Hintergrund

Vor 90 Jahren: Die Premiere von «Menschen am Sonntag»

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Am 4. Februar 1930 erlebte der deutsche Film einen dieser Momente, die die Magie des Kinos ausmachen. Es startete ein Film in den Lichtspielhäusern, der die Menschen verzaubern sollte und mit dessen Erfolg niemand auch nur im Ansatz gerechnet hatte. Sein Titel: «Menschen am Sonntag».

„«Menschen am Sonntag» (…) gehört zu den cineastischen Höhepunkten der Weimarer Republik (…) [und] ist soeben in einer schönen Edition mit einigen Extras auf DVD und Blu-ray neu herausgekommen, und hoffentlich werden nun noch mehr Menschen auf das Werk aufmerksam."
Rheinische Post
Das deutsche Kino der 1920er ist geprägt von den Meistern des expressionistischen Filmes. Fritz Lang, Friedrich Wilhelm Murnau, Robert Wiene. Namen, die nicht nur in Deutschland bald als Synonym für den Spielfilm als eigene Kunstform stehen sollten. Sie trugen den Ruf des deutschen Kinos weit hinaus in die Welt. Hollywood? Ja, war ein Kaff irgendwo bei Los Angeles, in dem Filme gedreht wurden. Wer Kino aber verstehen wollte, der ging nach Babelsberg oder nach Tempelhof.

Es ist keinesfalls eine steile These zu behaupten, dass in Berlin und Babelsberg überhaupt erst Kino zu einer eigenen Kunstform gedeihen konnte. Nach den Schrecken des Ersten Weltkrieges, von denen sich niemand vorstellen konnte, dass sie nur das Vorspiel zu einem noch viel größeren Wahnsinn darstellen sollten, lag Deutschland am Boden. Die Politik. Die Wirtschaft. Aber auch die Kunst. Wo stand die Kunst? Viele Künstler hatten sich willig dem Wilhelminismus unterworfen und den Traum eines Deutschen Weltreiches, das von seinen Nachbarn um seinen von Gott gegebenen Platz in der Welt betrogen worden war, durch ihre Arbeit angefeuert. Und jene, die diesen Wahnsinn nicht unterstützt hatten, hatte man auf die gehört?

In jeder Suche, und mag sie aus tiefstem Schmerz geboren sein, ergibt sich eine Chance. Eine Chance, die vergleichsweise junge Regisseure wie Robert Wiene, Fritz Lang oder Ernst Lubitsch ergriffen. Sie waren um die 30, als sie mit ihrer Art des Filmemachens Aufmerksamkeit erregten und das Kino zu einer eigenen Kunstform erhoben. Es ist vollkommen richtig anzumerken, dass Anfang der 1920er Jahre das Lichtspielhaus, das Kintopp, das Bioskop – das Kino jener Tage hatte viele Namen – längst keine Jahrmarktsattraktion mehr wie in den ersten Jahren seines Bestehens darstellte. Doch eine eigene Sprache hatte es noch nicht gefunden. Sicher gab es in den USA einen D. W. Griffith, der mit seinem unsäglichen KuKluxKlan-Fan-Epos «The Birth of a Nation» 1915 nicht mehr und nicht weniger als den Monumentalfilm erfunden hatte. Und ein kleiner Brite namens Charlie Chaplin nutzte seine Popularität als Komiker in kleinen Humorfilmchen, um Kinofilme zu kreieren, die bewiesen, dass das Kino große Geschichten im Kleinen und kleine Geschichten im Großen zu erzählen vermochte. Doch Schnitt, Beleuchtung, das Spiel mit Kameraperspektiven, es waren die deutschen Expressionisten, die neue Formen der Darstellungskunst nicht nur ausprobierten – sondern, was im Kinogeschäft nicht ganz unwichtig ist – bewiesen, dass sich damit die Massen in die Kinos locken ließen. Das Publikum wollte kein abgefilmtes Theater mehr sehen. Das Publikum wollte – das Kino!

