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Die fast schon vergessenen Daily-Talker

von  |  Quelle: Wikipedia, Fernsehlexikon
Teilweise liefen bis zu 13 Talkshows täglich - der Boom dieses Genres ist nun aber vorbei. Verblieben ist als Daily Talk nur noch «Britt» in Sat.1. Quotenmeter.de erinnert in einer fünfteiligen Reihe an die nun auf dem TV-Friedhof liegenden Formate und widmet sich heute den fast schon vergessenen Talkern.

Nur ein Jahr nachdem Hans Meiser den Daily-Talk im deutschen Fernsehen einführte, begannen auch schon die ersten Kopien. Außer «Ilona Christen» war von den 1993 gestarteten Talkshows aber keine einzige erfolgreich. Da gab es zum Beispiel in Sat.1 «Herrmann». Mit wem?! Natürlich mit Wolf-Dieter Herrmann, den die meisten wohl eher aus der glorreichen Anfangszeit des «Sat.1-Frühstücksfernsehens» oder noch aus der Wechselzeit von tm3 zu 9Live kennen dürften. Dort moderierte er die durchaus interessante interaktive Quizshow «Greif an!». Dieses Motto galt für seinen Talk allerdings nicht, denn es war „die Talkshow für Sie“. Und mit „Sie“ waren hier nicht die allgemeinen Stammzuschauer der Sendung gemeint, sondern das weibliche Geschlecht. Ein Mann präsentierte sich also als Frauenversteher und moderierte eine Talkshow für Frauen. Das konnte nur schief gehen, denn Ilona Christen machte das im selben Jahr und auch noch viele weitere Jahre viel besser. Folglich waren die Quoten von «Herrmann» auch viel schlechter und er musste noch im selben Jahr wieder abtreten.

Wenn man nach etwas Besonderem an der Sendung sucht, könnte man allerhöchstens noch die Experten nennen, die zu jedem Thema im Studio saßen und die unqualifizierten oder ungeordneten Aussagen der Talkgäste oder des Studiopublikums fachlich einordnen und ergänzen sollten. Die Themen waren aber wohl selbst für Frauen zu frauenaffin, denn es ging unter anderem um die Frage, ob man nun heiraten sollte oder nicht, Mollige In wären oder Stewardess wirklich ein Beruf für Frauen sei.

In den beiden Jahren zuvor hatte sich Wolf-Dieter Herrmann übrigens schon mit «BINGO» für das tägliche Show-Fernsehen warmgelaufen. Ob ihm Assistentin Petra Hausberg dabei wohl so viel über Frauenprobleme erzählt hatte, dass er daraus eine eigene Sendung machte?

1993 startete auch die Daily-Talkshow mit dem wohl originellsten Titel aller bisherigen deutschen Daily-Talks: Der «Nachmittalk» bei VOX. Doch das nette Wortspiel konnte der Sendung nicht helfen, denn wenn sie auch länger überlebte als «Herrmann», war 1994 schon wieder Schluss. Moderator war Thomas Wilsch, der ein paar Parallelen zu seinem Kollegen Hermann besitzt, denn erstens baute auch er einen Privatsender mit auf – nur war es bei ihm eben RTLplus und nicht Sat.1 –, zweitens präsentierte er vor seiner Talkshow-Laufbahn ebenfalls eine Gameshow, nämlich das Reisequiz «Ein Tag wie kein anderer» und drittens landete Wilsch zum Schluss seiner „Karriere“ ebenfalls bei 9Live, wo er kurze Zeit die «9Live-Job-Chance» moderierte.

Im «Nachmittalk» ging es montags bis freitags zwischen 17.15 und 18 Uhr um gleich drei verschiedene Themen pro Sendung. Selbige waren durchaus auch mal politischer Natur.
Dabei blieb vor allem eine Folge aus der ersten Sendewoche in Erinnerung, in der ein Rentner auf Asylanten schimpfte, Thomas Wilsch aber nicht einzuschreiten vermochte. Aufgrund des Sendungstitels, des Abwechslungsreichtums der Themen innerhalb einer Show und der grundlegenden Ernsthaftigkeit einiger Themen war «Nachmittalk» wohl die einzige kurzlebige Talkshow, die unverdient so schnell wieder enden musste und nicht in kollektiver Erinnerung blieb.

Michael Lindenau ist schon damals unbekannt gewesen und blieb es auch bis heute. Das hinderte ihn und ProSieben aber nicht daran, den täglichen Nachmittagstalk «Lindenau» im Jahr 1994 zu senden. Dabei ist es zunächst gar nicht so interessant zu erfahren, wer eigentlich dieser Lindenau nun genau war, als viel mehr die Umstände zu klären, wieso er überhaupt auf die deutschen Fernsehbildschirme fand. Geplant war bei Pro Sieben nämlich schon im ersten Halbjahr 1994 mit «Arabella» durchzustarten. Die erkrankte allerdings ausgerechnet kurz vor Beginn ihrer Talkshow an den Stimmbändern und die „Arabella“-Premiere musste bis Juni verschoben werden. Als Ersatz berief ProSieben dann auf dem Michael Lindenau ein. Er sollte sich als seriöser Journalist von den anderen Daily-Talks absetzen, was aber nicht gelang. Auch seine Themen waren nicht anspruchsvoller als die der meisten Kollegen und auch er konnte seine Gespräche nicht geordneter führen. Rund 300.000 Zuschauer fanden sie dennoch sehenswert, was aber lächerlich angesichts der Quoten war, die Arabella Kiesbauer ab Juni erreichte. Komischerweise kam sie auf dem gleichen Sendeplatz deutlich besser an.

Da fragt man sich schon, was wohl mit «Lindenau» passiert wäre, wenn «Arabella» kein Erfolg oder «Lindenau» doch noch einer geworden wäre. So aber verbannte Pro Sieben den quotenschwachen Journalisten Michael ins Morgenprogramm um 9 Uhr, um ihn kurze Zeit später ganz abzusetzen. Besonders hervorzuheben sind bei «Lindenau» aber trotz der kurzen Laufzeit gleich zwei Folgen: Zum einen die Premiere, in der „Verrückte Fans“ vorgestellt wurden und dabei ein älterer, weiblicher Elvis-Fan im typischen Glitzeranzug und angemalten Koteletten, den „Jailhouse Rock“ singend, auftrat und zum anderen eine Folge, in der Lindenau am gleichen Tag denselben Gast hatte wie Jürgen Fliege. Dieser Gast war passenderweise ein Exhibitionist. Lindenau moderierte eine ähnliche Talkshow unter dem gleichen Namen dann auch nochmal ein paar Jahre später im regionalen Privatsender „B.TV“, von dem er auch Programmdirektor war. Heute hat er mit „Lindenau Productions“ eine eigene Film- und TV-Produktionsfirma, die beispielsweise Medienberatungen anbietet.

Nach 1994 war dann erstmal längere Zeit Ruhe mit den Eintagsfliegen unter den Daily-Talks.
1999 ging es dann dafür aber mit gleich drei Flops weiter: «Sabrina», «Ricky!» und «Nicole». Was sich so anhört, wie ein freundschaftlich verbundenes Trio aus dem Großstadt-Kindergarten um die Ecke, war in Wirklichkeit eine Batterie von belanglosen Talkshows, die nur nochmal kurz vor Toresschluss eines ganzen Genres auf den Zug mit aufspringen wollten.

Davon lief «Nicole – Entscheidung am Nachmittag» noch mit rund zwei Jahren bis 2001 am längsten. Sie diskutierte auf ProSieben täglich um 16 Uhr mit ihren Gästen über private Probleme, um sie dann schließlich einer Entscheidung entgegen zu führen. Ob man das Kind wirklich bekommen solle oder der Vater seine uneheliche Tochter noch einmal wieder sehen wolle wurde möglichst emotional bequatscht. Das brachte sogar zunächst ganz passable Quoten, die aber schnell sackten, als die ersten Gerichtsshows auf anderen Sendern als Konkurrenz programmiert wurden. Daher änderte man das Konzept von Nicole Noevers kurz vor der Absetzung noch erfolglos, indem man Laiendarsteller engagierte, die die jetzt viel härteren Fälle nur noch vorspielten.

