Das «Nazi-Kartell» erzählt die kaum bekannte, aber umso brisantere Geschichte, wie ein ehemaliger NS-Offizier – Klaus Barbie, auch bekannt als der „Schlächter von Lyon“ – nach dem Zweiten Weltkrieg in Bolivien nicht nur Unterschlupf fand, sondern dort ein Netzwerk mit aufbaute, das in den 1980er Jahren zur Geburtsstunde des globalen Drogenhandels beitrug. Zusammen mit dem bolivianischen Drogenbaron Roberto Suárez und dem amerikanischen DEA-Agenten Michael Levine entsteht ein kriminelles Dreieck, das Politik, Militär und Drogenproduktion miteinander verknüpft. Die Serie deckt auf, wie alte Nazi-Strukturen, Drogenkapitalismus und geopolitische Interessen zusammenwirkten.
Wie sind Sie auf die Idee gestoßen, die kaum bekannte Geschichte rund um Roberto Suárez und Klaus Barbie zu verfilmen?
Die Idee entstand aus einem tiefen Interesse an einem bisher zu wenig erforschten Thema: der der Verstrickung von NS-Tätern in Machtstrukturen, vor allem in Südamerika. Als ich über bislang unveröffentlichtes Material aus amerikanischen Geheimdienstarchiven stolperte, wurde uns klar, dass hier eine Geschichte verborgen liegt, die noch kaum jemand erzählt hat. Die Beteiligung von Klaus Barbie an einem bolivianischen Staatsumsturz und sein Einfluss auf den Drogenhandel waren bislang ein blinder Fleck – das wollten wir ändern.
Inwiefern war es eine besondere Herausforderung, drei so unterschiedliche Männer – Suárez, Barbie und Levine – als zentrale Figuren in einer kohärenten Erzählung zu verbinden?
Die Herausforderung bestand darin, diese drei Männer nicht nur als Individuen zu zeigen, sondern auch als Repräsentanten eines größeren Systems – einerseits eines toxischen Machtgeflechts und andererseits im Fall von Levine einer staatlichen Organisation, die jedoch wiederum politischen Zwängen unterworfen ist. Suarez und Barbie hatten bestimmte Motivationen: Macht, Geld, Ideologie. Sie trugen jedoch dazu bei, dass sich ein Netzwerk etablierte, das bis heute Auswirkungen hat. Diese Dynamik filmisch greifbar zu machen, verlangte viel dramaturgisches Fingerspitzengefühl.
Die Doku-Serie basiert auf jahrzehntelangen Recherchen. Können Sie uns etwas über den Rechercheprozess erzählen – was war besonders aufwendig oder überraschend?
Besonders aufwendig war die internationale Quellenarbeit. Wir haben Archive in Bolivien, Deutschland und den USA durchforstet. Der Zugang zu bolivianischen Zeitzeugen, ehemaligen CIA-Dokumenten und privatem Film- und Fotomaterial erforderte Geduld und Vertrauen. Überraschend war, wie offen einige der Beteiligten sprachen – und wie viel bis heute verschwiegen wird.
Welche Rolle spielte das private Archivmaterial von Suárez und Levine bei der Entwicklung der Dramaturgie?
Es war essenziell. Die privaten Aufnahmen erlaubten es uns, die Perspektive von innen zu zeigen – nicht aus zweiter Hand, sondern aus dem direkten Umfeld. Gerade Suárez’ Fotos und Videos oder Levines Tonbandaufnahmen eröffneten einen Blick hinter die Fassade und ermöglichten eine authentische und unmittelbare Erzählweise.
Klaus Barbie ist in Deutschland als „Schlächter von Lyon“ bekannt – was hat Sie bei der Beschäftigung mit seiner bolivianischen Zeit am meisten schockiert oder überrascht?
Am erschreckendsten war, wie gut vernetzt und einflussreich Barbie in Bolivien war – nicht als Flüchtling, sondern als Mitgestalter eines Militärputsches und als Ausbilder von Todesschwadronen. Dass offenbar westliche Geheimdienste ihn dabei unterstützten, im Namen des Kalten Krieges, wirft ein düsteres Licht auf die moralische Verfasstheit dieser Zeit.
Sie sprechen von einer Verbindung zwischen Altnazis und dem frühen Drogenhandel. Inwiefern verändert diese Perspektive unseren Blick auf die Entstehung der Kartelle?
Sie rückt die Gründungsmythen der Drogenkartelle in ein anderes Licht. Es geht nicht nur um organisierte Kriminalität aus Lateinamerika, sondern um eine globale Verstrickung, in der westliche Eliten, ehemalige Nazis und geheime Dienste gemeinsame Sache machten. Das sprengt das klassische Täter-Narrativ und zwingt uns, Verantwortung anders zu verorten.
Wie sind Sie mit der moralischen Spannung umgegangen, dass westliche Geheimdienste offenbar einem Nazi-Verbrecher halfen, um geopolitische Interessen zu verfolgen?
Diese Spannung ist der Kern des Projekts. Wir wollten keine einfachen Antworten geben, sondern die Ambivalenzen offenlegen. Es war uns wichtig, historische Verantwortung nicht zu verwässern – sondern genau zu zeigen, wie politische Interessen oft über moralische Prinzipien gestellt wurden. Das zieht sich bis in die Gegenwart.
Die Doku-Serie wurde bei CANNESERIES und dem DOK.fest München gezeigt. Was bedeutet Ihnen diese internationale Anerkennung – gerade bei so einem brisanten Stoff?
Es ist eine große Ehre und Bestätigung, dass die Serie nicht nur filmisch, sondern auch thematisch Resonanz findet. Gerade weil es um ein Kapitel geht, das viele lieber verdrängen würden, zeigt die Einladung zu diesen Festivals, dass mutige Aufarbeitung möglich – und nötig – ist.
Sie erwähnten, dass bolivianische Stimmen bisher kaum gehört wurden. Wie haben Sie diese Perspektiven eingebunden?
Wir haben eng mit bolivianischen Journalisten und Journalistinnen und Angehörigen von Zeitzeugen gearbeitet. Ihre Stimmen standen im Zentrum – nicht nur als O-Töne, sondern auch als moralischer Kompass. Es ging uns darum, nicht über Bolivien zu sprechen, sondern gemeinsam mit bolivianischen Partnern diese Geschichte zu erzählen.
Was war für Sie der emotional bewegendste oder auch schwerste Moment während der Arbeit an dieser Serie?
Ein besonders schwerer Moment war das Interview mit einer Angehörigen eines Opfers der bolivianischen Todesschwadronen die Barbie mit ausgebildet hatte oder einer Überlebenden eines solchen Massakers. Die Trauer und Wut, die nach Jahrzehnten noch spürbar waren, haben uns tief bewegt. Es war ein Moment, der die Verantwortung dieser Arbeit spürbar machte.
Wie bringt man eine derart komplexe und internationale Geschichte in nur drei Episoden unter, ohne an Tiefe zu verlieren?
Durch einen klaren Fokus und eine starke dramaturgische Klammer. Jede Episode konzentriert sich auf eine zentrale Phase: die Flucht und Ankunft Barbies, das Entstehen des Netzwerks in Bolivien, und schließlich die internationale Dimension mit CIA, Drogengeld und politischer Einflussnahme. So behalten wir den Überblick – ohne zu vereinfachen.
Danke für Ihre Zeit!
«Das Nazi-Kartell» ist seit Donnerstag, den 15. Mai 2025, bei Sky und Wow abrufbar.
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