Die Kritiker

«Wer wenn nicht wir»

von

Dokumentarfilmer Andres Veiel tobt sich im Bereich des Spielfilms aus und erzählt basierend auf wahren Ereignissen vom Familienleben früher RAF-Mitglieder.

Cast und Crew

Vor der Kamera:

August Diehl («Inglourious Basterds») als Bernward Vesper, Lena Lauzemis («Hitlerkantate») als Gudrun Ensslin, Alexander Fehling («Buddy») als Andreas Baader, Thomas Thieme («In einem wilden Land») als Will Vesper, Imogen Kogge («Russendisko») als Rose Vesper, Michael Wittenborn («Stromberg – Der Film») als Helmut Ensslin und viele mehr


Hinter der Kamera:
Regie und Drehbuch: Andres Veiel, Produktion: Thomas Kufus, Musik: Annette Focks, Kamera: Judith Kaufmann, Schnitt: Hansjörg Weißbrich
Wie viele Debütfilme kann ein einzelner Filmemacher haben? Im Falle des Stuttgarters Andres Veiel lässt sich argumentieren, dass er sogleich drei Debüts ablieferte. Der mehrfach ausgezeichnete Dokumentarfilmer machte 1992 erstmals mit «Winternachtstraum» auf sich aufmerksam und ließ darauf mehrere Kinodokus folgen, die allesamt große Anerkennung erhielten. Wohl ihren Höhepunkt erlebte Veiels Karriere als Dokumentarfilmer mit «Black Box BRD», einer außergewöhnlichen Gegenüberstellung der Biografie des durch die RAF ermordeten Deutsche-Bank-Vorstandssprechers Alfred Herrhausen und des RAF-Aktivisten Wolfgang Grams. 2006 folgte mit «Der Kick» Veiels erster fiktionaler Film – «Der Kick» stellte jedoch kaum mehr als eine Aufzeichnung einer von ihm inszenierten Theateraufführung dar. 2011 schließlich versuchte sich Veiel erstmals nach allen Regeln der Kunst als klassischer Filmregisseur – und eben dieses dritte Debüt Veiels zeigt Das Erste nun im Rahmen seiner Programmreihe „FilmDebüt im Ersten“.

Thematisch liegt «Wer wenn nicht wir» nicht all zu fern von Veiels Magnum Opus: Das sich an wahren Begebenheiten orientierende Drama handelt von dem Generationenkonflikt in der unmittelbaren Nachkriegszeit, der zum Nährboden für die Gründung der RAF wurde. Im Mittelpunkt dieses Charakterstücks und Psychogramms einer gesellschaftlichen Entwicklung steht Bernward Vesper (gespielt von einem engagierten, sich entblößenden August Diehl), der Sohn eines von den Nationalsozialisten gefeierten Autors, der die Taten seines Vaters durch eine Neuauflage der Romane zu verarbeiten versucht. Unterstützung erhält er dabei durch seine Kommilitonin Gudrun Ensslin (Lena Lauzemis), die ebenfalls eine schwierige Beziehung zu ihrem Vater hegt. Dieser stand dem Dritten Reich zwar kritisch gegenüber, meldete sich 1941 aber dennoch zum Wehrdienst, um nicht ins Visier der Nazis zu geraten. Zwischen Bernward und Gudrun entsteht eine komplizierte Beziehung, die zwischen dem Wunsch nach freier Liebe und steten Eifersuchtsgefühlen zu zerreißen droht. Dann aber lernen sie den Aktivisten Andreas Baader (Alexander Fehling) kennen, was ihre Biographien in eine völlig neue Richtung lenkt …

In gewisser Weise ist Veiels Drama ein figurenzentrischer, sich auf die RAF-Vorgeschichte und ihre Auswirkungen auf das Familienleben Ensslins konzentrierender Gegenentwurf zum Oscar-nominierten «Der Baader-Meinhof-Komplex». Damit geht einher, dass Veiel einen ungewohnten Blick auf seine Hauptfiguren wählt, die als viel beleuchtete Personen deutscher Zeitgeschichte immerhin schon mehrmals behandelt wurden. Daher ist die erste Hälfte von «Wer wenn nicht wir» auch kurzweiliger und reizvoller als der zweite Part. Die komplexen Beziehungen zwischen den Vesper-Männern sowie Gudrun Ensslin und ihrem Vater werden in facettenreichen Dialogzeilen und unaufdringlich, aber vielsagend gespielten Szenen skizziert. Auch das Liebesleben zwischen Gudrun und Bernward behandelt der Autorenfilmer in fesselnden Sequenzen. Sobald Andreas Baader die Bühne betritt, und «Wer wenn nicht wir» stärker den üblichen deutschen Historiendramen ähnelt, verliert diese Produktion jedoch an Reiz.

Dies ist einerseits den Darbietungen geschuldet, die Fehling und Lauzemis geben, wenn sie die schwach unterfütterten Szenen herunterspielen, in denen Veiel den aufkeimenden Extremismus dieser Figuren aufzeigt. So stark Buch und Schauspiel sind, so lange es ums Privatleben dieser Personen geht, so blass und nichtssagend sind die konventionelleren RAF-Stationen, die «Wer wenn nicht wir» abhakt. Denkwürdig bleibt im zweiten Teil dieser Kinoproduktion vornehmlich die emotional wuchtige Sequenz, in der Veiel kunstvoll Gudrun Ensslins Ableben einfängt – die sinnliche wie tragische Szene ist nicht nur intensiv gespielt, sondern lädt den Zuschauer auch aktiv dazu ein, über ihre Hintergründe nachzudenken. Das allein lässt fast schon verschmerzen, wie rasant Veiel im letzten Akt den emotionalen Zerfall Bernward Vespers abhakt.

Den größten Wermutstropfen stellen aber die ausgedehnten Einsprengsel von Archivmaterial dar, mit denen der Regisseur markiert, an welcher Stelle des Zeitgeschehens sich seine Geschichte nunmehr befindet. Diese Szenen sind dermaßen lang und zudem mitunter mit für die Handlung so unbedeutenden Ereignissen bestückt, dass sie einfach nur das Erzähltempo drosseln und die intime Stimmung der Geschichte stören.

Fazit: «Wer wenn nicht wir» ist zwar ein respektables Filmwerk, das Geschichtsinteressierte abzuholen weiß, bleibt jedoch klar hinter seinen eigenen Ambitionen und Möglichkeiten zurück.

Das Erste zeigt «Wer wenn nicht wir» am 17. Juli 2014 um 22.45 Uhr als Free-TV-Premiere.

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