TV-Kritik

Kein Stillstand, keine Pause: «Sarah Kohr – Im Schatten» ist der ruppigste ZDF-Krimi des Jahres

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Ein Amoklauf in einem Hamburger Supermarkt fordert ein Todesopfer. Sarah Kohr ist zufällig in der Nähe. Sie reagiert auf den Notruf und wird Zeugin, wie sich der Täter selbst richtet. Vielleicht ist die Geschichte aber trotz all der Bilder aus den Überwachungskameras und den Zeugenaussagen ganz anders verlaufen.

«Sarah Kohr – Im Schatten»

REGIE: Christian Theede, BUCH: Timo Berndt, SCHNITT: Lucas Seeberger, KAMERA: Tobias Schmidt, KOSTÜME: Christine Zahn, MUSIK: Boris Bojadzhiev, SZENENBILD: Uwe Berthold, TON: Torsten Többen-Jung. BESETZUNG: Lisa Maria Potthoff (Sarah Kohr), Herbert Knaup (Anton Mehringer), Corinna Kirchhoff (Heike Kohr), Torben Liebrecht (Kommissar Thomas Beikamp), Mathis Landwehr (Hannes Kosinski), Elmo Anton Stratz (Patrick Beikamp), Christian Berkel (Kommandeur Christian Fesek), Harald Burmeister (Rainer Moldau), Judith Bohle (Elisa Henning), Johanna Götting (Mareike Mittmann), Josephine Ehlert (Suse Kosinski), Lo Rivera (Selma Schmohl), Meryem Ebru Öz (Stabsgefreite Elin Akbaş), Cem Lukas Yeginer (Security M. Ruthe), Rona Özkan (Junge Polizeibeamtin), Paul Ahrens (Junger Polizeibeamter), Behrad Beh Nezhad (Malik Otark), Roman Schomburg (Feldjäger Peukert)
Es ist so: Sarah Kohr feuert im Supermarkt zwar auf den Täter, der aber ist gekleidet wie ein Elitesoldat im Einsatz: Voll gepanzert, das Gesicht verdeckt. Der Mann flüchtet, Sarah nimmt die Verfolgung auf, und so hört sie seinen letzten Schuss nur. Als sie den Raum im Verwaltungstrakt des Supermarkts betritt, in den der Mann floh, hat dieser sich selbst gerichtet. Doch Sarah schmeckt der Fall nicht, obwohl sie selbst Zeugin des Amoklaufes geworden ist. So muss sie sich selbst hinterfragen: Was hat sie gesehen? Einen Mann, der eine Maske getragen hat und definitiv über militärische Skills verfügt – so wie der Tote, der sich tatsächlich als Soldat herausstellt, der auf einem nahegelegenen, kleinen Bundeswehrstützpunkt seinen Dienst verrichtete. Der Tote war Teil eines Spezialkommandos. So betrachtet – ja, das könnte der Mann gewesen sein. Doch wenn ein Soldat wie er einen Amoklauf plant und am Ende „nur“ eine Person tot ist, hatten die Kundinnen und Kunden dann nur unfassbares Glück? Der Amokläufer war mit einem Sturmgewehr ausgerüstet und wusste, wie man sich in Extremsituationen verhält. Wenn jemand wie er durchdreht, dann plant er seinen Amoklauf wie einen Spezialeinsatz. Er ballert nicht einfach in der Gegend herum, er geht in so einen Supermarkt, um zu töten. Außerdem ist da der Raum, in dem er sich gerichtet hat – ein Raum, aus dem er nicht mehr entkam, weil bei einer Durchgangstür eine Klinke fehlte.

Eine Klinke als Grund für einen Selbstmord?
Ja, das kann passieren – und wer kann schon in den Kopf eines Amokläufers schauen? Einen Menschen hat er ermordet, und ja, vielleicht hatten die anderen Kundinnen und Kunden tatsächlich unfassbares Glück. Alles möglich. Aber würde ein Mann mit einem Hintergrund wie der Tote, ein stets korrekt agierender Soldat ohne erkennbare psychische Aussetzer, selbst dann, wenn er innerlich aus Motiven, die es zu ergründen gilt, durchgedreht ist, ausgerechnet am Geburtstag seiner kleinen Tochter zur Tat schreiten?