Eigentlich nur ein kurzer Moment
Im Grunde genommen endete das Zeitalter des deutschen Kinoexpressionismus bereits wieder Mitte der 1920er Jahre. Aus heutiger Sicht würde man sagen, Wiene, Lang und Co. hatten sich mit Filmen wie «Das Cabinet des Dr. Caligari», «Der letzte Mann», «Der Golem, wie er in die Welt kam» und nicht zuletzt «Nosferatu, eine Synfonie des Grauens» ausgetobt und viele Türen für andere Filmemacher geöffnet.

Wer heute das deutsche Kino jener Zeit betrachtet, ob Drama, Komödie, Zukunftsfilm, findet eine sehr starke Stilisierung im Spiel der Darsteller. Einerseits ist dies der deutschen Theatertradition geschuldet, einem Sprechtheater. In Ermangelung an der Sprache im Stummfilm, musste das Wort durch Gesten ersetzt werden. Hier hat das deutsche Kino eine sehr eigene, stilisierte Sprache entwickelt, die sich vom amerikanischen Kino unterscheidet. Ihm liegt eine Schwere und Ernsthaftigkeit inne, die den Schauspieler fast schon zu einer Ikone erhöht. Das gilt auch für die Filme der Neuen Sachlichkeit, die sich als Gegenbewegung zum Expressionismus im Kino verstand. Dieses Wirklichkeitskino wollte die Welt abbilden, wie sie war. Ihre Geburtsstunde wird gemeinhin mit dem Film «Schlagende Wetter» 1923 datiert, dem ersten Ruhrgebietsfilm, der das Leben der Bergleute porträtiert. Aber auch wenn diese Filme eher klare Bilder bevorzugten und das Kino als politischen Ort betrachteten: Seine deutsche Theatertradition konnten auch diese Filme nicht verleugnen. Und, wie gesagt, für die Neue Sachlichkeit gab es kein Kino, das die Menschen unterhalten wollte. Das Kino war für sie eine Erziehungsanstalt.

Geduld bitte!
Was das alles mit «Menschen am Sonntag» zu tun hat? Eine Menge. Doch Geduld. Mit dem Einzug des Tons in die Kinosäle, reagierten die Studios darauf vergleichsweise gut vorbereitet. Obschon, wie oft und gerne kolportiert wird, es durchaus Filmschaffende gab, die durch die Sprache das Wesen des visuellen Mediums Film bedroht sahen, hatten auch schon damals die Studios das letzte Wort. Und in deren Chefetagen erkannte man sehr schnell, dass die Entwicklung nicht aufzuhalten war. Das Publikum wollte seine Stars jetzt auch hören. Das Ende des Stummfilms war besiegelt.

An genau diesem Punkt machten ein paar junge Filmemacher alles anders. Sie brachten zu einem Zeitpunkt einen Stummfilm in die Kinos, als der Stummfilm nicht nur bereits gestorben war: Er lag längst verfaulend in seinem fürs Zelluloid viel zu nassen Grab. Und dann filmten sie Menschen auf der Straße, im Alltagsleben, dort – wo das Leben stattfand. Aber das alles ohne den edukativen Charakter der Neuen Sachlichkeit. Sie drehten einen Film über das Leben.

Das schöne Leben.
Ohne Stars – ja nicht einmal mit richtigen Schauspielern.
Solch ein Film konnte kein Erfolg werden.
Dennoch standen die Menschen Schlange, um ihn zu sehen.

