Schwerpunkt

RTLs neuer «Winnetou»: Staubig, dreckig und doch ein bisschen klassisch?

von

Seit sieben Jahren hat Rat-Pack-Produzent Christian Becker die Idee, die Geschichte rund um den Apachenhäuptling noch einmal zu inszenieren. An Weihnachten feiern die drei Filme nun bei RTL TV-Premiere.

Cast & Crew

  • Produktion: Rat Pack Filmproduktion
  • Darsteller: Wotan Wilke Möhring, Nik Xhelilaj, Iazua Larios, Milan Peschel, Henny Reents und in den jeweiligen Filmen zu sehen u.a.: Oliver Masucci, Jürgen Vogel, Leslie Malton, Fahri Yardim, Matthias Matschke, Mario Adorf, Michael Maertens
  • Regisseur: Philipp Stölzl
  • Produzenten: Christian Becker (Rat Pack) & Christoph Müller (Mythos Film)
  • Co-Produzenten:Matthias Wendlandt, Felix Wendlandt (Rialto Film), Jan Mojio (Beta) & Marcus Englert
  • Executive Producers: Wolfgang Behr , Bernd Schlötterer, Bernhard Schmid, Sabine Niederberghaus-Lesavoy
  • Autoren: Drehbuch: Jan Berger (Teil 2 unter Mitarbeit von Alexander M. Rümelin)
  • Kamera: Sten Mende
  • Musik: Heiko Maile (Originalthemen von Martin Böttcher)
Vor 104 Jahren verstarb Karl May, der mit den Geschichten rund um den Apachenhäuptling Winnetou wahre Welterfolge schrieb, die – zumindest nach Ansicht von Fernsehmacher Philipp Steffens – auch bis heute nichts an Aktualität verloren haben. Steffens, der einst den Serienhit «Der letzte Bulle» erfunden hat und nun als Fiction-Chef von RTL eben diese auf Vordermann zu bringen versucht, hat eine Neuauflage der Kult-Filme angeschoben. Eine durchaus heikle Angelegenheit, sind die insgesamt 11 Streifen, die in den 60ern entstanden, doch für eine ganze Generation ein sehr lieb gewonnenes Gut. Zu den Fans dieser Filme mit Pierre Brice zählt sich auch Christian Becker, der die drei neuen RTL-Filme für seine Firma Rat Pack als Produzent umgesetzt hat.

Er verrät, dass man den alten Kultfilmen der 60er keine Konkurrenz zu machen oder diese gar diskreditieren wolle. „Wir wollten der neuen Generation selbst die Möglichkeit geben, die «Winnetou»-Welt für sich zu entdecken mit Filmen, die schneller, moderner und vor allem staubiger und dreckiger sind, ohne Postkartenromantik. Von Anfang an wollten wir aber auch ganz bewusst Anleihen bei den alten Rialto-Klassikern nehmen, weshalb mein Mitproduzent Christoph Müller und ich schon früh Matthias und Felix Wendlandt mit ihrer Rialto als Co-Produzenten ins Boot holten.“ Für ihn aber stand fest, dass es ein Muss war, ebenfalls selbst in Kroatien zu drehen – also dort, wo die Originale vor rund 50 Jahren ihre Entstehung hatten.

Der Produktionsaufwand

160 handgefertigte Indianerkostüme, 32 für Mexikaner in Spanien gefertigt, 24 für die Rattler-Crew. Die Kostüme der meisten Hauptdarsteller sind in mehrfacher Ausfertigung (z. B. Rattler, Ugly Joe, St. Senior, Winnetou, Nscho-tschi) handgefertigt. Es wurden 40 Kilogramm Federn verarbeitet, 60 Gewehre und Pistolen angefertigt und 3.000 Schuss Munition verschossen. Es wurden 60 Indianerspeere angefertigt.

60 LKWs wurden u. a. für den Transport der Trailer (Produktion/Maske/ Kostüm/Schauspieler/WCs), Licht, Bühne, Kamera, Catering, Requisite, Waffen, Pferde etc. benötigt. Alleine für den Transport von Team und Darstellern standen 13 Busse und Vans zur Verfügung. Es kamen 50 Pferde und 10 Hunde vor der Kamera zum Einsatz.
Die Idee, «Winnetou» in zeitgemäßes Gewand zu kleiden, entstand übrigens schon vor sieben Jahren. Als ersten Schritt bemühte sich Produzent Becker um die genialen Melodien von Martin Böttcher– der Apachenhäuptling sei nur das, was er ist, wenn Böttcher die musikalischen Klänge beisteuert. Die Lizensierung klappte. So richtig in die Gänge kam das Projekt dann 2012, als mit Philipp Stölzl eher zufällig der Regisseur gefunden war. Dieser hatte mit «Der Medicus» und «Nordwand» auf sich aufmerksam gemacht.

Von ihm kam auch die Idee, die Neuverfilmungen gar nicht für das Kino umzusetzen, sondern als Fernseh-Event. Binnen 48 Stunden sei es gemeinsam gelungen, den kompletten Sender RTL nicht nur zu begeistern, sondern förmlich zu entflammen. „Unser gemeinsames Ziel war es, Winnetou für die heutige Generation mit den größten Stars in einem modernen, zeitgemäßen Look komplett neu zu erzählen. Dieses Herzensprojekt zusammen mit RTL zu realisieren war die beste Entscheidung überhaupt“, meint Produzent Becker und sein Regisseur fügt hinzu: „„Remakes“ der 60er-Jahre-Serie sind unsere Filme nicht, auch keine Neuverfilmungen der Romane. Wir nennen sie „Neuerzählung“, weil wir uns die Freiheit genommen haben, die Geschichte zu modernisieren, sie fürs Heute spannend und glaubhaft zu erzählen. Wir haben versucht, die beiden stereotypen, etwas hölzernen Helden als lebendige, durchaus nicht immer perfekte Menschen zu zeigen. Wir haben uns die langwierigen Karl May’schen Handlungsstränge vorgeknöpft und sie zu einfachen, dynamischen Plots eingekocht.“ Und man habe eine dritte Hauptfigur, nämlich eine Frau erfunden, berichtet der Mann auf dem Regiestuhl.

