Interview

Frank Tönsmann: ‚Horror bietet wie kaum ein anderes Genre Möglichkeiten‘

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Der WDR-Redakteur hat die Entstehungsgeschichte der Serie begleitet. Die britische Koproduktion spielt im Jahr 1985 und handelt von einer Coming-Of-Age-Geschichte.

Herr Tönsmann, die Serie «Video Nasty» spielt 1985 zur Zeit der moralischen Panik um Horrorvideos – was hat Sie an diesem Thema besonders gereizt?
Besonders reizvoll finde ich den generationsübergreifenden Aspekt der Serie – auch mit Blick auf unser Publikum in der ARD Mediathek. Auf der einen Seite stehen drei Teenager im Mittelpunkt, deren Lebenswelt sich im Kern wenig von der heutigen unterscheidet: Es geht um Freundschaft, erste romantische Gefühle – ein klassischer ‚Coming-of-Age‘-Ansatz. Andererseits ist der Zeitgeist der Achtziger sehr liebevoll eingefangen und lässt Menschen, die in den Achtzigern aufgewachsen sind, gerne wieder in diese Zeit eintauchen. Gleichzeitig ist es eine Hommage an die Horrorfilme der Siebziger und frühen Achtziger, die von der Filmgeschichte lange Zeit sträflich unterschätzt wurden.

Wie entstand die Idee, diese historische Zensurdebatte in eine Coming-of-Age-Krimikomödie zu verpacken?
Das müssten letztlich der Showrunner Jonathan Hughes und die Produzentin Ailish McElmeel beantworten; als wir mit dem WDR eingestiegen sind, war diese großartige Mischung bereits gesetzt.

Die Serie ist eine Hommage an die sogenannten „Video Nasties“ – welche Filme waren für Sie persönlich prägend oder inspirierend?
Nicht alle Horrorfilme dieser Phase, die mir wichtig sind, finden sich auf der «Video Nasty»-Liste. Aber ich erinnere mich z.B. sehr gut an Abel Ferraras «Driller Killer». «Cannibal Holocaust» kenne ich nur aus Erzählungen, dafür halte ich aber «Texas Chainsaw-Massacre» für einen Meilenstein der Filmgeschichte, der wegen seines reißerischen Titels lange Zeit falsch gelesen wurde.

Trotz des Retro-Settings behandelt «Video Nasty» viele zeitlose Themen: Rebellion, Freundschaft, elterliche Kontrolle. Wie wichtig war es Ihnen, diese emotionale Ebene mitzuerzählen?
Das ist der eigentliche Kern der Geschichte. Die Hommage an die Horrorfilme ist ein wichtiges Element der Serie aber nicht das Zentrum der Erzählung. Das Besondere ist aber, wie Showrunner und Regie (Christopher Smith, Megan K. Fox) es verstanden haben, diese Geschichte zum guten Teil mit den Mitteln eines Horrorfilms zu erzählen, ohne dabei vordergründig zu sein. Das zeugt von tiefem Verständnis auch der psychologische Ebene, die Horrorfilme ja so besonders macht.

Die Figuren Billy, Con und Zoe geraten durch ihre Sammelleidenschaft in eine echte Mordermittlung – wie haben Sie das Genre-Balancing zwischen Komödie, Krimi und Horror gesteuert?
Es ist wie gesagt der besondere Kniff der Serie! Genre-Elemente werden nicht nur benutzt, sondern sind integraler Bestandteil der Geschichte. Die Serie ist sich ihrer Stilistik dabei so sicher, dass es wie eine komplett natürliche Verbindung wirkt.

