Hingeschaut

Die Textilindustrie boomt wieder - bei RTL

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In «Made in Germany» versuchte man sich daran, nur mit Hilfe von Langzeitarbeitslosen eine beinahe ausgestorbene Branche wiederzubeleben. Inszenatorische Hilfsmittel wurden üppig eingesetzt, man kratzte jedoch nicht an der Würde der Protagonisten.

Nachdem «Bauer sucht Frau» über viele Wochen das RTL-Programm am Montagabend geprägt hat, versucht sich der Sender nun wieder daran, eine neue Dokusoap auf den zumeist recht dankbaren Sendeplatz nach «Wer wird Millionär?» zu etablieren. Vier Wochen lang darf sich «Made in Germany» nun beweisen - sowohl hinsichtlich der Einschaltquoten als auch der Fragestellung, ob "wir es" tatsächlich "am besten können". Vollmundig propagiert der Untertitel der Sendung die Qualität deutscher Unternehmer und Arbeiter, wobei sich das "wir" in diesem Fall in erster Linie auf Langzeitlose bezieht, die innerhalb weniger Wochen dazu beitragen sollen, ein konkurrenzfähiges Unternehmen in der Textilbranche aufzubauen.

Geleitet wird das Experiment von der bekannten Augsburger Unternehmerin Sina Trinkwalder, die in ihrer Heimatstadt bereits eine ähnliche Strategie erfolgreich mit Taschen hat etablieren können. Dass ihr neuester Versuch, mit benachteiligten und zumeist ungelernten Menschen in kurzer Zeit eine ganz neue Unterwäschekollektion zu schaffen, eine ungleich größere, ja beinahe nicht bewältigbare Herausforderung darstellt, wird dem Zuschauer zu Beginn der Sendung oft und gerne mitgeteilt. So beginnt man den ersten Zusammenschnitt mit einer Szene im Konferenzraum, wo Trinkwalder ihre besten Mitarbeiterinnen über ihr neuestes Projekt in Kenntnis setzt. Wenig überraschend hält sich deren Begeisterung zunächst in Grenzen, die Skepsis überwiegt. Übrigens auch beim Zuschauer, denn die Dialoge wirken hier dermaßen gestelzt, dass man doch arge Zweifel an der Authentizität dieser Szene anmelden kann.

Auch sonst fällt der erste Eindruck eher negativ aus. Die Vorschau auf die Folge wird mit einer sehr penetranten und offensiv pathetischen Musikauswahl unterlegt, die Protagonisten listen wahlweise ihre Schicksale oder Hoffnungen auf und die Hauptakteurin rattert ihr Handbuch inhaltsarmer Plattitüden runter. Somit tut man sich erst einmal schwer, in dieses Format einzufinden, ohne gleich in negative Assoziationen zu menschenverachtenden Sendungen wie «Schwiegertochter gesucht» oder «Schwer verliebt» abzudriften. Wer durchhält, kann aber schnell durchatmen, denn nach den problematischen Anfangsminuten wird der Konsum spürbar angenehmer.

Um es thematisch zu konkretisieren: Ab dem Moment, wo es an die Arbeit mit den zukünftigen Nähern geht, kann «Made in Germany» seine Stärken ausspielen. Die über 30 Bewerber müssen sich zunächst in einem typischen Vorstellungsgespräch beweisen, das von Trinkwalder und ihrer besten Mitarbeiterin Hilde locker, sympathisch und humorvoll durchgeführt wird. Dabei wäre folgender Dialog zwischen den beiden und einem Bewerber in zahlreichen Formaten dieser Zunft eine Steilvorlage gewesen, die Person völlig der Lächerlichkeit preis zu geben: "Ich hab Hauptschule." - "Abgeschlossen?" - "Ja. Aber ob ich den bestanden habe, weiß ich bis heute immer noch nicht." - "Aber Sie haben doch ein Zeugnis..." - "Jaja, hab ich, hab ich, hab ich." - "Da steht doch drauf, ob Sie es bestanden haben oder nicht." - "Naja, ich hatte 5,5." - "Okay. Haben Sie schon genäht?" - "Ne, den Knopf habe ich heute selbst mit Sekundenkleber dran geklebt." Später wäre der hier mit zitierte junge Mann noch beinahe als Erster abgesprungen, da ihm der Job des Nähers "zu schwul" ist.

Gerade bei Personen wie dieser, die bereits selbst ein hohes Maß an unfreiwilliger Komik bieten, ist es einer Fernsehsendung hoch anzurechnen, wenn sie davon absieht, diese von Beginn an in die Loser-Ecke zu stellen. Stattdessen versucht sich Trinkwalder sogar auf authentische und ehrliche Art und Weise daran, die Stärken des jungen Mannes hervorzuheben. Chapeau! Ohnehin hat sie ein wesentlich besseres Händchen im direkten Kontakt mit den Menschen denn als selbstbewusste Vermarkterin. Ihre Schwächen im letztgenannten Bereich resultieren vor allem daraus, dass sie gewisse Schlagworte wie "rein deutsche Produktion" oder "sozial Benachteiligte" etwas zu häufig in den Mund nimmt und damit fast etwas aufdringlich Eigenwerbung macht. Im persönlichen Kontakt agiert sie - von der eher peinlichen Konferenz zu Beginn abgesehen - spontan. Und das wie bereits erwähnt sehr gut.

Weitere Pluspunkte sammeln die Macher mit dezent eingesetzten Informationen bezüglich der Entwicklung der Textilindustrie in Deutschland und insbesondere Augsburg. Natürlich darf man hier keine verkappte Dokumentation über die Historie dieser Branche erwarten, doch zumindest tappt der Konsument nicht völlig im Dunkeln, sollte er nicht über die Hintergründe und Problematiken dieser einstigen Vorzeige-Industrie dieses Landes Bescheid wissen.

Insgesamt ist «Made in Germany» ein sehr emotionales Format, das inszenatorisch zu Beginn noch etwas arg überkandidelt wirkt, im Verlauf der einstündigen Sendezeit allerdings immer angenehmer zu konsumieren wird. Es weist auf gesellschaftliche Missstände hin und stellt Protagonisten in den Fokus, die in unserer Gesellschaft bislang kaum Anschluss fanden - ohne sie in die Versager-Ecke zu rücken, ihre Verfehlungen allzu moralinsauer zu verurteilen oder ihre persönlichen Schicksale zu rein voyeuristischen Zwecken zu missbrauchen. Die Quittung für diese angenehme Sendung bekam RTL am Montag: Mit nur 10,1 Prozent aller und 11,4 Prozent der jungen Zuschauer fiel das Format beim Massenpublikum durch. Offenbar gibt es noch immer ein breiteres Interesse an ethisch bedenklicherem Stoff. Schade.

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