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«Person of Interest» - Überwachungskrieg im Schatten

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Woche für Woche mauserte sich «Person of Interest» fast unbemerkt zu einer smarten Erkundung von Überwachung, Künstlicher Intelligenz und Heldentum. Nun beginnt in den USA die fünfte und letzte Staffel.

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Dennoch reichte dies nicht allein, um die nun insgesamt fünf Staffeln dauerhaft mit Leben zu füllen. Dafür ist immer wieder frisches Blut notwendig und es ist nicht verwunderlich, aber dafür umso angenehmer und überraschender, dass so eine gefährliche Mission zwei schlagkräftige und soziopathische Damen anzieht: Root (Amy Acker) ist eine geniale Hackerin, die es mit Moral und Gesetz selbst nicht ganz genau nimmt. Zu Beginn vertraut sie ihrem eigenen „Moralkodex“, raubt, plündert, stiehlt (was alles irgendwie das Gleiche ist) und tötet, um Finchs Maschine, die sie wie eine Gottheit anbetet, näher zu kommen. Das große Treffen mit dieser Maschine fällt ernüchternder aus, als sie es sich vorgestellt hat, und dennoch ist Root bereit, sich in deren Dienst zu stellen, wo auch immer dieser Kurs hinführen mag. Und wie es im Moment aussieht, ist die Rettung der Welt das Ziel. Darstellerin Amy Acker gehört mittlerweile zur Stammbesetzung und da sie fast jede Rolle sowie jede Serie mit ihrem Sinn für exzentrische Performances interessanter macht, ist sie ein willkommener Fremdkörper in einem sowieso schon variationsreichen Cast.

Sam Shaw (Sarah Shahi), die dritte Heldin im Ensemble, ist so etwas wie das weibliche Gegenstück zu John Reese, nur mit weniger Mitleid mit ihren Zielpersonen. Einst selbst effiziente Agentin/Killerin und Terrorjägerin, wurde sie von ihrer Regierung betrogen und kämpft nun an der Seite von Finch und Reese. «Person of Interest» weicht gelegentlich von seiner erzählerischen Formel ab, und Jonathan Nolan widmet Shaw zur Einführung sogar eine eigene Episode, in der die üblichen Hauptcharaktere zu Nebenfiguren werden. Shaw ist ein Mensch, der offensichtlich wenig bis kein Empathie-Vermögen besitzt und trotzdem eine Chance erhält, eine Heldin zu sein, denn neben ihrer Freude an ihrer eigenen gewalttätigen Effizienz, besitzt sie wenigstens einen Sinn dafür, wer diese Gewalt verdient hat und wer nicht. Das Interessante an der Serie ist, dass sie diese Charaktere nicht nur als das nimmt, was sie sind, sondern versucht, glaubhaft herzuleiten, wie und warum sie so geworden sind. Trotz der Action-, Science Fiction- und Genre-Welt, in der sich diese Helden bewegen, sind es Figuren aus Fleisch und Blut, die für den Zuschauer eine klaffende Lücke hinterlassen, sobald sie aus der Serie verschwinden oder sobald die Serie ganz verschwinden wird.

Der Feind meines Feindes ist wahrscheinlich immer noch mein Feind


Beim Kampf für Gerechtigkeit kommt man nicht umhin, sich ein paar Feinde zu schaffen. Und diese sprießen mit großer Geschwindigkeit aus dem Boden, so dass unsere Helden kaum hinterher kommen: Die Organisation korrupter Polizisten namens HR wurde vorhin schon erwähnt, gleichzeitig müssen sich Reese, Finch, Carter, Fusco, Root und Shaw mit dem zwielichtigen Elias herumschlagen, der sich zunächst als Wolf im Schafspelz gibt, bis er sich als Kriminalgenie herausstellt, welches die New Yorker Unterwelt übernehmen möchte. Der unscheinbare Enrico Colantoni ist perfekt geeignet für die Rolle des mit sanfter Stimme sprechenden Gangsters, der aber harte Taten folgen lässt, mit einem eigenen Kodex operiert, auch wenn dieser Kollateralschäden erfordert. Elias stellt sich nicht nur dem Heldenteam in den Weg, sondern muss auch diverse alteingesessene Mafiosos eliminieren, die ihre eigenen Machtpositionen in Gefahr sehen. Später soll noch ein aufstrebender, junger Gangster namens Dominic zu Elias langer Feindesliste hinzukommen, der ebenso clever, aber noch ruchloser vorgeht.

