
Die Germanische Neue Medizin basiert auf der bizarren Theorie, dass alle Krankheiten – selbst Krebs – durch seelische Konflikte ausgelöst würden. Medikamente seien nutzlos oder gar schädlich, der Körper könne sich durch Selbstheilung regenerieren. Für den ehemaligen Arzt Ryke Geerd Hamer ist Krankheit kein Feind, sondern ein „sinnvolles biologisches Sonderprogramm“. Was wie esoterisches Wunschdenken klingt, hat fatale Folgen: Menschen verzichten auf lebensnotwendige Behandlungen – und sterben. «Seelenfänger» zeigt eindrücklich, wie die gefährliche Lehre Menschenleben gekostet hat und wie tief die Strukturen dieser Pseudowissenschaft reichen. In sechs neuen Episoden entfaltet die Reihe nicht nur das Porträt eines fanatischen Ideengebers, sondern dokumentiert auch den Einfluss auf heutige Anhänger – bis hin in die USA.
Zentraler Erzählstrang ist die Geschichte von Caro, einer jungen Frau, die mit der GNM aufgewachsen ist. Sie glaubt fest an Hamers Ideen, auch als ihre eigene Mutter schwer krank wird. Die Serie begleitet Caros Weg – zunächst innerhalb der Bewegung, dann beim schmerzhaften Prozess des Zweifels. In Folge eins („Familie Knautsch“) sehen wir, wie sehr GNM das Denken und Handeln ihrer Anhänger*innen beeinflusst. In späteren Episoden wird klar, dass der Weg zurück in ein wissenschaftlich-medizinisches Weltbild ein langer, emotionaler Kraftakt ist. Parallel dazu möchte Sven, eine weitere Figur der Doku, selbst GNM-Heiler werden. Die Redaktion schleust sich undercover in ein Seminar ein („Die Verschwörungskiste“) – mit erschreckenden Einblicken: Noch heute propagieren selbsternannte Heiler die Lehren Hamers, stellen Diagnosen und raten von Schulmedizin ab. Dass sie damit Menschenleben riskieren, scheint ihnen gleichgültig.
Die Staffel rollt auch die Biografie von Ryke Geerd Hamer auf: Von der mysteriösen Ermordung seines Sohnes Dirk – aus der er die GNM „ableitet“ – über seinen Verlust der ärztlichen Approbation bis zu seinem Exil in Norwegen. „Haus am Fjord“ zeigt, wie Hamer sich zunehmend radikalisiert, wie Antisemitismus und Verschwörungsideologien Teil seiner Lehre werden. Das perfide: Diese Tendenzen sind nicht etwa Randaspekte, sondern tief in der DNA der GNM verankert.
Mit einer Mischung aus Originaltönen, Zeugenaussagen, investigativer Recherche und klarer Dramaturgie gelingt es der Serie, Hamer zu entzaubern – und gleichzeitig zu zeigen, wie gefährlich charismatische Führerfiguren sein können, wenn sie sich als Heilsbringer inszenieren.
«Seelenfänger» belässt es nicht bei der historischen Aufarbeitung. Die letzte Episode „Pillen und Glitzer“ widmet sich dem internationalen Netzwerk der GNM. In den USA trifft das Team auf eine überzeugte Anhängerin – und macht deutlich, dass Hamers Lehre heute ein globales Problem ist. Gerade im Zeitalter von Desinformation und alternativen Gesundheitsideologien verbreitet sich die GNM durch soziale Netzwerke und Coaching-Plattformen immer weiter.
Mit «Diagnose Tod» ist den Machern von «Seelenfänger» ein weiterer Meilenstein des investigativen Podcasts gelungen. Die fünfte Staffel ist düster, schmerzhaft, aber enorm wichtig. Sie führt vor Augen, wie schnell vermeintlich harmlose Alternativmedizin zur tödlichen Gefahr werden kann – und wie sehr Heilssuche Menschen in destruktive Ideologien treiben kann. Bayern 2 beweist mit dieser Staffel erneut journalistischen Mut, klare Haltung und ein herausragendes Gespür für Dramaturgie. Wer verstehen will, wie Pseudowissenschaft funktioniert – und warum Aufklärung so wichtig ist –, kommt an «Seelenfänger» nicht vorbei.
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel