Die Kritiker

«Chabos»

von

Chabos wissen, wer der Babo ist? In der neuen ZDFneo-Serie mit einem wehmütigen Rückblick auf die Nuller Jahre ist das weniger eindeutig.

Stab

Darsteller: Johannes Kienast, Nico Marischka, Jonathan Kriener, Loran Alhasan, Arsseni Bultmann, David Schütter
Drehbuch und Regie: Arkadij Khaet, Mickey Paatzsch
Kamera: Nikolaus Schreiber
Schnitt: David Wieching, Tobias Wieduwilt
Szenenbild: Debbie Holler, Dirk Hollmann, Andrea Weitz
Kostümbild: Sarah Hachim, Minsun Kim
Maske: Lisa Meier, Silvie Weinrowsky, Johannes Schmager
Ton: Achim Strommenger-Reich
Es gibt Serien, die von der Vergangenheit zehren wie ein alter Kaugummi, der seinen letzten Rest an Aroma in die Gegenwart schleppt. «Chabos», die neue Miniserie von Arkadij Khaet und Mickey Paatzsch auf ZDFneo, gehört genau in diese Kategorie: eine Mischung aus Coming-of-Age, Milieustudie und Groteske, die zugleich viel will und oft zu viel tut. Acht Episoden à 30 Minuten, eingebettet in den Sommer 2006, sollen die Jugend von damals in einem schrägen Erinnerungsraum aufrufen – irgendwo zwischen Lan-Party und StudiVZ, zwischen gebrannten „Saw II“-DVDs und blondierten Spitzen.

Der Ausgangspunkt ist simpel und fast schon banal: Peppi (Johannes Kienast), ein 36-jähriger Mann mit verletztem Ego, wird nicht zum Klassentreffen eingeladen. Dieses Fehlen – ein kleiner Stich ins Selbstbild – treibt ihn zurück ins Ruhrgebiet und noch weiter: in die brüchige Erinnerung an seine Clique, die «Chabos». Von hier entfaltet die Serie ihre Doppelbewegung: die erwachsene Suche nach verlorenen Freunden und die jugendliche Odyssee zwischen WM-Sommermärchen und peinlichen Fehlentscheidungen.

So weit, so vielversprechend. Dass Nostalgie als ironischer Zerrspiegel funktioniert, haben andere Formate bereits gezeigt. «Chabos» allerdings setzt noch eins drauf: Es will den Schmerz der Jugend ebenso ernst nehmen wie ihre Lächerlichkeit. Mal gelingt dieser Balanceakt, etwa wenn ein missratener Coup im Sandwichladen sich mit einer existenziellen Auseinandersetzung im Heute überblendet. Mal aber verheddert sich die Serie in der eigenen Lust am Zitat – Assi-Toni, Bangbus, Barbara Salesch – ein Kaleidoskop popkultureller Versatzstücke, das in seiner Dichte fast wie eine Pflichtübung wirkt.

Handwerklich ist «Chabos» solide ausgestattet. Kameramann Nikolaus Schreiber findet einen Ton zwischen grobkörniger Nostalgie und stylisierter Gegenwart, ohne allzu viel falsche Sentimentalität. Das Szenenbild (Debbie Holler, Dirk Hollmann und Andrea Weitz) arbeitet akkurat mit den Requisiten der Nullerjahre, vom Klapphandy bis zur Deutschlandfahne im WM-Sommer. Gerade hier zeigt sich die Stärke der Serie: Sie kann Atmosphäre. Doch Atmosphäre allein trägt noch kein Drama.

Die Darstellerinnen und Darsteller liefern ein gemischtes Bild. Johannes Kienast gibt den gealterten Peppi als Mischung aus verletztem Kind und tragikomischem Helden, was phasenweise überzeugt, phasenweise jedoch ins Chargenhafte kippt. David Schütter als erwachsener PD hat eine Intensität, die über manche Drehbuchschwäche hinwegträgt, während Max Mauff als Gollum oft zwischen Karikatur und Tragik oszilliert. Über allen aber schwebt Anke Engelke als Martina Pfeffer, die souverän, fast zu souverän wirkt – als sei sie aus einer anderen Serie zu Besuch.

Problematisch ist weniger die Inszenierung als das Drehbuch. Khaet und Paatzsch lassen ihre Figuren permanent im Überschwang agieren, im Bewusstsein, dass das Publikum die ironischen Brechungen sofort versteht. Dadurch aber bleibt manches flach: Die Abgründe, die sich auftun sollten – eine Jugend voller Schuld, Scham und ungesagter Wahrheiten – geraten zu oft zur Posse. Musikalisch gelingt Hannah von Hübbenet zwar eine geschickte Gratwanderung zwischen epischer Überhöhung und augenzwinkernder Reminiszenz, doch auch hier: Es bleibt manchmal zu glatt, zu korrekt produziert, wo etwas mehr Rohheit dem Ganzen gutgetan hätte.

Und dennoch: «Chabos» hat Momente. Etwa wenn das Finale das Klassentreffen nicht als erlösende Versöhnung, sondern als schmerzhaften Offenbarungseid inszeniert. Oder wenn Peppi erkennt, dass die Wahrheit über seine Ausladung weniger mit den alten Jugendsünden zu tun hat als mit seiner eigenen Verdrängung. In diesen Augenblicken schimmert eine Ehrlichkeit durch, die zeigt, welches Potenzial in der Serie steckt.

Als Ganzes aber bleibt «Chabos» ein durchwachsenes Erlebnis. Wer die Nullerjahre selbst durchlebt hat, wird sich an mancher Anspielung erfreuen – oder fremdschämen. Wer sie nicht kennt, könnte sich fragen, warum so viel Getöse um eine gebrannte DVD gemacht wird. Zwischen Ironie und Ernst, zwischen Satire und Nostalgie schwankt das Werk, ohne sich klar zu entscheiden.

Vielleicht ist genau das sein Verdienst: «Chabos» zeigt, dass Erinnerung selten linear ist, sondern ein Flickenteppich aus Peinlichkeiten und Sehnsüchten. Doch als Serie hätte man sich mehr Mut zum radikalen Tonwechsel gewünscht – weniger Kalauer, mehr Konsequenz. So bleibt es bei einer Miniserie, die ihre Helden im Monsun der 2000er Jahre straucheln lässt, während der Zuschauer unschlüssig bleibt, ob er lachen oder weinen soll.

Die Miniserie «Chabos» wird ab dem 24. August drei Wochen lang sonntags in ZDFneo ausgestrahlt. Alle 8 Folgen sind bereits in der ZDFmediathek verfügbar.

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