Manchmal sind es die kleinen Nuancen, die einfach nicht passen wollen.
«Sarah Kohr – Im Schatten» ist einmal mehr ein herrlicher B-Kracher, der seine Story weniger mit einem fein geschliffenen Skalpell zeichnet als vielmehr mit dem Vorschlaghammer direkt in die Vollen geht. Mit wirklichen Überraschungen wartet die Geschichte nicht auf. «Sarah Kohr» ist kein psychologisches Kammerspiel, sondern die einzige Actionserie, die sich das ZDF gönnt, ohne der Spielfilmreihe jedoch ein entsprechendes Budget zu geben. Die Serie muss mit den gleichen finanziellen Mitteln agieren wie lustige oder düstere Küstenkrimis; «Stirb langsam» lässt sich damit nicht umsetzen.

Doch die Macher haben einen Kniff gefunden, um die Filme voranzutreiben: Sie fokussieren sich so konsequent auf Hauptdarstellerin Lisa Maria Potthoff, dass die Unwägbarkeiten in Form des fehlenden Budgets kaum auffallen. Und Potthoff hat einfach Bock auf diese Reihe. Auch am Ende dieses Spielfilms wirkt sie, als hätte sie sich mit einer fahrenden Lok angelegt. Die Handlung kennt keinen Stillstand: Sarah prügelt sich an Ort A, rennt zu Ort B, sucht Indiz an Ort C. Regisseur Christian Theede berücksichtigt das erste Gebot des B-Actionfilms: Es darf keinen Stillstand geben. Die Kamera muss sich bewegen, die Darstellerin muss sich bewegen. Die Handlung ist eher ein Gerüst, auf das man klettern kann, als eine tiefenpsychologische Charakterstudie.
Der Kommandant

Diese Struktur führt Sarah zum Stützpunkt, dessen Kommandeur Christian Fesek eine schnelle Aufklärung wünscht und wenig an Fragen oder Zweifeln interessiert scheint. Ihm spielt der eigentlich mit der Aufklärung beauftragte Kommissar Thomas Beikamp in die Hände. Dieser war selbst Soldat der von Fesek betreuten Einheit, und der Corpsgeist trieft ihm förmlich aus dem obligatorischen Oberlippenbart. Sarah bekommt jedoch unerwartete Unterstützung von einem jungen Gefreiten, Breikamps Sohn Patrick, der unter Fesek dient und sichtbar mit seiner Rolle als Soldat hadert. Hier entsteht ein subtiler Vater-Sohn-Konflikt, und Patrick scheint wenig Interesse daran zu haben, etwas zu vertuschen, vor allem, wenn er damit seinem Vater eine reinwürgen kann.

Und dann ist da noch die Gefreite Elin Akbaş, die als Vertrauensperson agiert und zu der der Amokläufer Kontakt aufnahm, weil in der Kaserne offenbar Umtriebe stattfinden, von denen die Führung nichts hören will. Klar, man erkennt schnell, in welche Richtung diese Umtriebe führen werden. Doch Lisa Maria Potthoff führt die Handlung so souverän, dass die Vorhersehbarkeit kaum ins Gewicht fällt. Schade ist, dass Christian Berkel ein wenig unterfordert wirkt. Als Kommandant Fesek hätte er sichtbar gerne mehr Tiefe aus der Figur geholt, aber das hätte wohl die 89 Minuten Spielzeit gesprengt.

So bleibt ein intensiver Actionthriller, der die Stärken seiner Schauspieler und seine klare, dynamische Inszenierung ausspielt.

«Sarah Kohr – Im Schatten» ist am Montag, den 3. November, im ZDF zu sehen. Der Krimi ist seit 25. Oktober in der ZDFmediathek abrufbar.

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