Debatte

Netflix: Reed Hastings im Panik-Modus

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Die Umsätze bleiben hoch, die Abonnentenzahl hätte sich ohne Ukraine-Krieg verbessert. Aber die Aktie stürzt ab. Das hängt mit Management-Fehlern von Geschäftsführer Reed Hastings zusammen.

Die Präsentation des Geschäftsergebnisses von Netflix war im Frühsommer ein riesiges Chaos. Seitdem wird über den Absturz des Unternehmens gesprochen, das seit Jahren ein stetiges Wachstum hingelegt hat. Dass dieser Weg nicht unbegrenzt möglich ist, gehört zur Marktwirtschaft. Rund ein Drittel der gesamten Menschheit war noch nie im Internet, behaupten einige Studien. Dennoch schlägt sich das Unternehmen weiterhin gut.

In den Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada ist das Wachstum des Streamingdienstes an seine Grenzen geraten. Auf dem Markt sind mehr als ein Dutzend Bezahldienste abonnierbar und mit der monatlichen Möglichkeit, das Abo zu beenden, unterbrechen zahlreiche Kunden ihr Abonnement. Außerdem zogen zahlreiche Partner wie Disney, Paramount oder NBCUniversal ihre Teile der Inhalte zurück. Dennoch wurde mit 12,9 Milliarden US-Dollar ein neues Hoch im Geschäftsjahr 2021 eingefahren.

Auch auf dem europäischen Markt steht Netflix trotz der Disney-, Sky- und die starke öffentlich-rechtliche Konkurrenz der einzelnen Staaten sehr gut da. Der Umsatz kletterte innerhalb von zwei Geschäftsjahren von 5,5 auf 9,7 Milliarden US-Dollar. Der Geschäftsfeld von Asien-Pazifik, das noch als unerschlossen gilt, setzte 3,2 Milliarden US-Dollar um, vor der Pandemie lag man nur bei 1,4 Milliarden US-Dollar. Einzig der lateinamerikanische TV-Markt bleibt mit 3,5 Milliarden Umsatz hinter den Erwartungen zurück. Hier ging es in den vergangenen zwei Jahren lediglich um etwas mehr als 400 Millionen nach oben.

Obwohl die Umsätze stetig wachsen, hat das Unternehmen einige Probleme. Man schiebt einen gewaltigen Schuldenberg von mindestens 14,5 Milliarden US-Dollar vor sich her. Oftmals finanzieren Unternehmen die Schulden mit der Aufnahme von neuen Krediten, aber die amerikanische Notenbank FED hat schon mehrfach die Leitzinsen erhöht, was diese Strategie nun erschwert. Die Anleger haben zahlreiche Aktien des Unternehmens abgestoßen, weil sich die Dividendenzahlungen deutlich verringern könnten. Die Aktie war im Frühjahr ohnehin auf einem Hoch, die großen Investmentfirmen widmeten sich lieber klassischen Anbietern wie Microsoft zu. Das Unternehmen von Bill Gates, ist so reich, dass es die Activision Blizzard-Übernahme von 80 Milliarden US-Dollar ohne Weiteres bezahlen kann.

Investmentfirmen sind undankbar. Sie möchten das Bestmögliche für ihr Geld. Aus diesem Grund wird auch keine Rücksicht auf den ehemaligen Liebling der Streamingdienste genommen. Die Anleger nehmen ihre Gewinne mit und nehmen nicht Rücksicht auf die zum Teil hohe Qualität der Eigenproduktionen.

In den vergangenen Wochen setzten Geschäftsführer Reed Hastings und seine rechte Hand Ted Sarandos auch nicht gerade Vertrauen in das Unternehmen. Mal schwadroniert man von Preiserhöhungen, dann testet man in Lateinamerika über zusätzliche Bezahlfeatures, wenn Freunde das Passwort teilen. Würde jeder, der Netflix nutzt, ein eigenes Konto haben, hätte der Streamingdienst 100 Millionen Abonnenten mehr, sagt der Vorstand. Jetzt kündigte das Unternehmen eine zweite Entlassungswelle an. Vertrauen klingt definitiv anders!

Wir müssen auch über die zahlreichen Filme und Serien von Netflix sprechen. Der Streamingdienst aus Los Gatos hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Lokalbüros eröffnet, viel Geld in ausländische Serien gesteckt und vor allem auch viele Verträge abgeschlossen. Jetzt hat das Unternehmen ein Luxusproblem: Es werden grundsätzlich zu viele Serien und Filme auf den Markt geworfen. Welchen Zweck hat eine südkoreanische Version von «Das Haus des Geldes», wenn schon die spanische Version sehr gut läuft? Es gibt überhaupt keine Struktur, wie die neuen Rechte veröffentlicht werden. Es gibt inzwischen so viele Projekte, dass die Presseabteilung gar nicht mit der Bearbeitung dieser vielen Titel hinterherkommt. In Juni veröffentlichte man 26 neue Serienstaffeln, 15 Spielfilme und zehn Dokumentationen. Außerdem gehören zum Programmumfang zahlreiche Comedy-Specials und Inhalte für Kinder.

Der Börsenkurs für die Netflix-Aktie ist tatsächlich sehr abgestürzt, allerdings wurden Streaming-Dienste derzeit gepusht. Nicht nur die Fernsehsender und Filmstudios hoffen die Video-Antwort auf Spotify zu werden, sondern Beteiligungsfirmen haben in den vergangenen Monaten ihre Ausrichtung geändert. Nach dem Streaming War, der derzeit ansteht, wird es zu einer Konsolidierung kommen. Netflix wird vermutlich immer zu den größten drei Playern gehören, aber Marktveränderungen sind völlig normal. Das Unternehmen muss seine Serienproduktionen auf ein vernünftiges Maß herunterschrauben und nicht glauben, in allen Märkten mitmischen zu müssen. Allerdings sollte man bei erfolgreichen Stoffen auch mehr den Disney-Weg gehen und mit Merchandising Geld verdienen.

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