Viele Geschichten und noch mehr Spekulationen
In ihrem Buch „Siodmak Bros. - Berlin – Paris – London – Hollywood“, versuchen die Herausgeber Wolfgang Jacobson und Hans Helmut Prinzler den Film «Menschen am Sonntag» einzuordnen. Was ist dieser Film eigentlich? Ist er ein halber Dokumentarfilm? Hatte er ein echtes Drehbuch? Was ist an diesem Film spontan entstanden? Was ist Inszenierung? Um es kurz zu machen: Sie finden auf all diese Fragen keine Antwort. Was für diesen Film nicht ungewöhnlich ist. Es gibt viele Geschichten, die sich teilweise widersprechen und die vor allem mit denen zu tun haben, die an ihm mitgearbeitet haben, den Männern hinter der Kamera. Meinungsstarken Männern. Schon seine Produktionsgeschichte lässt sich nur bruchstückhaft rekonstruieren, da die Produktionsfirma „Filmstudio 1929“ nicht lange bestand. Diese hatte Moriz Seeler gegründet, ein bekannter Theatermacher, der mit Brecht gearbeitet hatte und in der Berliner Theaterszene als ein begeisterungsfähiger Hans Dampf in allen Gassen galt. Nur mit dem Kino hatte er nichts zu tun. Sicher kannte er einige Filmemacher. Aber das Kino war nicht die Welt dieses Mannes, den die Nazis 1942 ins Baltikum verschleppten, wo sich seine Spur verliert.

Wahrscheinlich hat er die Firma, die nur diesen einen Film produzieren sollte, lediglich im Auftrag des Filmproduzenten Seymour Nebenzal gegründet. Auch Nebenzal, der sich in Deutschland Nebenzahl schrieb, war erst 32 Jahre alt – aber ein Kinoproduzent durch und durch. Nebenzal, in New York geboren, aber deutscher Staatsbürger, verdiente bereits mit Anfang 20 als Bankier ein kleines Vermögen, das er in die Nero Film investierte, seine Filmfirma, die in den 1920er Jahren zum Beispiel Harry Piel zum Kinostar machte – und ganz nebenher ein Genre erfand, das sich heute größter Beliebtheit erfreut: Den Actionfilm (damals Sensationsfilm genannt). Um neben den großen Studios – also letztlich der Ufa – bestehen zu können, reichte Erfolg alleine nicht; daher brachte er die Nero Film an die Börse. Mit Dramen, Sensationsfilmen und Komödien verdiente er manch eine Reichsmark. Und mit «M – Eine Stadt such einen Mörder» produzierte er eines der wohl ikonischten Werke des deutschen Kinos überhaupt.

Das Problem: Als Aktiengesellschaft war die Nero Film gegenüber den Anteilseignern verantwortlich. Es war Nebenzal demnach nur schlecht möglich, einen Film für ein paar filmverrückte junge Männer ohne Namen zu produzieren, von denen noch nie jemand Regie geführt hatte. Es ist nicht so, dass sie keine Erfahrung gehabt hätten. Sie alle arbeiteten in der Filmbranche. Aber keiner von ihnen hatte Erfahrungen als Regisseur und dann wollten sie auch noch totale Unabhängigkeit von einem Studio. Das größte Problem für Nebenzal aber stellte vermutlich die Tatsache dar, dass zwei der jungen Filmemacher seine Cousins waren, die seinen Vater dazu überredet hatten, ihr Projekt zu unterstützen. Selbst wenn Nebenzal die Nero Film leitete: Anteilseigner mögen Vetternwirtschaft nicht. Ob er Seeler ein Geschäft vorschlug? Ob sie befreundet waren? Wer weiß! Seymour Nebenzal agierte auf jeden Fall unabhängig von seiner eigenen Firma als Produzent. Ob er selbst Geld in die Produktion steckte? Ob er die Firma nur gründete, um sie bei Verlust von der Steuer abschreiben zu können? Ansprechpartner seiner Cousins war auf jeden Fall ihr Onkel Heinrich, Seymours Vater. Nebenzals Cousins hießen übrigens Robert und Curt Siodmak.

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Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
elmi2
04.02.2020 17:09 Uhr 1
Ich weiß... Korinthenkackerei... aber warum ist gleich unterhalb des Titels vom Kinostart 4. Februar 1930 (macht ja auch Sinn, darum heute daran zu erinnern), aber auf Seite 3 des Artikels ganz oben dann 4. Februar 1929 ---- ist jetzt nicht dramatisch, sieht aber komisch aus....
Manuel Weis
04.02.2020 17:21 Uhr 2
Danke für den Hinweis. Habe ich ausgebessert.

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