Hintergrund

Studie: funk hält öffentlich-rechtlichen Auftrag nur bedingt ein

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Die Otto-Brenner-Stiftung hat sich mit mehreren Reportage-Formate des ARD-ZDF-Content-Netzwerkes beschäftigt und dabei Mängel erkannt. Man fand aber auch positive Merkmale. funk ist sich dieser Erkenntnisse augenscheinlich bewusst und passt die Strategie bereits an.

Die Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland bestehen im Wesentlichen aus fünf Punkten. Der ÖRR soll sicherstellen, dass die Bevölkerung Zugang zu einem umfassenden Angebot an Information, Bildung und Unterhaltung hat, wobei unterschiedliche Interessen, Meinungen und gesellschaftliche Gruppen berücksichtigt werden sollen. Außerdem soll er frei von politischem Einfluss und wirtschaftlichen Interessen sein. Er soll eine Vielfalt an Meinungen und Programminhalten bieten, um eine Meinungsbildung der Gesellschaft zu ermöglichen. Unter anderem Dokumentationen sollen Wissen und Bildung vermitteln. Die Berichterstattung soll dabei in verschiedenen Regionen Deutschlands stattfinden und möglichst objektive Informationen bereitstellen.

Im linearen Fernsehen von ARD und ZDF gelingt dies weitestgehend mit Bravour, doch das Publikum der beiden Sender ist alt und steht im Schnitt kurz vor dem Eintritt in die Rente. Um jüngere gesellschaftliche Gruppen im Alter zwischen 14 und 29 Jahre anzusprechen, betreiben ARD und ZDF seit Oktober 2016 das Online-Content-Netzwerk funk, das nun Gegenstand einer Studie der „Otto Brenner Stiftung“ (OBS) war. Genauer gesagt, hat sich Autor Janis Brinkmann, Professor für Publizistik in der digitalen Informationswirtschaft an der Hochschule Mittweida (FH), für die Studie „Journalistische Grenzgänger. Wie die Reportage-Formate von funk Wirklichkeit konstruieren“ mit den funk-Reportage-Formaten «Y-Kollektiv», «STRG_F», «reporter», «follow me.reports» und «Die Frage» beschäftigt. Untersucht wurde, wie die Sendungen Themen setzen, welche Perspektiven darin eingenommen werden, welche Quellen herangezogen werden, welche Akteure eine Rolle spielen, wie die Themen bewertet werden und welchen Beitrag die Sendungen zur Meinungsbildung leisten. Herausgekommen ist eine quantitative Inhaltsanalyse. Für die Untersuchung wurden alle YouTube-Beiträge der Formate von ihrem Sendestart 2016 bis April 2022 analysiert. Das Videomaterial umfasst laut Studien-Angaben insgesamt 1.155 Filme und mehr als 325 Stunden.

Das Ergebnis lautet: „Überwiegend gelingt es den Angeboten, kohärente Beiträge zu produzieren und die Stärken ihres journalistischen ‚Subgenres‘ auszuspielen.“ Mit dem Subgenre ist die Methode des „New Journalism“ gemeint, der keine neue Erscheinung in der Medienwelt ist. Der Begriff bezieht sich auf einen journalistischen Ansatz, der in den 1960er und 1970er Jahren in den Vereinigten Staaten populär wurde und in Zeiten von Social Media durch Plattformen wie ‚Vice‘ oder ‚Buzzfeed‘ populär wurde. Der New Journalism entwickelte sich als Reaktion auf die objektive, distanzierte Berichterstattung, die zuvor vorherrschte. Journalisten wie Tom Wolfe, Truman Capote, Hunter S. Thompson und Gay Talese setzten stattdessen auf persönliche Erfahrungen, intensive Recherche und einen erzählerischen Stil, um die Leser stärker in die Geschichten einzubeziehen. Sie verwendeten Techniken wie Dialoge, detaillierte Beschreibungen, Charakterisierungen und innere Monologe, um eine immersive und subjektive Darstellung von Ereignissen zu liefern.

