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Das war 2016: Böhmermanns Schmähgedicht - Mehr als nur ein Running Gag

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Mit einer einfachen Satire hat Jan Böhmermann 2016 eine breite öffentliche Diskussion und eine Staatsaffäre ausgelöst. Welche Erkenntnisse bleiben neun Monate nach dem Schmähgedicht?

In einer Playboy-Umfrage wurde Jan Böhmermann Anfang Dezember zum „Mann des Jahres“ gewählt. Nicht zuletzt, weil diese „Ehre“ eine geschickte PR-Nummer des Männermagazins ist, dürfte der 35-Jährige diesen Titel nicht allzu ernst nehmen. Vielmehr könnte man die Verleihung selbst als Gag sehen – eine Satire auf die Flut an Ehrungen am Ende eines jeden Jahres, mit denen sich Medien, Organisationen und Unternehmen eigentlich selbst ins Rampenlicht rücken wollen. Leider gab es 2016 nur wenige so überstrapazierte Begriffe wie „Satire“ – auch aufgrund einer Nummer von Jan Böhmermann und dem Team des «Neo Magazin Royale», die sich zur Staatsaffäre entwickelte.

Was blieb also übrig von diesem Schmähgedicht, zu dessen Geschichte man an dieser Stelle nicht mehr viele Worte verlieren muss? Es war eine hart geführte Debatte, wie die Republik wochenlang beschäftigte. Bei den meisten basierte sie leider auf einem mangelnden Verständnis des Witzes an sich – inklusive der Bundesregierung samt Bundeskanzlerin Angela Merkel. Schnell wandte sie sich an den türkischen Ministerpräsidenten und entschuldigte sich vorauseilend für Böhmermanns Schmähgedicht – „bewusst verletzend“ sei das Werk – und bewies damit, in welcher Zwickmühle sie schon nach einem recht harmlosen Beitrag von «extra 3» und der Einbestellung des deutschen Botschafters in der Türkei steckte: Meinungsfreiheit vs. Flüchtlingsdeal. „Und schon geht denen die Düse im Kanzleramt. Und die sagen: ‘Was passiert, wenn Erdogan [den «extra 3»-Song] nicht gut findet? Dann wackelt unser Deal.‘ Böhmermann deckt das auf, indem er noch einen draufsetzt. Deswegen ist es auch gute Satire.“ – so treffend analysierte Serdar Somuncu die Situation bei Anne Will am 10. April.

Erstmal löschen


Zur Verständnis dieser Satire hat das ZDF darüber hinaus nicht unbedingt beigetragen. Mit der Löschung des Beitrags aus der Mediathek gossen die Verantwortlichen Öl ins Feuer – denn der Witz des Schmähgedichts liegt im Kontext und nicht in den Worten selbst. „Die Parodie entspricht nicht den Ansprüchen, die das ZDF an die Qualität von Satiresendungen stellt.“ Ein Satz, der das ZDF noch lange verfolgen wird. Aber nicht nur diese Aussage begleitet uns bis heute – vielmehr wurden die Inhalte des Gedichts zu einem Running Gag. Sei es Böhmermann selbst, der die Anzeige gegen ihn und seine Sendung immer wieder in eigene Projekte einbaut, oder beispielsweise die «heute-show», in der Oliver Welke nur zu gerne auf die vielzitierte Ziege verweist.

So hat das mangelnde Verständnis über eine Satire und die Auslotung der Grenzen der Meinungsfreiheit aber auch zu persönlichen Konsequenzen für Jan Böhmermann geführt. Professionell waren der Gag und seine Konsequenzen eine Meisterleistung, doch privat hörte der Spaß dann auf. Dass am Ende sogar die Polizei vor seiner Türe stand, weil man um seine Sicherheit und die seiner Familie besorgt war – darauf hätte er bestimmt verzichten können. Und so blieb vom Schmähgedicht nicht nur eine immer wieder nötige Diskussion zur Meinungsfreiheit übrig, sondern auch die Erkenntnis, dass in Deutschland nicht jeder Bürger diesem Grundrecht einen so hohen Stellenwert zurechnet.

Majestätsbeleidigung!


Doch immerhin zeigte das Schmähgedicht, wenn auch ungewollt, dass es im deutschen Strafrecht Paragraphen gibt, die nicht mehr in die heutige Zeit passen – wenn man mal davon absieht, dass ausländische Staatsoberhäupter nicht unbedingt souverän wirken, wenn sie auf ein altes Gesetz aus dem Kaiserreich zurückgreifen. Zumindest der Bundesrat forderte zuletzt die Aufhebung des Paragraphen zur „Majestätsbeleidigung“ – die Bundesregierung will mit der Streichung des §103 StGB noch bis 2018 warten. Dass die Staatsanwaltschaften Mainz und Koblenz das strafrechtliche Verfahren gegen Böhmermann einstellten, sollte zeigen, wie lächerlich die Anzeige des türkischen Präsidenten war. Das Zivilverfahren wird wohl erst Anfang 2017 sein Ende finden – es steht die Frage im Raum, ob das Gedicht weiter vorgetragen werden darf.

Was bleibt also vom Schmähgedicht, dass die Republik so lange beschäftigte? In erster Linie ist die Nummer ein satirischer Akt – nicht mehr, nicht weniger. Ob man das nun lustig findet, bleibt jedem selbst überlassen. Doch viele blamierten sich mit dem mangelnden Verständnis über diese Satire – allen voran die Bundeskanzlerin, die durch ihre im Nachhinein bereuten Worte mit eine Staatsaffäre auslöste. Es ist gut zu wissen, dass unser Rechtstaat solch lächerlichen Anzeigen einen Riegel vorschiebt und die Meinungs- und Kunstfreiheit schützt. Doch der fade Beigeschmack bleibt: die Bedrohung für Jan Böhmermann und seine Familie und ein durchaus berechtigter Vertrauensverlust für die Bundesregierung. Das Schmähgedicht – auch neun Monate später mehr als nur ein Running Gag.

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