Die Terroristen-Gruppe Vigilance sieht sich berechtigterweise der Gefahr massiver Eingriffe in die Privatsphäre seitens der Regierung ausgesetzt und erwehrt sich jedweder Form der digitalen Datenerfassung. Es ist nur logisch, dass die Welt der totalen Überwachung eine solche Gruppe hervorbringt, die mit allen Mitteln gegen Regierungseingriffe, aber auch gegen Finch und seine Schützlinge kämpft. Der Anführer ist ein Mann, dessen Bruder fälschlicherweise unter Terrorverdacht gestellt und im Zuge dessen sein Leben zerstört wurde. Es spricht für «Person of Interest», nicht nur den Helden Dimensionen, sondern auch ihren Feinden nachvollziehbare Motivationen zu geben. Eine Mühe, die sich nicht viele andere Genre-Erzeugnisse machen.

Geist und Diktator in der Maschine


Steckbrief

Stefan Turiak ist als Redakteur bei Quotenmeter zuständig für Quoten-Analysen, Rezensionen & Schwerpunkte. Er ist außerdem freier Mitarbeiter bei Widescreen und Triggerfish sowie Fachmann in Sachen internationaler Film.
Aber sowohl Gut als auch Böse scheinen nicht gegen eine konkurrierende Künstliche Intelligenz namens Samaritan gewappnet zu sein, die etwa in der Mitte der dritten Staffel langsam ins Leben gerufen wird. Die Burschenschaft, die hinter diesem Programm steckt, ist nicht einmal daran interessiert, es zu kontrollieren. Vielmehr sieht man in Samaritan einen großen Erlöser, dem sich die Menschheit unterordnen sollte, um zu überleben, egal was es kostet. So furchteinflößend dieses Gedankenspiel auch sein mag, ist es in der Science Fiction nicht unbedingt neu. Die Frage, ob die Menschheit zu chaotisch ist und ihr Schicksal nicht lieber einer übergeordneten Macht überlassen werden sollte, ist wahrscheinlich so alt wie das Geschichten erzählen selbst. Wie «Person of Interest» dieses Szenario angeht, ist allerdings reizvoll und plausibel: Langsam schleicht sich Samaritan in die von Menschen erschaffenen Systeme, manipuliert den Börsenmarkt, Politik, Bildung, rekrutiert Zivilisten und damit auch Kinder und Jugendliche und setzt diese als Waffen ein. Das Programm testet schleichend und methodisch Schwachstellen der Demokratie aus und ist äußerst effektiv darin, sich diese zu Nutze zu machen. Die Konsequenz ist ein kalter Krieg zwischen den beiden künstlichen Intelligenzen, in dem Menschen nur als Schachfiguren agieren. Finch und Reese scheinen diesen zu verlieren, so wie es am Ende der vierten Staffel aussieht.

Das oberste Gebot des Erzählens eines jeden Science Fiction- oder Fantasy-Autoren sollte es sein, eine überzeugende Welt mit Regeln und Gesetzmäßigkeiten zu schaffen, die von ebenso glaubwürdigen Figuren bewohnt ist. «Person of Interest» beschreibt auf genau diese Art einen Schattenkrieg, der unbemerkt vom Normalbürger zwischen Gangstern, Regierungsorganisationen und Helden, oder diejenigen, die sich für welche halten, ausgefochten wird. Der mittlerweile komplexe Cyberpunk-Thriller ist damit schon längst über einen simplen „Held rettet Woche für Woche ein potentielles Opfer“-Plot hinausgewachsen und macht sich das Format zu Nutze, um eine große und übergeordnete Geschichte zu erzählen, die langsam alle Puzzle-Teile zusammenfügt. Viele Handlungsfäden und Fragen hängen weiterhin in der Luft und es bleiben in dieser Staffel leider nur noch 13 Episoden, um sie zu einem befriedigenden Abschluss zu bringen. Die Reise dorthin war jedoch aufregend und herausfordernd in einer Weise, die zu Beginn noch nicht abzusehen war. Jonathan Nolan und seine Autoren füttern weder pauschale Regierungsparanoia noch verbreiten sie alberne Überwachungspropaganda, sondern erschufen eine Serie, die sich über fünf Jahre hinweg immer wieder subtil neu ordnete und die eigene Moral hinterfragte. Ganz nebenbei erkundeten sie die Auswirkungen Künstlicher Intelligenz und die Implikationen der Googles und Facebooks dieser Welt, ohne dabei den Zeigefinger zu heben.

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