Dabei griff der New Journalism meist Themen auf, die als Randerscheinungen oder gesellschaftliche Tabus galten, und eröffnete neue Perspektiven auf Ereignisse und Phänomene. Durch die literarische Herangehensweise und den subjektiven Blickwinkel der Autoren wurde die journalistische Darstellung lebendiger, emotionaler und persönlicher. Genau das lässt sich laut der OBS-Studie auch bei funk feststellen. Laut Brinkmann lassen sich fast 80 Prozent der Beiträge der genannten funk-Formate dem ‚New Journalism‘ zuordnen, durch den man eine erzählerische Tiefe und Authentizität erreiche, die in informationsjournalistischen oder klassisch investigativen Angeboten kaum zu realisieren sei, so Brinkmann weiter.

funk-Reportagen offenbaren einige Schwächen
Als Konsequenz müssen aus Sicht des Autors viele Befunde der Studie – etwa über die permanente subjektive Tendenz der Beiträge (97,1 Prozent) oder die gefühlsorientierte Aufbereitung der Themen (90,6 Prozent) – als Ausweis der Kohärenz dieses speziellen journalistischen Reportage-Ansatzes verstanden werden. Lebensweltliche und zielgruppenspezifische Themen wie ‚Gesundheit‘, ‚Partnerschaft‘ oder ‚Kriminalität‘ machen mehr als 40 Prozent der Beiträge aus“, bilanziert Jupp Legrand, Geschäftsführer der OBS. Andererseits adressiere nicht einmal jeder Fünfte politische und nicht einmal jeder Zwanzigste wirtschaftliche Themen, was Legrad sogleich als Kritikpunkt verstanden wissen will. Öffentlich-rechtliche Angebote müssten ihre Themen schließlich, so Legrand, „immer auch nach gesellschaftlicher Relevanz filtern“ und dürften sich „weder antizipierten Publikumswünschen noch algorithmischen Anreizen unterwerfen.“

Auch den regionalen Standards des öffentlich-rechtlichen Rundfunkauftrags schaffen es die funk-Formate nicht zu entsprechen. Hinsichtlich der Orte und Regionen kreieren die Formate ein eigenes Bild der gesellschaftlichen Wirklichkeit, heißt es im Studienergebnis: Die meisten lokalisierbaren Beiträge sind in Großstädten angesiedelt. Ostdeutsche Bundesländer (ohne Berlin) kommen in weniger als fünf Prozent vor. Zugleich zeigen die Ergebnisse, dass auch europäische und internationale Perspektiven (14 Prozent) stark vernachlässigt werden.

Handwerkliches Verbesserungspotential sieht die Studie bei der Transparenz und Reflexivität der Beiträge. „Durch das teilweise Ausklammern der großen, internationalen Welt als auch der kleinen, eher dörflichen Sozialräume, reproduzieren die jungen und innovativen Formate erstaunlicherweise klassische blinde Flecken der ‚alten‘ Medienwelt“, resümmiert Janis Brinkmann. So lautete der zweite Teil des Ergebnisses: „Hinsichtlich Themenauswahl, Ereignisorten und qualitativen Ansprüchen besteht jedoch Verbesserungsbedarf.“

Handlungsbedarf erkannt – für Abhilfe wird gesorgt
Dass es bei funk durchaus Handlungsbedarf gibt, erkannten die Programmverantwortlichen bereits selbst und haben in der Zeit nach der Studienerhebung mehrere Formate an den Start gebracht, die offensiv die von der OBS-Studie herausgearbeiteten Schwachstellen angehen. Bei TikTok gibt es seit März den Channel «sag_mal», der Perspektiven junger Menschen vom Land in den Fokus rückt. In «Atlas» versuchen seit Mai 2022 Reporter Themen aus aller Welt zu beleuchten und Konstantin Flemig schlägt mit «Crisis – Hinter der Front» in eine ähnliche Kerbe.

Das ARD-ZDF-Content-Netzwerk bleibt sieben Jahre nach dem Start nicht in der Zeit stehen, denn bekanntermaßen geht derjenige mit der Zeit, der nicht mit der Zeit geht. Deshalb hat sich funk in den vergangenen Wochen von zahlreichen Content-Creators getrennt. Zuletzt verließ Philipp Walulis mit seinem Format «Walulis Daily» das Netzwerk. Es ist aber nicht auszuschließen, dass sich Walulis an anderer öffentlich-rechtlicher Stelle wiederfinden könnte, Schlecky Silberstein und sein «Browser Ballett» haben es vorgemacht und sind inzwischen beim ZDF beheimatet. ‚New Journalism‘ ist seit den 60er Jahren ebenso wenig verschwunden wie die Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die im Rundfunkstaatsvertrag verankert sind. Den Bogen sollte man in so schnelllebigen Social-Media-Zeiten aber nicht überspannen. Schließlich sind ‚Vice‘ und ‚Buzzfeed‘ nicht gesund gealtert.

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