«Ricky!» in Sat.1 mit dem verrückten US-Amerikaner Ricky Harris als Gastgeber hielt sich hingegen mit von Anfang an schwachen Quoten nur bis 2000. Am gleichen Tag gestartet wie Oliver Geissen, versuchte der als Verkäufer beim Shoppingsender H.O.T. entdeckte Moderator mit der wirren Rastafrisur um 14 Uhr – laut Motto der Show – die menschlichen Gäste auch wie ebensolche zu behandeln. Dass dies nicht oft gelang, war jedoch natürlich im Grunde schon von Vorneherein klar. So blieben die Quoten überschaubar und die Laufzeit der Talkshow ebenfalls. Ricky Harris war danach nicht mehr im Fernsehen zu sehen.

«Sabrina» hieß mit Nachnamen Staubitz und durfte von 1999 bis 2000 als fünfte Daily-Talkerin im RTL-Programm ran. Auch sie hatte noch vor Start der Sendung ein besonderes Vorhaben, nämlich nicht so sehr auf Konfrontationen, sondern mehr auf Problemlösungen zu setzen. Müßig zu erwähnen, dass selbstverständlich auch einer Frau Staubitz die Einhaltung des guten Vorsatzes nicht gelang. Ebenso wenig gelang es ihr auch, gute Zuschauerzahlen zu erreichen und verschwand auch schnell von der Bildfläche. Gesendet wurde ihre Sendung übrigens am Vormittag.

Dennoch gab es auch bei «Sabrina» noch in der kurzen Ausstrahlungszeit eine Folge, über die sich die Jugendschützer beschwerten: Zum Thema „Ich gehe in den Puff – na und?!“ ging die Landesmedienanstalt ausnahmsweise mal vor allem gegen die Show-Gäste ansich vor, da sie Prostitution verharmlosten, als durchaus vorstellbare Möglichkeit zum Geldverdienen dargestellten und diskriminierend gegenüber Frauen beschrieben hätten. Die Moderatorin selbst konnte übrigens ihrem Genre bis heute aktiv bleiben, denn seit 2006 präsentiert sie im Wechsel mit anderen Kolleginnen die BR-Talkshow «Unter 4 Augen». Außerdem ist sie seit 2005 mit dem «3 nach 9»-Talkmaster und „ZEIT“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo liiert.

Zum Schluss des bunten Reigens der durchgefallenen Talker und Talkerinnen muss der Vollständigkeit halber nun auch noch «Peter Imhof» Erwähnung finden. Er redete in seiner gleichnamigen Show in Sat.1 von 2000 bis 2001 als Nachfolger von «Ricky!» ebenso erfolglos mit seinen meist jungen Gästen über meist heikle Themen. Folglich war die Titelmusik auch das Lied „Sex Bomb“ von Tom Jones und folglich gab es auch einige Rügen der Medienwächter.

Ähnlich wie «Die Oliver Geissen Show» rund drei Jahre später hatte auch «Peter Imhof» einen Todesfall nach einer Sendung zu beklagen. Im Juni 2000 skandierte ein junger Mann aus Chemnitz bei Imhof, dass Frauen an die kurze Leine gehören würden. Dieser wurde daraufhin vom Moderator aus dem Studio geworfen und erstach zehn Tage später seine eigene Frau.

Imhof war wohl der Talkmaster der deutschen Daily-Talkshows, der selbige am seltensten im Griff hatte. Noch lascher als Geissen und mit noch weniger Durchsetzungsvermögen zeigte sich der Host der Sendung. Er selbst beschrieb sich bezeichnenderweise so: „Ich sehe anders aus als alle anderen Talkmoderatoren. Ich rede anders, ich bin jünger, ich bin ein ganz anderer Typ – genau wie sich alle anderen auch im Prinzip voneinander unterscheiden.“ Imhof unterschied sich aber in Sachen Erfolg bekannterweise nicht von den anderen; höchstens „nur“ durch einen Eintrag ins „Guiness-Buch der Rekorde“, als er im Juni 2000 24 Stunden lang moderierte. Dabei entstanden sechs komplette Sendungsaufzeichnungen. In den Pausen moderierte Imhof zwar weiter lustig vor sich hin, damit der Rekord galt, doch diese Passagen blieben den Fernsehzuschauern vorenthalten. Ebenso wie viele mögliche weitere Ausgaben der Sendung, die nie Erfolg hatte. Der Gastgeber präsentiert die MDR-Nachmittagsshow «hier ab 4».

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