Die Serie ist visuell und atmosphärisch stark im VHS-Zeitalter verankert. Wie haben Sie diesen Look stilistisch umgesetzt?
Diese Frage würde sich eher an die Macherinnen und Macher – Showrunner, Regie, Kamera und Szenenbild – richten. Ich kann an der Stelle aber sagen, dass die große Liebe, mit der alle dieses Setting umgesetzt haben, aus allen ‚Poren‘ heraustritt und immer zu spüren ist. Sei es beim Besuch der beiden Jungs in ihrer Lieblingsvideothek (echter hat eine Videothek in Film und Serie nie ausgesehen, Tarantino hätte seine Freude daran) oder bei den Verfolgungsjagden im Wald, die «Blair Witch Project» kaum nachstehen.

«Video Nasty» ist auch eine Kritik an konservativen Moralbewegungen – sehen Sie Parallelen zu heutigen gesellschaftlichen Debatten über Medien und Jugendschutz?
Parallelen eher nicht. Wir sind heute an einer anderen Stelle. Längst weiß man, dass Horrorfilme (und Filme überhaupt) keine Appellationswirkung haben. Aktuelle Jugendschutz-Themen lassen sich angesichts der neuen Qualität von Social Media kaum mit dem passiven Konsum von Filmen vergleichen.

Mit nur sechs Folgen à 30 Minuten bleibt wenig Raum für Entwicklung – wie haben Sie es geschafft, trotzdem so viele Themen und Wendungen unterzubringen?
In ihrer Frage steckt ein berechtigtes Lob an Showrunner und Regie. Sicher hat dies auch mit der großen Sorgfalt der Macherinnen und Macher, mit der großen Hingabe zu ihrer Serie, diesmal besonders zu ihren Charakteren, zu tun hat. Wenn der Kern stimmt, ergibt sich vieles andere häufig ganz unangestrengt wie von selbst.

Die Produktion ist Teil der FabFiction-Initiative und eine internationale Koproduktion mit der BBC. Wie hat sich diese Zusammenarbeit auf den kreativen Prozess ausgewirkt?
Nicht nur vom Resultat aus betrachtet: sehr positiv. Tatsächlich hat es mir großen Spaß gemacht, den Kollegen von BBC Northern Ireland kennen zu lernen und so auch ein bisschen mehr über die Strukturen der großen Mutter aller Öffentlich-Rechtlichen, der BBC zu lernen. Wir haben uns gut ergänzt, und die Zusammenarbeit war angenehm unkompliziert!

Der Charakter von Zoe bringt eine psychologische Tiefe in die Geschichte – wie wichtig war es Ihnen, mentale Gesundheit als Thema einzubauen, ohne ins Klischee abzurutschen?
Die herausragende Leistung des Autors besteht darin, diese Verbindung ganz ohne den sonst so häufigen Ballast zu erzählen. Zoes Disposition gehört zu ihr, und Jonathan Hughes schätzt diesen Teil an ihr genauso wie alle anderen. Und das überträgt sich auch auf die Zuschauerinnen und Zuschauer.

Die Serie endet mit einem offenen Moment – können Sie schon verraten, ob eine Fortsetzung denkbar ist oder gar geplant?
Die Beobachtung ist natürlich richtig: Der Cliffhanger am Ende schafft Möglichkeiten. Zum jetzigen Zeitpunkt ist noch nichts spruchreif.

Was wünschen Sie sich vom deutschen Publikum – vor allem mit Blick auf das Horror-Genre, das hierzulande oft belächelt wird?
Einen offenen Blick. Das Horror-Genre bietet wie kaum ein anderes Genre Möglichkeiten, psychologisch tief und gleichzeitig mit Parabel-Strukturen über die jeweilige Gesellschaft zu erzählen. Das vor allem macht die großen Horrorfilme der Siebziger und der frühen Achtziger aus. Bezogen auf «Video Nasty», die ja eben auch eine Hommage an diese Zeit ist, wünsche ich unserem Publikum vor allem viel Vergnügen mit einer Serie, die gleichzeitig leicht, tief und vielfältig ist.

Danke für Ihre Zeit!

«Video Nasty» ist ab Freitag, 23. Mai 2025, in der ARD Mediathek. Die Serie läuft am Samstagabend ab 21.45 Uhr bei One.

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