Nscho-tschi, Winnetous Schwester und Shatterhands große Liebe, stirbt in den damaligen Filmen ziemlich früh. Die beiden Abenteurer Winnetou und Shatterhand waren also unter sich bei ihren vielen Erlebnissen. Aus Sicht der Kreativen der Neuerzählung passte das auch gut in die damalige Zeit, nicht aber in die heutige. So darf Nscho-tschi leben. „Für unsere Zeit, in der Frauen und Männer auf Augenhöhe miteinander leben, arbeiten, Kinder großziehen, muss man die Geschichte anders erzählen“, meint Stölzl.

Ich gehöre zu denen, die all diese Bücher gelesen und Pierre Brice bei den Karl May-Festspielen in Elspe gesehen haben. Ich habe ein Autogramm von Pierre Brice und eine Kassette mit der Filmmusik, die mit großen Erinnerungen verbunden ist ... Kurz: Ich war und bin ein Fan, und es ist für mich eine große Ehre und eine große Freude, bei dieser Neuinterpretation dabei zu sein. Abgesehen davon wurde ein Jungstraum wahr: ein Abenteuerfilm, ein Epos, ein Western – und dann noch Old Shatterhand – das musste ich einfach machen.
Wotan Wilke Möhring
Der Regisseur hatte vor einiger Zeit sogar einen Brief geschrieben. Stölzl hatte die Hoffnung, er könnte den einstigen Helden überzeugen, in der Neuerzählung mitzuwirken. „Ich wollte ihn überzeugen, einen weisen, alten Schamanen bei uns zu spielen. Er hat abgesagt, sehr nett allerdings, er wollte den Zuschauern verständlicherweise als Mann in den besten Jahren in Erinnerung bleiben“, berichtet Stölzl. Es kam eine Antwort – Brice sagte freundlich ab, nicht aber ohne zu ermahnen, man solle mit Winnetous Botschaft verantwortungsvoll umgehen. Alle Menschen könnten Brüder sein. Frieden ist möglich.

Aus Stölzls Sicht habe man das gemacht. „Nicht nur, weil wir Brices Ermahnung gerecht werden wollten, sondern vor allem weil wir denken, dass es eine Botschaft ist, die uns in unserer von Hass, Angst und Gewalt zwischen den Kulturen und Religionen gejagten Gegenwart so etwas wie ein moralisches Selbstverständnis vorschlägt.“ Dass man Pierre Brice die nun fertigen drei Filme noch zeigen könne, dafür würden die Macher viel geben. Im Juni 2015 verstarb der Schauspieler allerdings. Er kann nicht mehr sehen, wie Shootingstar Nik Xhelila nun den neuen Winnetou gibt und von Wotan Wilke Möhring als Shatterhand auf Schritt und Tritt begleitet wird.

Für Xhelila sind die Filme auch deshalb etwas besonderes, weil er die ursprünglichen Geschichten gar nicht kannte. In seinem Heimatland Albanien sind diese nicht wirklich verbreitet. Also musste er sich in der Vorbereitung auf die Rolle explizit einlesen. „Aber letztendlich konnte ich trotzdem nur erahnen, welche Bedeutung eine Neuverfilmung und diese Rolle hier tatsächlich hat. Ich habe mein Bestes gegeben, meinen Part in dieser großen Produktion auf meine Weise zu erfüllen. Da es in unserem Fall eine Neuinterpretation ist und ich auch gar nicht alle alten Filme kennen musste, konnte ich relativ „blank“ an die Rolle herangehen und hineinwachsen“, erzählt der Mime, der mit seiner schauspielerischen Leistung in «Der Albaner» auf sich aufmerksam machte, was ihm 2011 die Auszeichnung als „European Shooting Star“ einbrachte.

Am kommenden Sonntag, Dienstag und dem letzten Donnerstag des Jahres reitet er nun neben Wotan Wilke Möhring und gemeinsam mit einem beeindruckenden Star-Ensemble (zu dem auch Mario Adorf, Jürgen Vogel, Iazua Larios, Oliver Masucci und viele andere gehören, auf den Spuren der elf großen «Winnetou»-Filme. Und die Chefs von RTL, die für das Projekt brannten und brennen, sitzen vor dem Fernseher und schauen zu. Und vielleicht bekommt ja auch Pierre Brice etwas davon mit – wenn es geht, dann wirft er ganz sicher von hoch-oben einen Blick darauf.

Kurz-URL: qmde.de/90114
Finde ich...
super
schade
66 %
34 %
Teile ich auf...
Kontakt
vorheriger Artikel«Scream Queens» bis zum bitteren Ende ein Flopnächster Artikel'Petersen's Four' - Das Kino-Comeback des Jahres!
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel
Weitere Neuigkeiten

Optionen

Drucken Merken Leserbrief



Heute für Sie im Dienst: Fabian Riedner Veit-Luca Roth

E-Mail:

Quotenletter   Mo-Fr, 10 Uhr

Abendausgabe   Mo-Fr, 16 Uhr

Datenschutz-Info

Letzte Meldungen

Werbung

Mehr aus diesem Ressort


Jobs » Vollzeit, Teilzeit, Praktika


Surftipp


Surftipps


Werbung