierfreude liegt, die Fernsehsender über Jahrzehnte hinweg an den Tag legten. Und auch in der heutigen Ära immer wagemutigerer Serienproduktionen haben Kammerspiele kaum Platz in der TV-Landschaft. Schließlich ist es US-Premiumsendern wie HBO oder AMC primär daran gelegen, mit immer größeren Produktionswerten und enthemmteren Storylines aufzutrumpfen.

Kurzum: Hirn dürfen Fernsehserien zwar haben (siehe jedermanns Lieblingsserie «Breaking Bad» oder den angesehenen Kritikerfavoriten «True Detective»), dann aber bitte auch vor beachtlicher Kulisse. Bekanntlich brachte in den vergangenen Jahren ausgerechnet das als feige abgestempelte deutsche Fernsehen mit «Der Tatortreiniger» jedoch eine Ausnahmeproduktion zustande: Ebenso klein, ruhig und unauffällig wie intelligent, feinsinnig und mit spitzer Feder geschrieben. Man merkt den Drehbüchern stets an, dass sie von einer deutschen Dramatikerin stammen. Was hier denkbar positiv gemeint ist: Auch die neuen Episoden sind fernsehgewordene Ein-Akt-Kammerspiele, in denen Bjarne Mädel als unangepasster Tatortreiniger mit Menschenkenntnis auf markante Persönlichkeiten trifft und mit ihnen ins Gespräch kommt. Was folgt, ist mal traurig, mal unfassbar komisch, doch immer glaubwürdig und voller Erkenntnisse über die Art und Weise, wie wir so ticken in der westlichen Gesellschaft.

In der Episode „Schweine“ lernen die Zuschauer ausnahmsweise die häufig zurückhaltende Titelfigur Schotty besser kennen: Dieser muss das Chaos beseitigen, das ein Schwein bei einer alten Flamme aus früheren Zeiten hinterlassen hat. Aber wie so oft ist der eigentliche Plot nur die Oberfläche, hinter der sich mehr verbirgt. Denn Mizzi Meyers scharfzüngige Dialoge spitzen sich in dieser Episode in ein köstliches Streitgespräch zu, das von Lügen, Selbstbetrug und Machtkämpfen in Beziehungen handelt. „Carpe diem“ wiederum lässt in einer bürokratischen Vorhölle einen kafkaesken Albtraum entstehen, der die Bedeutung(slosigkeit) des Einzelnen unterstreicht. Die Episode „Ja, ich will!“ dagegen handelt von Abschiebung, politischer Flucht und dem Wert der (Zweck-)Ehe. Stets brillant gespielt und zumeist rasanter erzählt als von der Serie bisher gewohnt – ohne die Identität des Kultformats zu verraten.

Da der NDR in den kommenden Wochen immerhin acht Episoden der gefeierten Kultserie ausstrahlt, steht Serienfans eine ansehnliche Portion an gelungenen Kammerspielen bevor. Wem trotz der Auswertung der neuen «Tatortreiniger»-Folgen der Sinn nach mehr vergleichbaren Formaten steht, kann zudem nach den raren anderen Kammerspielserien Ausschau halten. Etwa nach der deutschen Produktion «Add a Friend», einer modernen, leise gesellschaftskritischen Dramedy über den Fotografen Felix, der nach einem Autounfall ans Krankenbett gefesselt ist. Ein Großteil der Figureninteraktion erfolgt daher über soziale Netzwerke und Videochats. Mitunter sind die emotionalen Enthüllungen der Charaktere etwas seifenopernartig, insgesamt ist die Serie jedoch zeitgemäß und besticht mit so manch geschliffenen Dialogwechseln.

Alternativ bietet sich die intelligent verfasste, intensiv gespielte, wenngleich zuweilen etwas dick aufgetragene HBO-Dramaserie «In Treatment» (Foto rechts) an. Diese zeigt in jeder Episode die Therapiegespräche zwischen dem Psychotherapeuten Paul Weston (gespielt von Gabriel Byrne) und seinen Patienten – und ist somit ein Kammerspiel in Reinform, inklusive minimalistischer Gestaltung und geballten, komplexen Dialogen. Aber, ganz ehrlich: Die etwas umständliche Erzählweise steht zuweilen dem Sehspaß im Weg. Dann lieber auf weitere Einsätze des Tatortreinigers warten. Oder einen der vielen brillanten Filme im Kammerspielstil schauen. Von «Arsen und Spitzenhäubchen» bis zu den «zwölf Geschworenen» gibt es ein nahezu unübersichtliches Sammelsurium an herausragenden Werken. Viele davon kommen sogar ohne Protagonisten mit Pornobärtchen aus …

«Der Tatortreiniger» ist ab dem 3. Dezember 2014 immer mittwochs gegen 22 Uhr im NDR zu sehen.

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