Die Kritiker

«Der Gute Bulle»

von

Zwei herausragende Darsteller, Armin Rohde und Melika Foroutan, denen man bessere Rollen wünscht: «Der Gute Bulle» scheitert an seinem aufgesetzten Good-Cop-Duktus.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Armin Rohde als Fredo Schulz
Edin Hasanovic als Milan Filipovic
Nele Kiper als Lola Karras
Axel Prahl als Roland Bischoff
Melika Foroutan als Melissa Bols
Max Simonischek als Jimmy Olsen
Gaby Dohm als Edith Bischoff

Hinter der Kamera:
Produktion: Network Movie Film- und Fernsehproduktion
Drehbuch und Regie: Lars Becker
Kamera: Andreas Zickgraf
Produzenten: Bettina Wente und Wolfgang Cimera
Fredo Schulz (Armin Rohde), ein beleibter Mann mit leicht zerzaustem Haar, steht in voller Bekleidung wenige Meter vom Strand im Meer und brüllt, „Hol mich doch, du Scheißflut!“ Man soll auf den ersten Blick sehen: Dieser Mann ist nicht ganz bei Sinnen. Eine wenig später in einer Bar abgeladene Backstory schafft Erklärungsansätze: Vor vielen Jahren sind sein Sohn und seine Frau bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen. Seitdem ist er am Saufen.

Am Ufer treffen bald die Polizisten Milan Filipovic (Edin Hasanovic) und Lola Karras (Nele Kiper) ein. Etwas schockiert, ihren Kollegen Schulz in einem so desaströsen Zustand anzutreffen, setzen sie trotzdem alles daran, ihn zu sich nach Berlin zu karren: Dort ist ein kleines Mädchen verschwunden – und Schulz‘ kriminalistische Expertise unerlässlich, um es lebend wiederzufinden.

Das ist Schulz bei den letzten Berliner Kindesentführungen misslungen. Sie waren nach einem identischen Muster abgelaufen und brachten Schulz schnell auf die Spur eines Verdächtigen: Roland Bischoff (Axel Prahl). Der ist ein so widerwärtig-süffisanter Mann und lachte Schulz damals trotz allem Ernst der Lage noch so dreckig ins Gesicht, dass Schulz ihm eine geknallt hat. Bischoff kam frei, aus Mangel an Beweisen, der Fall um die verschwundenen Mädchen blieb ungeklärt – und nun ist eben ein drittes verschwunden.

Schulz stellt also fürs Erste seine Sauferei ein und tritt in Kontakt zu seinem alten Freund Bischoff und dessen Mutter, die er aus seiner Sphäre herauszulösen versucht: „Ihr Sohn ist schuldig, wir können’s nur nicht beweisen!“, ist Schulz‘ Mantra, das schnell zum Mantra des Films wird. Plakative Sätze wie „Jetzt vergessen wir mal das Gesetz!“ machen noch schneller klar, wo die Reise dieses Films hingehen soll: in eine vermeintliche Diskrepanz zwischen Recht und Gerechtigkeit, in eine Ablehnung juristischer Fitzeleien um Schuld und Beweiskraft, zugunsten einer zupackenderen Good-Cop-Narrative, wo ein beleibter Wodka-saufender Armin Rohde den gelebten inneren Widerspruch aus rabiatem Äußeren und gutmütigem Inneren spielen muss.

«Der Gute Bulle» bezieht nicht nur in seinem Titel eindeutig Stellung für seine Figuren: Die Guten und die Bösen sind klar und strikt getrennt, und keine Figur wird suggestiver geführt als der (vermeintliche?) Kindermörder Roland Bischoff. Arrogant und breit grinsend sitzt er vor dem gutmütigen, aber zupackenden Fredo Schulz, wenn dem neben seiner Alkoholsucht auch noch die starke emotionale Empathie mit den Eltern des verschwundenen Kindes zusetzt. Dieser Bischoff – was bildet der sich ein? Was ist das für ein Mensch? Doch anstatt sich dieser Frage psychologisch und intellektuell zu nähern, führt dieser Film ihn als Objekt ein, an dem der Zuschauer seine Ablehnung abführen kann. Der Rest des Figurenpersonals wird leider wenig differenzierter geführt: Dass ein schnöselig-reicher Notar, der ebenso wenig Empathie zeigt und einer Mutter, die gerade ihr Kind vermisst, allerhand unnötige Rechtsvorschriften um die Ohren knallt, ausgerechnet einen jüdischen Nachnamen trägt, übertritt gar die Grenze zum Unappetitlichen.

