Vor Ort

Quotenmeter beim «Tatort» in Kiel: Borowski und die gut geölte Maschine

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Warum rollt man ein riesiges Gemälde in ein Fährterminal? Was ist der Kern eines Kiel-«Tatort» und ist Axel Milberg ähnlich missmutig wie sein Alter Ego Klaus Borowski? Wir waren am Set und haben hingeschaut.

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Die Terminalmitarbeiter zeigten sich ebenfalls entspannt und kooperativ – wie mir Location Manager Phillipp Pemöller versicherte, war es sogar „überraschend einfach, eine Drehgenehmigung von Stena Line und Port of Kiel zu erhalten“. Inzwischen sei es in Kiel einfach so, dass man sich freue, wenn die Produktion anfragt, man „rennt offene Türen ein“. Sogar die echten Fahrgäste dürfen „als anonyme Masse“ – vergleichbar mit einem TV-Bericht in den Nachrichten – mitgefilmt werden. Auch diese wären „in der Regel begeistert, später im Bild aufzutauchen“.

Und wirklich – während der folgenden Lichtproben und der ersten Versuche mit der Kameratechnik zeigte sich die Freundlichkeit und Flexibilität des Terminalpersonals. Die Monitore für die Passagiere störten bei der Aufnahme und wurden umgehend ausgeschaltet. Unbürokratisch und schnell. Nur einmal wurde der Ton etwas bestimmter: Als viele Passagiere das Schiff verlassen wollten, forderte man das Filmteam auf, schnell und großräumig Platz zu machen. Hier übernahm die Security das Wort und machte klar: Egal wo man sich auf der Welt befindet, wenn die Herren mit den wichtigen Uniformen ins Spiel eingreifen, sollte man besser einen Schritt zurückgehen. Für einen Moment sah man sie also doch, die berüchtigte deutsche Gründlichkeit – sogar am Kieler Schwedenterminal.

Der Chef hat das Wort


Die Regie bei der aktuellen Episode übernahm Raymond Ley, der bereits seit den frühen 90er Jahren regelmäßig für seine Arbeit als Autor und Regisseur ausgezeichnet wurde. Unter anderem erhielt er den Grimme-Preis für «Eine mörderische Entscheidung», den Deutschen Fernsehpreis für «Die Nacht der großen Flut» und diverse weitere nationale wie internationale Preise.

Als man ihn für den Kieler «Tatort» anfragte, gab nicht das Krimi-Genre oder der «Tatort» an sich den Ausschlag, wie er berichtete: „Ich wurde angefragt und mir gefiel das Thema ausgesprochen gut - dieser sehr spezielle Ermittler Borowski und dieses junge Mädchen, das konvertiert. Kein alltäglicher Stoff“.

Durch Ley kam auch die junge Schauspielerin Mala Emde an Bord, mit der er bereits in «Meine Tochter Anne Frank» gearbeitet und die dort mit einer mitreißenden Vorstellung ihren Durchbruch gefeiert hatte. Ley bezeichnet Emde als „präsent, schlau, immer sehr gut vorbereitet und insgesamt schlicht eine außergewöhnliche, junge Künstlerin, die mit ihrer Figur arbeitet“. Für den Regisseur war es somit eine große Freude, sie hier erneut vor die Kamera zu bekommen.

Proben ist das halbe Leben


Während man kurz darauf die erste Szene probte, bot sich die Gelegenheit, mit dem ausführenden Produzenten Johannes Pollmann zu sprechen, der seit dem Ende seiner «Stubbe»-Reihe 2014 zum Team des Kieler «Tatort» gehört.

Die Redaktion wollte etwas zum Thema machen und sprach mit verschiedenen Autoren. Hängen blieb man letztlich bei Charlotte I. Pehlivani, für die es sich um das erste Drehbuch für einen Langfilm handelt. Sie hatte sich bereits seit einiger Zeit mit der Recherche zum Thema befasst und entwickelte auf dieser Basis ihr Drehbuch. Ihre Idee einer Konvertitin, die ihren eigenen Bruder verrät, fesselte die Verantwortlichen sofort, wie Pollman verriet. „Sie lieferte ein Exposée, das uns alle umhaute. Doch geht es nicht nur ums Thema an sich, sondern um den darin versteckten dramatischen Konflikt. Diesen gilt es in jedem Stoff zu finden“.

Während man sich in der Ausarbeitung befand, sorgten verschiedene Ereignisse immer wieder dafür, dass man die Situation und das Thema neu evaluierte: „Es passierte Paris, Charlie Hebdo, erneut Paris, dann Brüssel – und immer wieder kamen wir zu der Frage, ob die Menschen diese Hauptfigur noch nachvollziehen würden können. Diese furchtbaren Dinge, die in der Welt zwischenzeitlich passiert sind und die Sache der IS zunehmend schwieriger vermittelbar gemacht haben, haben uns ständig herausgefordert. Dennoch sind wir immer am emotionalen Kern der Geschichte drangeblieben, von dem wir absolut überzeugt waren. Auch für Axel Milberg war es ein erklärter Wunsch gewesen, etwas zu diesem Thema zu machen, gerade weil wir nicht regelmäßig aber immer mal wieder politische Themen angehen“.

Warum steht hier ein Gemälde?


Der folgende Dreh der ersten Szene zeigte dann, warum der Kieler «Tatort» eben nicht ganz alltäglich ist. Nur damit Borowski kurz an einem übergroßen Gemälde stehenbleiben und seine Gedanken auf eine kurze Reise schicken kann, wurde ein solches für den Dreh besorgt und nun wie zufällig von Arbeitern innerhalb der Szene genau dort stehen gelassen, wo der Kommissar und seine Assistentin das Terminal nach einem Gespräch mit der Mutter des jungen Mädchens verlassen wollten.

Der Hintergrund: In einer früheren Drehbuchfassung sollte die Szene in der nahen Kunsthalle umgesetzt werden. Julias Mutter wäre dann als Kuratorin aufgetreten, was man dann aber etwas volksnäher gestaltete und sie beim Stena Line Terminal arbeiten ließ. Dennoch wollte man auf die Sequenz nicht verzichten und entschied, das Gemälde einfach mitzunehmen.

Und obwohl die Szene auf den ersten Blick skurril und nicht besonders relevant erscheint, ist sie doch von zentraler Bedeutung für die Figur des Klaus Borowski, der seine Schlussfolgerungen in bester Tradition eines Hercule Poirot mit den kleinen grauen Zellen und einer überbordenden Vorstellungskraft zieht. Borowski hält hier einen Moment inne und lässt seine Gedanken wandern, verliert sich im Moment. So gab man sich dann auch mit Ruhe und Liebe zum Detail der Umsetzung hin. Zuerst von weiter weg, dann später in Close-ups. Interessant war hierbei auch, wie viel Freiheit man Milberg und Kekilli bei der Ausführung in Sachen Text und Spiel ließ. Hier glich kein Ansatz dem nächsten, hier wurde nicht penibel auf Abläufe geachtet. So sieht Vertrauen in Künstler aus. Eine Szene wie gemalt für Borowski – man sinniert, es geht entschleunigt zu. Klein, aber fein. Herr Schweiger hätte mit seiner Mordswumme an gleicher Stelle vermutlich für ein in Fetzen geschossenes Gemälde und starke Irritationen gesorgt.

Auf der nächsten Seite geht es um interessante Einsichten in die Denkweise von Axel Milberg - dabei geht es auch um die Arbeit von Quotenmeter. Bitte blättern Sie um!


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