Meinungen

Das ging zu weit: Öffentliche Demütigungen beim «Frauentausch»

von
Christian Richter über die Rekordfolge der RTL II-Show, die auf etwas andere Art zum Nachdenken anregte.

Man ist von RTL II mittlerweile einiges gewohnt. Deftige Worte im «Big Brother»-Haus, allzu intime Beichten beim Lügendetektortest und die Verschacherung von älteren Menschen an gelangweilte Familien. Doch was man am Donnerstagabend auf dem Sender zu sehen bekam, ging über dies hinaus.

Auf dem Programm stand die 182. Folge des Dauerbrenners «Frauentausch». Ein Format, bei dem meist eine fürsorgliche und reinheitsliebende Frau ihren Platz mit einer heruntergekommenen Unterschichtenmutter tauscht und beide nun zehn Tage in dem Umfeld des anderen klar kommen müssen. So wurden wir bereits Zeuge wie die 50-jährige Manuela Göbel mit dem Kauf von Porno-Heftchen den14-jährigen Austausch-Sohn zur gepflegten Onanie animierte oder ein schwuler Austauschvater direkt nach seiner Ankunft in der neuen Familie die Pornosammlung vom Opa entdeckt. Irgendwie scheint bei dem Format das Thema Porno eine wichtige Rolle zu spielen.

In besagter Folge vom 15. August 2008 wurde all dies noch in den Schatten gestellt. Protagonisten der aktuellen Ausgabe waren die 44-jährige Rita Richter und ihr Mann Roland (45), die mit ihren Kindern Lisa-Marie (8) und Kay-Lars (5) in einem Berliner Plattenbau lebten. Familie Richter erfüllte jedes gängige Talkshow-Klischee. Die Wohnung war verdreckt, auf dem Couchtisch standen die Bierflaschen und der Tagesablauf bestand vornehmlich aus Fernsehen und Schlafen. Ihnen gegenüber stand wie immer ein perfektes Paar - diesmal vertreten durch die Holländerin Thembi (30) und Mann Sascha (30).

Mit der Wahl des Ehepaares Richter ist RTL II eindeutig zu weit gegangen. Sicherlich boten sie mit ihrer Einfältigkeit einige amüsante Momente. So kochte Rita zum Abendbrot Nudeln mit „sowas“. Wobei sich hinter dem Begriff „sowas“ eine Fleischwurst und ordentlich Curryketchup verbargen. Jedoch waren die beiden zumeist eher mitleiderregend, denn die Hartz-IV-Empfänger waren mit ihrem Leben ganz offensichtlich hochgradig überfordert. Selbst einfache Situationen schienen sie einfach nicht überblicken zu können. Vor allem Rita war einfach nicht in der Lage ihre Umwelt korrekt wahrnehmen bzw auf sie angemessen reagieren zu können. Dass diese dadurch den hohen Anforderungen des Tauschmannes Sascha nicht entsprechen konnte, war von vornherein klar.




Doch damit nicht genug. Die Redaktion ließ keine Möglichkeit aus, Rita öffentlich zu demütigen. So stellte Tauschvater Sascha einen unangenehmen Körpergeruch der 44-jährigen Hausfrau fest und ließ ihr ein Bad ein – allerdings nicht ohne dabei demonstrativ eine Flasche Intim-Waschlotion in die Kamera zu halten.

Rita versuchte trotzdem an sich zu arbeiten und die an sie gestellten Aufgaben zu erfüllen. So stand sie vor ihrer Tauschfamilie und versuchte mit stammelnden Worten und zahlreichen Rechtschreibfehlern auf dem vorbereiteten Zettel ihre Verbesserungsvorschläge vorzutragen. Nachdem sie diese verlesen hatte, verließ Sascha unter lautem Lachen das Zimmer. Rita blieb völlig ratlos und gedemütigt zurück. In ihrem Gesicht konnte man deutlich erkennen, dass sie diese Reaktion überhaupt nicht verstehen konnte.

Auch die Einblicke in Ritas und Ronalds Haushalt zeigten, wie hilflos das Ehepaar war. In der völlig verdreckten Wohnung fand die Tauschmutter im Kinderbett unter dem Laken Tierkot. Als Roland dies erfuhr, brach er vor Verzweiflung in Tränen aus. Etwas später ging die Interims-Familie zusammen in den „Filmpark Babelsberg“. Roland sah man an, wie glücklich er war. Es schien fast so, als hätte er seine Wohnung nie vorher verlassen. Ganz offensichtlich haben die Eltern noch nie etwas mit ihren Kindern unternommen. Zum Abschluss des Besuches begann Roland erneut zu weinen, als er erkannte, wie deprimierend sein bisheriges Leben war.Etwas positives schien der «Frauentausch» also doch bewirkt zu haben.

Am Ende einer jeden Episoden treffen die beiden Mütter aufeinander und tauschen ihre Erfahrungen aus. Die naive Rita hatte sich fest vorgenommen ihrer Tauschpartnerin Thembi für das Putzen ihrer Wohnung zu danken. Doch dazu kam sie nicht, denn Thembi fing sofort an, auf die hilflose Rita einzuschimpfen. Wieder starrte diese mit leerem Blick ihr Gegenüber an und begriff die gegenwärtige Situation nicht. Das wurde vor allem dadurch deutlich, indem sie trotz des Anschisses ihrer Tauschpartnerin wie geplant für die Reinigung der Wohnung dankte. Thembi legte daraufhin noch einmal nach und behauptete, das Lisa-Marie und Kay-Lars ihre Tauschmutter lieber als ihre echte Mutter Rita mögen würden. Rita blieb weinend zurück.

All diese Beispiele zeigen eindeutig, dass sowohl Rita als auch Roland mit ihrem Leben eindeutig überfordert waren und aufgrund mangelnder Erfahrung nicht erkennen konnten, welche Außenwirkung sie auf den Fernsehzuschauer hatten. Diese Defizite müssen der Redaktion aufgefallen sein. Hier hätte man aus ethischen und moralischen Gründen die Aufzeichnung abbrechen müssen. Solche Menschen dürfen nicht im öffentlichen Fernsehen unreflektiert vorgeführt werden. Auch wenn sich diese freiwillig für eine solche Fernsehshow gemeldet haben, obliegt RTL II bzw. der verantwortlichen Redaktion eine gewisse Fürsorgepflicht.

Man kann nur hoffen, dass die zuständigen Ämter von der Sendung erfahren haben, damit die beiden schnellstmöglich professionelle Hilfe bekommen. Ihren Kindern ist dieses nur zu wünschen.

Lachender Dritter in diesem Sozialdrama ist der Sender RTL II. Dieser erzielte mit der fragwürdigen Ausgabe des «Frauentauschs» die höchste Einschaltquoten seit 1 ½ Jahren. Aber zu welchem Preis?

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