Während sich die Figuren hinsichtlich ihres (mangelnden) Facettenreichtums und ihrer suggestiven Führung nur in Nuancen unterscheiden, lässt sich an den schauspielerischen Leistungen ein beachtliches Gefälle ausmachen. Armin Rohde fällt – wie in den meisten seiner Filme – durch eine ungeheuerliche Präsenz auf. Er macht aus seinem titelgebenden „Guten Bullen“ das, wozu das Drehbuch nicht imstande war: eine ambivalente Figur, mit nuancierten Konflikten und komplexen Eigenschaften, die die Dramaturgie nur in diffusen Allgemeinplätzen anzudeuten vermochte. Melika Foroutan gelingt es als Mutter des vermissten Kindes derweil mit ihrem erstaunlich einnehmenden Spiel, die große Tragik dieses Ereignisses fassbar zu machen.

Betrachtet man die Szenen, in denen Rohde und Foroutan hier aufeinandertreffen, wird man etwas wehmütig: Man beginnt, sich auszumalen, wie mitreißend, klug und kunstvoll ein Film aussehen könnte, in dem die Beiden die Hauptrollen spielten, und sei es auch nur ein Buddy-Cop-Drama. Man ist geneigt, sich eine Symbiose aus Rohdes traumatisiert-versoffenem Fredo Schulz und Foroutans traumatisiert-versoffener Louise Boni drüben im Ersten vorzustellen. Er würde mit dem rabiaten Beschuldigten im Verhörraum hart ins Gericht gehen, sie einem anderen Beschuldigten in sanftem Französisch allerhand Täterwissen entlocken, nach getaner Arbeit säßen sie in einer Bar und würden philosophisch interessante Gespräche über die Niedertracht des modernen Menschen und die Isolation der Großstadt führen, und alle wären glücklich, außer die Beiden natürlich.

Aber genug von guten Filmen, wir sind ja beim «Guten Bullen». Da wird das Duo Rohde-Foroutan von Edin Hasanovic und Nele Kiper eingerahmt, die zwei unausgegorene, oberflächlich geschriebene Cops aus der zweiten Reihe spielen sollen. Und während Rohde und Foroutan auch in den ärgeren Verhackstückelungen der Klischees, aus denen dieses Drehbuch sein dramaturgisches Rückgrat gezimmert hat, noch einnehmende Szenen hinspielt, sagen Hasanovic und Kiper pflichtbewusst, aber mechanisch ihre Sätze auf, gucken betroffen und denken, das sei Schauspiel. Ähnlich vergessenswert sind Axel Prahl als süffisanter Triebtäter und Gaby Dohm als dessen Mutter; doch ihnen kann man die wenigsten Vorwürfe machen. Ihre Figuren sind die mit Abstand suggestivsten und unstimmigsten dieses Drehbuchs.

Das Erstaunliche an diese Narrative ist, dass sie mit dem Stoff um ein entführtes Kind und der Hauptfigur eines traumatisierten Trinkers zwar eine besondere emotionale Fallhöhe einführt, gleichzeitig aber keinerlei Gefühl für Zwischenmenschliches entwickelt. Stattdessen mäandrieren die Figuren holzschnittartig durch neunzig Minuten berechnete Plotentwicklungen, die besonders im letzten Drittel völlig absurde Züge annehmen und auf die billigsten Gemütsregungen hin geschrieben wurden.

Dabei hätten sich aus dem Grundkonzept viele spannende Fragen ergeben: Ist der unausstehliche Roland Bischoff tatsächlich ein Kinderschänder – und damit schuldig – oder nur ein unangenehmer Typ, der infolge von Schulz‘ Sauferei unschuldig in U-Haft gelandet ist? Wie geht ein intelligenter Mann wie Fredo Schulz mit seiner etwaigen Schuld um? Und wie kann man kaltblütigen Geschäftsmännern den Wert eines Menschenlebens vermitteln?

All diese interessanten Fragen sind für diesen Film: nebensächlich. Stattdessen wird eine eigentlich ambivalente Figur als «Guter Bulle» hochstilisiert und verklärt, dessen interessante Komplexitäten so weit ausgeklammert werden wie möglich. Das Resultat ist erstaunlich: «Der Gute Bulle» hätte so gut wie alles für einen guten Film gehabt – und ist doch ein miserabler geworden.

Das ZDF zeigt «Der Gute Bulle» am Montag, den 25. September um 20.15 Uhr.

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